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»Arab Media Watch«-Gründer Sharif Nashashibi

»Ein militärisches Eingreifen ist unvermeidlich«

Interview

»Arab Media Watch«-Gründer Sharif Nashashibi über Berichterstattung trotz Mediensperren, Minderheiten im Kreuzfeuer – und Gründe, die für eine Intervention in den Syrischen Bürgerkrieg sprechen.

zenith: Inwiefern erfassen die Medien, was in der Arabischen Welt und insbesondere in Syrien vor sich geht – und beeinflussen sie die Geschehnisse durch ihre Berichterstattung auch?

Sharif Nashashibi: Die Berichterstattung beeinflusst natürlich die öffentliche Wahrnehmung – über den Arabischen Frühlings wie auch den Krieg in Syrien. Die eigentlichen Ursachen für die Revolutionen und ihr weiterer Verlauf aber liegen wesentlich tiefer in den Gesellschaften selbst. Dennoch war es für die Nachrichtensender sehr schwierig, darüber adäquat zu berichten, da die Regierungen dieser Länder Journalisten oftmals die Einreise verwehrten. Die wenigen, die hinein kamen, wurden dann an ihrer Arbeit gehindert. Das erschwerte die Berichterstattung erheblich und hat dazu beigetragen, dass der Bürgerjournalismus entstand. Erst so wurden die sozialen Netzwerke zu wichtigen Mitteilungsplattformen, die dann auch Journalisten als Informationsquelle nutzen.

 

Haben sich unter diesen Umständen der Bürgerjournalismus und soziale Medien als verlässliche Alternative bewährt?

Das Problem bei diesen Quellen ist, dass sie sehr schwer zu überprüfen sind. Die Regierungen wiederum haben mit diesen Verboten ungewollt den oppositionellen Bewegungen die Möglichkeit gegeben, andere Wege zu nutzten, die viel schwerer zu kontrollieren sind. In Syrien etwa lässt sich ein Propagandakrieg zwischen Opposition und Regierung beobachten. Und wie in vielen anderen Kriegen auch kursieren auf beiden Seiten falsche Informationen.

 

Assad und seine Unterstützer führen dabei immer wieder den Schutz von Minderheiten als Plädoyer für das Regime an. Mit Recht?

Das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Gruppen in Syrien ist nicht das Verdienst von Baschar al-Assad oder seinem Vater. Um an der Macht zu bleiben, hat das Regime zynisch die Ängste der Minderheiten ausgenutzt. Die Familie meiner Mutter gehört zur christlich-armenischen Minderheit in Syrien. Ich wuchs mit den herzerwärmenden Geschichten meiner Mutter auf, die in einer toleranten und säkularen Gesellschaft lebte. Sie spricht nostalgisch darüber, wie sie ihren jüdischen Nachbarn in Aleppo am Sabbath geholfen hatte, und über ihre Hochzeit mit meinem verstorbenen Vater – einem Muslim. All das gab es schon, bevor Hafiz al-Assad Anfang der 1970er Jahre an die Macht kam.

 

Und wie wird es nach einem möglichen Regimesturz in um die Rechte der Minderheiten in Syrien stehen?

In einem Syrien nach Assad dürfen die Rechte der Minderheiten unter keinen Umständen beschnitten werden. Assads Unterstützer finden sich allerdings nicht nur unter Minderheiten – und auch die Opposition besteht nicht nur aus der sunnitisch-muslimischen Mehrheit. Viele Assad-Gegner aber werten das Schweigen der Minderheiten zur Niederschlagung des Aufstandes als Komplizenschaft mit dem Regime. Ebenso lassen sich die Rechte der Minderheiten nicht durch die Unterdrückung der Mehrheit sichern – wie es unter Assad der Fall war.

 

Radikalislamische Gruppen wie Jabhat al-Nusra kämpfen auf Rebellenseite oftmals an vorderster Front gegen Assads Truppen. Ist die Sorge vor einer Machtübernahme der Dschihadisten berechtigt?

Diese Gruppen zeichnen sich durch ihre militärischen Fähigkeiten und rücksichtslose Entschlossenheit aus, in der syrischen Gesellschaft verfügen sie aber nur über geringen Rückhalt. Wer also befürchtet, dass Al-Qaida und Konsorten in Syrien die Macht übernehmen könnten, sollte sich vor Augen halten, dass diese Gruppen etwa in Algerien, Irak, Somalia, Mali oder Jemen von der einheimischen Bevölkerung wegen ihrer mittelalterlichen Regeln und deren rücksichtsloser Durchsetzung meist sehr schnell zurückgewiesen wurden. In einer heterogenen Gesellschaft wie Syrien wird es weder für religiösen, ethnischen noch konfessionellen Extremismus breite Unterstützung geben. 

 

»Das Argument von Assads Unterstützern ist absoluter Unsinn«

 

Gibt es dafür eine breite Unterstützung für eine auswärtige Intervention, wie sie nach kolportierten Giftgas-Einsätzen zuletzt wieder ins Spiel gebracht wurde?

Assads brutale Reaktion auf die Revolution macht ein militärisches Eingreifen unvermeidlich. Die Aktivisten und Demonstranten, die eine friedliche Veränderung forderten, sahen sich auf einmal gezwungen, sich selbst zu verteidigen. Die syrischen Revolutionäre, unabhängig davon, ob sie aus dem Ausland oder Inland kommen, sind meist nur leicht bewaffnet. Assads Armee hingegen verfügt über schwere Artillerie und eine noch immer schlagfähige Luftwaffe. Außerdem wird Assad von seinen Verbündeten, hauptsächlich Russland und Iran, mit Waffen beliefert. Trotz der kürzlich verbesserten militärischen Ausrüstung der Rebellen besteht noch immer ein eindeutiges Ungleichgewicht zur Regierungsarmee und deren verbündeten Milizen. Die Ablehnung gegen eine auswärtige Intervention hat sich daher zum Ruf nach Hilfe gewandelt.

 

So wie vor knapp über zwei Jahren in Libyen?

Hätte die Libysche Revolution keine Hilfe von der Nato erhalten, wäre sie gescheitert. Nicht weil es an Unterstützung in der Bevölkerung mangelte, sondern weil Zivilisten und leicht bewaffnete und unorganisierte Milizen einem rücksichtslosen Gegner mit einer viel stärkeren Armee gegenüber standen. Niemand kann daran gelegen sein, einen Konflikt, der schon zu lange andauert und zu viele Opfer gefordert hat, weiter eskalieren zu lassen. Es ist aber auch keine Lösung, nur eine Konfliktpartei bewaffnen lassen. Es gilt hier auch, aus den Fehlern ähnlicher Konflikte in der Vergangenheit zu lernen...

 

Welches Beispiel kommt Ihnen da in den Sinn?

Während des bosnischen Bürgerkrieges hat das Waffenembargo die muslimische Bevölkerung am schlimmsten getroffen, während die bosnischen Serben von den Russen mit Waffen versorgt wurden, die es ihnen ermöglichten, Gräueltaten wie das Massaker an mehr als 8.000 Muslimen in Srebrenica zu verüben. Gleiches geschieht heute in Syrien. Das Argument von Assads Unterstützern, dass sein Regime als »souveräne Regierung« berechtigt sei, ausländische Hilfe zu erhalten, ist absoluter Unsinn. Keine Regierung der Welt hat das Recht, sein eigenes Volk zu unterdrücken und dafür auch noch militärische Hilfe aus andern Ländern zu erhalten. Assad kann diesem Wahnsinn ein Ende bereiten, aber dafür müsste er das Leiden des Landes und seiner Bevölkerung über den eigenen Machtanspruch setzen. Er hat in der Vergangenheit aber ein ums andere Mal bewiesen, dass so eine Entwicklung Wunschdenken ist.


Sharif Nashashibi, gründete im Jahr 2000 die NGO »Arab Media Watch«, die als Ziel eine objektive Berichterstattung über die arabische Welt in den britischen Medien verfolgt. 2008 wurde Nashashibi vom »International Media Council« mit dem »Breakaway Award« ausgezeichnet. Er schreibt regelmäßig für Al Arabiya English, The Guardian und The Middle East Magazine.

Von: 
Samira Sammer

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