Nicht nur am Jahrestag des Andijan-Massakers müssen wir den Finger in diese Wunde legen. Die Bundesregierung steht hier besonders in der Pflicht, meint die Grünen-Abgeordnete Viola von Cramon.
Usbekistan ist eine der repressivsten Diktaturen der Welt mit einer katastrophalen Menschenrechtslage und einer kleptokratischen Herrscherfamilie – das ist offensichtlich für alle, die es nur wissen wollen. Dafür reicht ein Blick in den letzten Human Rights Watch-Bericht über systematische Anwendung von Folter, in die Berichte über Zwangsarbeit, insbesondere von Kindern, in der staatlich organisierten Baumwollwirtschaft oder Analysen von Insidern wie Scott Horton, dessen exklusiver Einblick in die Geschäfte der Präsidentenfamilie ihn von Usbekistan als »größtem Familien-Business der Welt« sprechen lässt.
Doch das wollen westliche Regierungen eigentlich gar nicht so genau wissen. Usbekistan wird gebraucht – für den militärischen Transit nach Afghanistan im Rahmen des »Northern Distribution Networks«. Das gilt um so mehr, seitdem die Transportwege durch Pakistan blockiert sind und der NATO-Abzug aus Afghanistan ansteht. Und es gilt besonders für Deutschland, das mit dem Flughafen in Termez als einziges NATO-Land einen Militärstützpunkt in Usbekistan unterhält.
Präsident Karimows Regierung hat im Laufe der Jahre gelernt, aus dieser Situation maximalen Profit zu schlagen und die NATO-Staaten einzeln gegeneinander auszuspielen. So lässt man sich seit 2010 von der Bundesregierung jährlich 15,95 Millionen Euro für die Nutzung von Termez überweisen. Und nachdem die Bundesregierung diese Zahlungen im April 2011 publik gemacht hatte, beugte sie sich usbekischem Druck und stufte die entsprechende Antwort auf eine schriftliche Frage von mir nachträglich als »VS – nur für den Dienstgebrauch« ein – ein grotesker und bis heute einmaliger parlamentarischer Vorgang.
Das kurzsichtige Konzept von politischer Stabilität durch autoritäre Regime
Neben dem materiellen Profit nutzt das usbekische Regime den Afghanistan-Krieg und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus brutal zur innenpolitischen Repression. Muslime außerhalb des rigide staatlich kontrollierten Islams, aber genauso auch Menschenrechtsverteidiger und Oppositionelle werden unter dem Vorwand des Kampfes gegen islamistischen Terrorismus gezielt verfolgt.
Auch das Massaker von Andijan im Osten Usbekistans verkaufte die Regierung als Kampf gegen islamistischen Terrorismus. In Andijan gipfelten am 13. Mai 2005 wochenlange Proteste gegen die Willkür von staatlichen Behörden und Justiz in einem Gefängnisausbruch und Straßenprotesten. Zum anstehenden siebten Jahrestag ist das Massaker international weitestgehend vergessen. Die anfänglich verhängten EU-Sanktionen wurden – gerade auch auf deutsches Drängen – bis 2009 vollständig aufgehoben, die von Vereinten Nationen und EU geforderte unabhängige internationale Untersuchung fand nie statt und keiner der Verantwortlichen wurde jemals zur Rechenschaft gezogen.
Das Andijan-Massaker bleibt die offene Wunde der westlichen und insbesondere deutschen Usbekistan-Politik. Nicht nur am Jahrestag des Andijan-Massakers müssen wir den Finger in diese Wunde legen, wenn wir es mit einer Werte geleiteten Außenpolitik ernst meinen. Vor dem Hintergrund des ISAF-Einsatz und -Abzugs wäre es jedoch unrealistisch, den Abbruch jeglicher sicherheitspolitischer Kooperation mit Usbekistan zu fordern. Aber die Mindestbedingung müssen Transparenz bei Verträgen mit und Zahlungen an Usbekistan sowie klare Worte zur Menschenrechtslage sein. Darum drücken sich die NATO-Staaten herum und setzen damit weiterhin auf jenes kurzsichtige Konzept von politischer Stabilität durch autoritäre Regime, das durch den Arabischen Frühling eigentlich komplett diskreditiert sein sollte.