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Iran nach 40 Jahren Islamische Revolution

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Analyse
Iran nach 40 Jahren Islamische Revolution
Über insgesamt zehn Tage, vom 1. Bis zum 11 Februar, erstrecken sich die Feierlichkeiten zum Revolutionsjubiläum 2019. Foto: Farhad Babaei

Die Hezbollahis genießen Privilegien, wie keine andere Gruppe in Iran. Die Führung des Landes scheint aber unfähig, diese Parallelgesellschaft einzuhegen – mit potentiell katastrophalen Folgen für das Land.

Vor vierzig Jahren, im Februar 1979 siegte die Islamische Revolution in Iran, die als zivilgesellschaftlicher Protest für Meinungsfreiheit und Transparenz begonnen hatte. Damit wurde nicht nur die Herrschaft der Pahlavi-Dynastie beendet, die das Land seit dem Ende des Ersten Weltkrieges autoritär regiert hatte, es wurde auch eine neue Epoche eingeläutet, in der die Konfrontation mit dem politischen Islam die amerikanisch-sowjetische Bipolarität langsam ablöste.

 

Die Revolution veränderte die innen- und außenpolitische Stellung des Landes. Innenpolitisch überraschte die Gruppe der von Ayatollah Ruhollah Khomeini geleiteten Revolutionäre mit ihrer Fähigkeit, die Staatsgeschäfte rasch zu übernehmen. Herrschte am Anfang der Revolution noch ein loses Bündnis aus verschiedenen linken, islamistischen und bürgerlich-nationalistischen Gruppen, so gelang es den Anhängern Khomeinis bald, das politische Spektrum zu dominieren. Zuerst wurden die islamistischen Gruppen diszipliniert, indem zum Beispiel die verschiedenen spontan entstandenen Milizen zur Revolutionsgarde vereint wurden, danach folgte der Rest.

 

Zweifelsohne spielte der Kriegsausbruch 1980 den Anhängern Khomeinis in die Hände: Bis 1982 wurden die marxistischen linken Gruppen niedergekämpft, während die linksislamistischen Volksmudschaheddin ins Ausland gingen und sich den Irakern unterstellten, bevor sie sich 2003 nach dem Sturz Saddams mit den USA arrangierten. Interessanter und wichtiger war jedoch das Verhältnis der Khomeinisten zu den Nationalisten.

 

Wichtiger für das Regime als die muslimisch-demokratisch und bürgerlich- nationalistischen Kräfte der Freiheitsbewegung waren jedoch die monarchistisch geprägten iranischen Nationalisten im Sicherheitsapparat.

 

Sofern es sich bei ihnen um Vertreter der politischen Zivilgesellschaft handelte, wurden sie wie andere Gruppen von der Macht verdrängt, aber als einzige am Rande des politischen Spektrums toleriert. Der Grund hierfür liegt wohl in ihrer Bedeutungslosigkeit und weil ihre politische Heimat auf die demokratische Nationalbewegung des populären und vom Pahlavi-Regime und der CIA gestürzten Mohammad Mosaddegh zurückführen konnte.

 

Wichtiger für das Regime als die muslimisch-demokratisch und bürgerlich-nationalistischen Kräfte der Freiheitsbewegung waren jedoch die monarchistisch geprägten iranischen Nationalisten im Sicherheitsapparat, die sich nach der schmählichen Flucht des Herrscherhauses rasch mit den neuen Herren arrangierten. Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar: So sprachen sich die marxistischen Gruppen für die Auflösung der Armee und des Geheimdienstes SAVAK aus, das ohnehin schon große Sicherheitsvakuum führte zur Stärkung separatistischer Autonomiebewegungen namentlich in Kurdistan, in der Türkmen-Sahra und in kleineren Ausmaß auch in Aserbaidschan und in Belutschistan.

 

Zudem war die Sowjetunion 1979 ins Nachbarland Afghanistan einmarschiert und die iranischen Nationalisten mussten befürchteten, dass das Land in den Orbit Moskaus geraten könnte. Nach Verhandlungen erließ Khomeini anlässlich des persischen Neujahrsfestes am 21. März 1980 eine Generalamnestie für den Sicherheitsapparat, die neben Angehörigen der Armee, Polizei und der Gendarmerie ausdrücklich auch die Mitarbeiter des Geheimdienstes (der offiziell aufgelöst und 1984 als VAJA neu gegründet wurde) betraf, sofern ihnen keine Menschenrechtsverletzungen gegen die Anhänger des neuen Regimes nachgewiesen werden konnten.

 

Die Hezbollahis wurden regelmäßig bei iranischen Wahlen besiegt, sind aber überproportional im Sicherheitsapparat vertreten und gelten als das effizienteste »Netzwerk der Netzwerke«.

 

Diese Entscheidung hatte zwei Konsequenzen: Erstens sicherte sie den neuen Herren die Treue der Armee, zweitens wurde die Kooperation zwischen staatlichen und revolutionären Sicherheitsinstitutionen ermöglicht, was erklärt, warum sich die Sicherheitsinstitutionen des Landes eben nicht im Zustand der Auflösung befanden, wovon viele Beobachter auszugehen schienen, sodass das Land 1980 in die Lage war, den irakischen Angriff auf Iran zurückzuschlagen und den Krieg acht Jahre lang durchzuhalten.

 

Der Krieg und die politischen Säuberungen führten zu großen gesellschaftlichen Umwälzungen. Besonders hervorzuheben ist dabei das Entstehen einer islamistischen, überwiegend aus der Unterschicht stammenden Jugendbewegung, die in Massen an die Front strömte und nach dem Krieg ihren Anteil an Politik und Reichtum des Landes einforderte. Sofern sie nicht in der Mobilisierungseinheit Basidsch aufgefangen wurden, bildeten sie als Hezbollahis eine am Rande des politischen Spektrums angesiedelte Bewegung, die eine permanente Islamische Revolution fordert.

 

Diese Strömung wurde regelmäßig bei iranischen Wahlen besiegt, ist aber überproportional im Sicherheitsapparat vertreten und gilt als das effizienteste »Netzwerk der Netzwerke«, das die wirtschaftlichen und politischen Interessen von radikalen Klerikern und Laien bedient. Aus diesen Kreisen kommt der größte Widerstand gegen alle Versuche einer außen- und innenpolitischen Mäßigung des Regimes.

 

Im Gegensatz zum zivilgesellschaftlich orientierten Philosophen Khatami nimmt Ruhani die staatlichen Institutionen in die Pflicht, indem er sich um die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit bemüht.

 

Allerdings gelang es der Islamischen Republik, in der Sicherheits- und Außenpolitik einen effizienten Konsultationsmechanismus zwischen den staatlichen Institutionen und politischen Strömungen aufzubauen, sodass Iran als rationaler, wenn auch anti-amerikanischer Akteur in der Region gilt. Der Abschluss des Atomabkommens 2015 in Wien darf als Beweis für die Leistungsfähigkeit der iranischen Institutionen verstanden werden.

 

Das Atomabkommen sollte nicht nur die Außenpolitik deradikalisieren, sondern auch die vom neuen Präsidenten Hassan Ruhani geplanten Reformen in Iran finanzieren. Ruhani stammt aus dem iranischen Sicherheitsapparat und ist sich der ungebrochenen Popularität der Reformpolitik Mohammad Khatamis (1997-2005) bewusst. Im Gegensatz zum zivilgesellschaftlich orientierten Philosophen Khatami nimmt Ruhani die staatlichen Institutionen in die Pflicht, indem er sich um die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit bemüht.

 

Ermöglicht wurde dies durch die Haltung des Revolutionsführers, der seit Jahren die Wirtschaftspolitik priorisiert. Um Investoren ins Land zu bekommen, reicht das Atomabkommen aber nicht aus, vielmehr müssen die rechtlichen Grundlagen angepasst und Rechtssicherheit gelebt werden. Da es unmöglich ist, ausländischen Firmen und Mitarbeitern Rechtssicherheit zu gewähren und dieselbe der iranischen Bevölkerung zu verwehren, formulierte Ruhani 2013 eine Bürgerrechtscharta, in der das Verhältnis von Staatsbürgern, Ideologie und Regime neu geordnet werden sollte.

 

Mit der Bürgerrechtscharta wollte Ruhani dem finanziell und kulturell erschöpften Bildungsbürgertum entgegenkommen, das unter den mediokren Eliten des real existierenden Islamismus am meisten leidet.

 

Mit dieser Charta wollte Ruhani auch dem finanziell und kulturell erschöpften Bildungsbürgertum entgegenkommen, das unter den mediokren Eliten des real existierenden Islamismus am meisten leidet und dessen Fähigkeiten in der Kultur, den freien Berufen und in Wissenschaft und Bildung für die iranische Nation überlebenswichtig sind.

 

Während liberale und Menschenrechtsgruppen die Charta als zu wenig weitreichend kritisierten, verstanden andere Kräfte, welche Gefahren ihnen erwachsen könnten, wenn die neue Regierung mit Transparenz und Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger ungeachtet seiner sozialen, ethnischen oder religiösen Herkunft Ernst macht.

 

Der Widerstand gegen Ruhani wurde zunächst auf kulturellem Gebiet geführt und betraf Fragen wie die Genehmigungen für Konzerte, die Moralkontrollen in der Öffentlichkeit und in die leidige Kopftuchfrage. Westliche Beobachter missverstehen diese Maßnahmen als konservativen Rückschlag gegen eine im Kern liberale Gesellschaft. In der Realität handelt es sich um das Prinzip der permanenten Revolution – also Willkür – gegen die Stärkung des unterentwickelten Rechtstaats. Setzte sich Ruhani durch, dann würde es das Ende der Freiheiten für die Hezbollahi-Banden bedeuten, die sich das Recht herausnehmen, die Gesellschaft nach Gutdünken zu kontrollieren und die Bürger aus ideologischen Gründen zu drangsalieren.

 

Allerdings ist die Ideologie nur vorgeschoben und soll die Öffentlichkeit einschüchtern, um jede Debatte über die finanzkräftige Parallelwelt der »frommen« Stiftungen (bonyad) im Keim zu ersticken. Die Stiftung des Imam-Reza-Schreins in Maschhad oder die »Stiftung der Unterdrückten« in Reyy sind in allen Bereichen der iranischen Wirtschaft und Politik aktiv und weitgehend unkontrolliert. Jede sinnvolle Wirtschaftsreform muss daher bei der Reform des iranischen Stiftungs(un)wesens ansetzen.

 

Übrig bleibt eine typische postrevolutionäre, kulturell und materiell verarmte Gesellschaft, mit einem politischen System, das wie in Kuba weitervegetieren in eine dramatische Konfrontation mit den USA geraten wird.

 

Dagegen regt sich naturgemäß Widerstand. Der Vorsitzende der Maschhader Stiftung, Ebrahim Raisi, ließ sich aus diesem Grund zu den letzten Wahlen als Gegenkandidat zu Ruhani aufstellen. Hätte die Regierung Ruhani vom Atomabkommen profitieren können, hätten die Stiftungen aufgrund internationalen Wirtschaftsengagements und der Liberalisierung ihren Einfluss ständig verloren

 

Das Austreten der USA aus dem Atomabkommen bedeutet zunächst das langsame Ende der Wirtschaftsreformen, die auf Globalisierung und Normalisierung des iranischen Verhältnisses zur Weltwirtschaft abgezielt hätten. Das hat zwangsläufig die Stärkung der wirtschaftlichen Parallelwelt der Stiftungen und eine Schwächung staatlicher Institutionen mit Ausnahme des Sicherheitsapparates zur Folge

 

Die kommende totale Isolation des Landes und die Einführung eines an das »Oil-for-Food«-Regime gegen den Irak erinnernden Wirtschaftsregimes durch das von der EU propagierte »Special Purpose Vehicle« haben zwei weitreichende Konsequenzen für das Land: Erstens verschmilzt der Sicherheitsapparat mit der Parallelwelt der Stiftungen, sodass zum Schluss ein typisches Regime übrigbleibt, und kein Staat mit funktionierenden Institutionen. Und zweitens verliert das Bildungsbürgertum, das trotz Revolution, Krieg und Misswirtschaft vier Jahrzehnte lang seiner Heimat die Treue gehalten hat, jegliche Hoffnung und verlässt das Land

 

Übrig bleibt dann eine typische postrevolutionäre, kulturell und materiell verarmte Gesellschaft, mit einem politischen System, das entweder wie in Kuba weitervegetieren oder aufgrund seiner regionalpolitischen Bedeutung und Aktivitäten in eine dramatische Konfrontation mit den USA geraten wird.

Von: 
Walter Posch

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