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Roman zwischen Afghanistan und Deutschland

Literarische Fernbeziehung

Interview

Sie lebt in Berlin, er in Kabul, über tausende Kilometer hinweg schrieben sie gemeinsam ein Buch. Was die »Feldpost« damit zu tun hat und warum es noch einen Roman aus Afghanistan braucht, erzählen Tanja Langer und David Majed im Interview.

Nach zwanzig Jahren kehrt Mahboob aus Frankfurt nach Kabul zurück und trifft dort auf seinen Vater, den er seit der Flucht mit seiner Mutter 1979 nicht mehr gesehen hat. Die Taliban sind abgezogen, das Land ist zerstört, aber voller Hoffnung. Mahboob beginnt nach dem Afghanistan seiner Kindheit zu suchen, nach seiner Familie und nicht zuletzt nach sich selbst. »Der Himmel ist ein Taschenspieler« ist ein Familienroman, der ein Afghanistan jenseits von Burka und Bundeswehr zeigt.

 

zenith: Sie haben sich über das Internet kennengelernt und drei Jahre lang zusammen ein Buch geschrieben. Wie kam es zu dem Projekt?

David Majed: Über 25 Ecken. Ich habe die Grundgeschichte aufgeschrieben. Sie war allerdings nicht literarisch genug, dass es ein schöner Roman geworden wäre. Ich bin ja eigentlich Jurist und schreibe ganz anders, knapp, kurz, präzise. Irgendwann habe ich eingesehen, dass das nicht das ist, was ich will. Ich habe zu meiner Lektorin gesagt: Du hast doch einen Draht zu Autoren, schick doch mal diese Mail los. Ich weiß nicht, wie sie zu Tanja kam, aber irgendwann erreichte sie: »Junger Autor sucht erfahrene Autor/in, Afghanistanroman«. Tanja Langer: Irgendetwas an dieser kleinen Email hat mich interessiert. Wir haben dann telefoniert und ich habe begonnen den Text zu lesen. Und während ich noch in Deutschland las, stand irgendwann die »Feldpost Afghanistan« mit einem großen Paket vor meiner Tür. David hatte Gewürze geschickt, grünen Tee, schwarzen Tee, Salz, ein Stein aus dem Hindukusch und Musik. Und dann hab ich zurückgeschrieben, ich brauch das gar nicht zu Ende lesen, ich mache es! Das war natürlich ein super Bestechungsgeschenk. Relativ schnell habe ich dann auch gemerkt, wo die fantastischen Qualitäten im Text lagen.

 


Tanja Langer, 1962 in Wiesbaden geboren, inszenierte zahlreiche Theaterstücke und veröffentlichte Erzählungen, Hörspiele und Romane. Zuletzt erschien »Der Maler Munch« (2013).

 

David Majed, 1973 in Kabul geboren, floh mit seiner Familie 1984 nach Deutschland und ist seit 2005 in der Entwicklungshilfe tätig, u.a. für die GIZ und KfW. Aktuell arbeitet er als leitender Berater im Hochschulministerium in Kabul.


 
 
Wie haben Sie über diese Distanz gemeinsam gearbeitet?

T.L.: Ich würde sagen, das erste Jahr war eher eine Aneignung des Themas. Afghanistan war für mich ja ein völlig neues Land. Ich las viel, recherchierte und dachte nach. Im zweiten Jahr ging es dann ans Schreiben. Ich habe Vorschläge gemacht und nach Kabul geschickt und andersherum. In dieser Zeit musste mir David in Afghanistan Augen, Ohren und Nase leihen und mit meinen Fragen losziehen. Wir haben sehr viel diskutiert, vor allem über das Internet oder am Telefon, denn in den drei Jahren haben wir uns nur dreimal in Berlin getroffen. Natürlich gab es in dieser Zeit auch Zankereien: Beispielsweise darüber, wie wir Ahmad Shah Massoud darstellen. Für die einen ist er ein Nationalheld und für andere eine sehr umstrittene Person. Glücklicherweise konnten wir solche unterschiedlichen Perspektiven auf mehrere Figuren aufteilen und mussten uns so nicht entscheiden.

 

Es gibt verschiedene Erzählstimmen, Zeitebenen und Brüche in Ihrem Buch: Wieso erzählen sie Mahboobs Geschichte nicht chronologisch?

T.L.: Ich finde es wichtig, dass in Büchern formal etwas geleistet wird, das mit dem Inhalt zu tun hat. Mahboobs Rückkehr nach Afghanistan setzt seine Erinnerung in Gang. Das ist nachvollziehbar, denn Erinnerung selbst ja nichts Feststehendes, sondern etwas Bewegliches. Durch Gespräche versucht Mahboob seine eigenen kindlichen Erinnerungen mit der Geschichte seiner Familie zusammenzuführen. Dazu haben wir noch eine zweite Stimme entwickelt, die Mahboob an Dinge führt, denen er sich eigentlich gar nicht stellen möchte. Menschen, die sich zwischen zwei Welten hin- und her bewegen, tragen auch oft mehrere Stimmen in sich. Es ist wie eine innere Spaltung oder zumindest – wie David sagt – ein innerer Dialog, der in einer Person entsteht. Das wollten wir literarisch darstellen.

 

Man kann Mahboob dabei beobachten, wie er seine Erinnerung findet…

T.L.: Ja, und er verändert sich auch ganz stark dabei. Es ist ja auch ein Entwicklungsroman über die Frage, wo ist mein Platz in der Welt, wenn ich zwei kulturelle Identitäten in mir trage? Wie kann ich die zusammenbringen? Entsteht daraus vielleicht etwas Neues, Drittes? Diese Entwicklung hätten wir bei einer chronologischen Erzählstruktur nie so sehr zum Thema machen können.

 

Inwiefern ist der Roman auch autobiografisch?

D.M.: Ich würde sagen teilweise. Gewisse Sachen sind natürlich offensichtlich. Mahboobs und mein Name zum Beispiel. Ich bin auch als Kind mit meinen Eltern hierher geflüchtet und dann wieder zurück um beim Wiederaufbau zu helfen. Die schwierige Identitätsfindung habe ich auch so erlebt. Davon abgesehen erzählt unser Buch tatsächlich sehr reale Geschichten. Sie sind letztlich jedem Afghanen passiert: Jeder hat in diesem Land durch den Krieg irgendein Familienmitglied verloren, sein Haus wurde zerstört oder er musste mit Trennungen kämpfen.

 

Es gibt ja einige Romane, die sich mit dem Krieg in Afghanistan beschäftigen. Wieso hat es dieses Buch noch gebraucht?

T.L.: Der Unterschied zu anderen Büchern ist sicherlich, dass wir versucht haben, die Alltagsebene der Leute zu zeigen. Also nicht die heroischen, dramatischen Ereignisse der Zeit, sondern die Mühen des Alltags. Sowohl von denjenigen, die aufbauen müssen, was andere zerstört haben, als auch von denen, die jahrelang im Gefängnis saßen und traumatisiert sind. Das sind Menschen, von denen man in den anderen Büchern wenig erfährt. D.M.: Darüber hinaus war mir das Thema Integration sehr wichtig. Ich wollte diese Geschichte erzählen und eine Botschaft senden. In Deutschland sieht man Menschen anderer Herkunft auf der Straße, aber man weiß nicht, was diese Menschen durchgemacht haben, das Auswandern, diese innere Zerrissenheit, die in ihnen herrscht. Das wollte ich den Lesern näherbringen.

 

Die Situation, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, erzählt von einem zerstörten Afghanistan, Armut und Traumata. Dennoch zieht Ihr Buch den Leser nicht runter. Woran liegt das?

T.L.: David hat mir oft von der tiefen Lebensfreude und dem Lebensmut der Afghanen erzählt. Vielleicht hat das auf das Buch abgefärbt. Außerdem ist der Roman angefüllt mit Erinnerungen an Mahboobs Kindheit in den 1970ern, die sehr schön war und die der Held des Buches auch sorgenfrei erlebt hat. Hier konnten wir viel über die Kultur des Landes erzählen. Das sind natürlich auch Dinge, die man in einem Roman erzählen muss, damit man nicht nur von einer Zerstörung zur nächsten taumelt.

 

Das Buch spielt 2002/03 und man spürt deutlich die Aufbruchsstimmung in Afghanistan zu dieser Zeit. Wie geht es dem Land heute?

D.M.: Unser Buch zeigt einen Zeitausschnitt. Nach der Entmachtung der Taliban waren die Menschen in Afghanistan sehr euphorisch. Leider hat sich das Land nicht so entwickelt, wie es die Menschen damals gehofft hatten. Die Taliban haben sich reorganisiert und die Leute sind wieder sehr besorgt, vor allem um die Sicherheit im Land. Um es kurz zu sagen: Die Leute sind leider hoffnungsloser geworden.

 


Der Himmel ist ein Taschenspieler

Tanja Langer, David Majed

LangenMüller, München 2014

380 Seiten, 19,99 Euro

Von: 
Ulrike Gasser

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