US-Außenminister Antony Blinken versucht auf seiner vierten Krisenreise durch den Nahen Osten wieder einmal, ein Bündnis für eine Lösung der Gaza-Krise zu schmieden und auf Israels Regierung einzuwirken. Und stößt bei beiden Vorhaben schnell an Grenzen.
Es tue ihm »sehr, sehr leid«. Eine »unvorstellbare Tragödie« sei der Tod des Journalisten Hamza Al-Dahdouh. Krisenmanagement ist das tägliche Brot der Diplomatie, ebenso wie ein wohl austariertes Verhältnis von öffentlichem Auftritt und effektiver Hinterzimmerverhandlungen, von Empathie und Handlungsstärke. Beides geht dem US-Außenminister in diesen Tagen nur schwer von der Hand.
Der Journalist und Sohn des Al-Jazeera-Büroleiters in Gaza Wael Dahdouh war am Sonntag von einer israelischen Rakete getötet worden. Über einhundert Journalisten, über 23.000 Menschen insgesamt, sind in Gaza seit Oktober ums Leben gekommen. Eine Zahl, die »viel zu hoch ist«, wie Antony Blinken auf einer der nächsten Halte am Dienstag in Jerusalem kommentierte. Was fehlte: Eine Aussage über die Ursachen dieser hohen Opferzahlen, ebenso wie eine überzeugende Antwort, über welche Hebel man eigentlich verfüge, um weitere, wahrscheinlich deutlich höhere Opfer durch Hunger, Krankheit und Krieg in den kommenden Wochen und Monaten zu verhindern.
Tatsächlich offenbaren die Pressekonferenzen des US-Außenministers die schier unüberwindbaren Gegensätze, die auch diese diplomatische Mission zur Lösung der Gazakrise zum Scheitern verurteilen und immer mehr Washingtons fundamentale Interessen in der Region untergraben. Wieder einmal rennt der 61-Jährige den Ereignissen hinterher, wieder einmal muss er Stellung beziehen, reagieren und seine Verhandlungsposition rechtfertigen.
Eigentlich war Blinken zu Jahresbeginn aufgebrochen, um wieder greifbare Fortschritte auszuhandeln
Dabei war Antony Blinken zu Jahresbeginn eigentlich zu seiner vierten Nahost-Reise nach dem 7. Oktober aufgebrochen, um wieder greifbare Fortschritte auszuhandeln und verkünden zu können. So tourte der US-Außenminister vor seinem Stopp in Katar etwa in Jordanien durch ein Lagerhaus mit Hilfsgütern. Die Botschaft: Die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung steht für Washington ganz oben auf der Agenda.
Das Problem: Ein tatsächlicher Durchbruch für die Lieferung von Nahrung und Medikamenten nach Gaza fehlte – wieder einmal machte der wichtigste, aber eben auch problematischste Verbündete in der Region einen Strich durch die Rechnung. Israels Regierung und insbesondere Premier Benjamin Netanyahu zeigen nicht nur wenig Interesse, sich an der Konfliktbeilegung zu beteiligen, sondern legen ihren Partnern geradezu Steine in den Weg.
So auch bei einem der Themen, bei dem sich Blinken in Doha Fortschritte erhoffte: In den ersten Wochen nach dem 7. Oktober hatte das State Department im Zusammenspiel mit Partnern in der Region – allen voran Katar – noch handfeste Ergebnisse vorzeigen können. Einige Beobachter erhofften sich nach dem Deal zur Freilassung Dutzender Geiseln im November gar eine Art Renaissance der Diplomatie.
Auch die bereits im Oktober allseits befürchtete regionale Ausweitung des Konflikts konnte zunächst unter anderem deswegen verhindert werden, weil Washington schnell an den richtigen Stellschrauben drehte: Etwa durch die Verlegung des Flugzeugträgers USS Gerald R. Ford ins östliche Mittelmeer, aber eben auch, weil US-Diplomaten beträchtliche Zeit damit verbrachten, Israel von militärischen Alleingängen abzubringen oder diese zumindest zu vertagen.
Israels Regierung lässt die Amerikaner und die anderen westlichen Verbündeten immer wieder auflaufen
Die Tötung von Hamas-Funktionär Saleh Al-Arouri und mehrerer Hizbullah-Kader folgt aus israelischer Sicht zwar einer konsistenten Politik: Seit Jahren nehmen Israels Streitkräfte regelmäßig Infrastruktur und Logistik in Syrien und im Libanon ins Visier, um das Angriffspotenzial der »Achse des Widerstands« zu schwächen. Dennoch sah man sich auf US-amerikanischer Seite vor den Kopf gestoßen, und das nicht nur, weil die Partner in Jerusalem es allem Anschein nach nicht für nötig hielten, sich mit Washington abzustimmen.
Die Freilassung der Geiseln und die Verhinderung einer regionalen Eskalation stehen aus US-amerikanischer Sicht auf dem Spiel. So wie viele Experten sehen auch die USA, dass etwa die Hizbullah in der derzeitigen – auch innenpolitischen – Lage, eigentlich nicht willens beziehungsweise in der Lage ist, sich aktiv in den Konflikt ziehen zu lassen. Stattdessen ist es die Netanyahu-Regierung, die eine Beibehaltung oder gar Ausweitung des Konflikts offenbar als opportun ansieht, um sich politisch über Wasser zu halten.
Auch in Bezug auf die politische Zukunft des Gazastreifens im Besonderen und des Nahostkonflikts in Allgemeinen lässt Jerusalem die Amerikaner und die anderen westlichen Verbündeten immer wieder auflaufen: Statt sich zur (für Netanyahus Koalitionspartner ohnehin nicht annehmbare) Zweistaatenlösung (oder überhaupt ein Szenario mit palästinensischem Mitspracherecht) zu bekennen und damit eine echten diplomatischen Prozess in Gang zu setzen, lässt Israels Kabinett die Vertreibungsfantasien seiner radikalsten Mitglieder ebenso unbeantwortet wie die rapide Ausweitung von Siedlergewalt im Westjordanland.
Dass Amerikas Diplomaten frustiert sind über Hinhaltetaktik, militärische Alleingänge und rücksichtslose Kriegsführung seiner israelischen Partner, ist kein Geheimnis. Dafür möchte man in Washington keinen Blankoscheck ausstellen. Vielleicht auch aus diesem Grund wurde die USS Gerald R. Ford in der vergangenen Woche aus dem Mittelmeer abgezogen.
Blinkens Appell an die Partner in der Region, eine Eskalation des Konflikts zu verhindern, stößt mittlerweile bestenfalls auf Unverständnis
Dennoch fehlen der US-Außenpolitik ganz offensichtlich Hebel gegenüber Israel. Das hat weitreichende Folgen, insbesondere im Verhältnis zu allen anderen Partnern Washingtons im Nahen Osten. Antony Blinken war mit dem expliziten Ziel auf diese Reise gegangen, eine Art Koalition zu schmieden von handlungswilligen und -fähigen Partnern für konstruktive Lösungsansätze mit konkreten Verbesserungen für die unmittelbare humanitäre Lage, aber auch für die politische Zukunft der Region. Doch gerade der Appell, dass diese Partner doch ihren Einfluss geltend machen sollten, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern, stößt mittlerweile bestenfalls auf Unverständnis.
Aus Sicht von Washingtons Partnern fehlen der US-Außenpolitik strategische Alternativen ebenso wie eben die Klarheit der Worte, die die Plan- und Sprachlosigkeit überwinden können. Nicht nur in Gaza, sondern auch in anderen Konfliktfeldern der Region. So stieß Blinken bei seiner Station in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf taube Ohren, als er den Golfstaat dazu anhalten wollte, einen konstruktiven Kurs im verheerenden Sudan-Konflikt einzuschlagen und den von den VAE unterstützten Hamid »Hemedti« Dagalo und dessen mordende Milizen einzuhegen.
Zum einen hält die US-Regierung stur an dem Rahmen fest, den die Vorgänger-Administration mit den Abraham-Abkommen geschaffen hat. Doch ob dieser Ansatz tatsächlich für mehr Stabilität in der Region gesorgt hat und sich als Grundlage für diplomatische Konfliktbeilegung eignet, daran lässt die Gaza-Krise zweifeln.
Zum anderen bleiben jedes Wort der Anteilnahme – so menschlich ehrlich auch gemeint – und jedwedes formale Bekenntnis zu Zweistaatenlösung und Rückkehrrecht für die Zivilbevölkerung in Gaza aus dem Mund des US-Außenministers unvollständig, solange Blinken es eben versäumt, die Politik der kollektiven Vergeltung Israels an der Zivilbevölkerung in Gaza so zu benennen und zu erklären, wie die US-Außenpolitik tatsächlich Einfluss auf die Netanyahu-Regierung nehmen kann.