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Interview mit dem jemenitischen Parlamentspräsidenten Sultan Al-Barkani

»Saudi-Arabien hat einen hohen Preis im Jemen gezahlt«

Interview
Interview mit dem jemenitischen Parlamentspräsidenten Sultan Al-Barkani
Foto: Sam Alrefaie

Sultan Al-Barkani steht dem exilierten jemenitischen Parlament vor. Im Interview spricht er über Bedingungen für einen Frieden mit den Huthis, Vorwürfe gegen Saudi-Arabien – und welchen Beitrag er sich von Deutschland wünscht.

zenith: Laut den Vereinten Nationen sind etwa 14 Millionen Menschen, die Hälfte der jemenitischen Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe angewiesen, zusätzlich befinden sich ungefähr vier Millionen Jemeniten als Binnenvertriebene auf der Flucht. Welche Schritte hat Ihre Regierung unternommen, um den Menschen in dieser Situation zu helfen?

Sultan Said Al-Burkani: Zuallererst möchte ich betonen, dass diese tragische Situation ein Resultat des Krieges ist, den die Huthis über das Land gebracht haben. Das iranische Projekt hat diese verheerende Katastrophe für die Menschen verursacht. Die Regierung tut alles in ihrer Macht Stehende und ruft ihre Brüder und Freunde in aller Welt dazu auf, sich um Hilfe für die Menschen im Jemen zu bemühen. Unsere Brüder im Königreich Saudi-Arabien, allen voran das »King Salman Humanitarian Aid and Relief Center«, sind uns als erste zu Hilfe geeilt. Nun ist die gesamte Welt gefordert, diese furchtbaren Umstände nicht links liegen zu lassen. Die humanitäre Situation im Jemen steht in direkter Verbindung zur militärischen und politischen Situation im Land – das gesamte jemenitische Volk durchlebt momentan eine Tragödie. Ich appelliere an die Welt, sie möge an der Seite der jemenitischen Regierung und an der Seite unserer saudischen Partner handeln, um das Leben dieser Menschen zu retten.

 

Wo steht der politische Prozess im Jemen und welche Rolle spielt dabei die Ausarbeitung einer neuen Verfassung?

Die Verfassung wurde bereits ausgearbeitet. Nun sprechen wir über den politischen Prozess, wobei die Vereinten Nationen in Form des Sonderbeauftragten für Jemen gefordert sind. Martin Griffiths erarbeitet momentan ein Dokument, das die endgültige militärische und politische Lösung für die Jemen-Krise skizzieren soll. Und vielleicht wird innerhalb der nächsten beiden Monate ein allgemeiner Rahmen für einen Friedensprozess vorgestellt, in dem sich die Konfliktparteien zusammenfinden. Diesbezüglich haben wir drei Referenzpunkte: Die Golf-Initiative, die Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die Ergebnisse des »nationalen Dialogs« im Jemen.

 

Die jemenitische Regierung sieht sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, im Krieg gegen die Huthis Milizen der Terrororganisation Al-Qaida anzuheuern oder zu kooperieren. Was ist an diesem Vorwurf dran?

Al-Qaida agiert im Jemen, das können wir nicht abstreiten. Wir haben große Sorge vor einer Zersplitterung des Jemens oder einer Fortsetzung des Krieges, weshalb wir mit großer Beunruhigung beobachten, dass Al-Qaida Fuß fassen und Landesteile unter ihre Gewalt bringen konnte. Wir bemühen uns um den Frieden im Land, damit wir Al-Qaida oder dem iranischen Projekt nicht die Möglichkeit geben, sich im Jemen auszubreiten und dort dauerhaft niederzulassen.

 

Also dementieren Sie eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Al-Qaida? Kämpfen Al-Qaida-Mitglieder in den Reihen der Regierungstruppen?

Es ist problematisch, von einer Zusammenarbeit zu sprechen. Al-Qaida agiert hauptsächlich im Verborgenen und nicht in der Öffentlichkeit. Zuallererst sind diejenigen, die gegen die Huthis kämpfen Jemeniten. Und ich vermute, dass es Jemeniten gibt, die sich im Kampf gegen die Huthis engagieren, während sie gleichzeitig Verbindungen zu Al-Qaida oder zum so genannten Islamischen Staat unterhalten, diese beiden Benennungen lassen sich sowieso nur schwer auseinanderhalten. Wer Kontakt zu Al-Qaida pflegt, tut dies im Verborgenen und zeigt es nicht öffentlich. Wir können nicht sagen, wer zu Al-Qaida gehört und wer nicht.

 

»Die Saudis und die Emiratis haben gemeinsam das Abkommen von Riad ermöglicht«

 

Es kursieren immer mehr Berichte über Differenzen zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die sich auch auf den Kurs im Jemen auswirken. Können Sie solche Meldungen bestätigen und wie zeigen sich diese Differenzen?

Die Saudis und die Emiratis haben gemeinsam das Abkommen von Riad ermöglicht…

 

… das im November 2019 eine Machtteilung zwischen der Regierung von Abd Rabbo Mansur Hadi sowie dem von den VAE unterstützten »Übergangsrat des Südens« festlegte. …

… Ich glaube nicht, dass sich Saudi-Arabien und die VAE voneinander abwenden – sie bleiben Verbündete, verfolgen neben dem Jemen gemeinsame strategische Interessen in der Region und gehen einen gemeinsamen Weg. All die Berichte über eine Verwerfung sind schlicht Propaganda. Die VAE haben sich beteiligt, weil nicht nur der Jemen, sondern auch Saudi-Arabien in Gefahr war – die Ausweitung des iranischen Projekt im Jemen ist eine direkte Bedrohung für die Saudi-Arabien.

 

Glauben Sie, dass ein innerjemenitischer Dialog mit den Huthis Erfolge erzielen könnte?

Wenn die Huthis Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen würden, könnten die Jemeniten ein solches Projekt angehen. Aber ich glaube nicht, dass die Huthis sich von demjenigen abwenden werden, der sie erschaffen hat, der sie führt, der ihnen all das gegeben hat, was sie besitzen – von den Nahrungsmitteln bis hin zu Geschützen, Panzern und Raketen. Die Huthis erzählen den Vereinten Nationen, der westlichen Welten sowie unseren Brüdern in Saudi-Arabien und dem Oman, dass sie sich vom Iran abwenden werden. Wir hoffen das. Wir hoffen, dass sie ein untrennbarer Teil ihres regionalen Umfelds werden, und dass sie sich primär als Jemeniten sehen. Denn als Jemeniten sind sie Partner in Macht und Reichtum, das kann niemand leugnen und dabei kann sie niemand ignorieren. Aber wird dieser Wunsch Realität werden? Ich glaube nicht, dass sich die Huthis von ihrem Vormund Iran abwenden können.

 

Sie reden immer davon, dass die Huthis vom Iran gesteuert werden. Aber könnte man nicht mit der gleichen Logik behaupten, dass die jemenitische Regierung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gesteuert wird?

Saudi-Arabien verteidigt sich selbst und die Unterstützung für die jemenitische Regierung ist eine Pflicht im Sinne der Brüderlichkeit. Wer behauptet, Saudi-Arabien sei im Jemen einmarschiert, sagt nicht die Wahrheit. Denn die iranische Präsenz an der saudischen Grenze, angefangen mit den Militärmanövern der Huthis seit 2014, und die Präsenz des iranischen Projekts im Jemen bedrohen direkt Sicherheit, Stabilität und Frieden auf saudischem Boden. Saudi-Arabien hat einen hohen Preis im Jemen gezahlt: Reputation, Geld, Soldaten, Verletzung der territorialen Souveränität, Raketen, die im Osten des Landes einschlugen, dazu der Anschlag auf die und Förderanlagen von Saudi Aramco, die Schließung von Flughäfen, etwa in Dschazan, Nadschran und anderen Orten. Wir tun Saudi-Arabien Unrecht, indem wir zu viel verlangen. Wenn Deutschland in dieser Situation wäre, denselben Gefahren ausgesetzt wie Saudi-Arabien, würde es mit derselben Intensität kämpfen wie das Königreich, oder sogar noch härter.

 

»Die Huthis wollen ihren Waffennachschub nicht abreißen lassen«

 

Saudi-Arabien wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen zu begehen und Zivilisten zu töten, darunter auch Kinder.

Ich sage nicht, dass im Krieg keine Fehler gemacht werden. Aber wo liegt der Grund für diesen Krieg? Wer hat ihn ausgelöst? Wer machte die Entstehung der Koalition erst nötig? War es nicht der Putsch? Wurden nicht der Staats- und Ministerpräsident sowie das Parlament, die Parteien, die Generäle, die politischen Führer und die Menschenrechtsaktivisten verjagt? Die Huthis haben sie vertrieben. Nun leben sie in den südlichen Provinzen Marib und Taiz, die unter der Kontrolle der jemenitischen Regierung stehen, oder außerhalb des Landes. Der Rest von ihnen landete in den Gefängnissen der Huthis. Die Huthis haben sich schrecklicher Verbrechen an den Jemeniten schuldig gemacht. Und sie setzen zum Beispiel Frauen fest, die sich nicht an ihre Kleidervorschriften halten, sie bestrafen und zwangsrekrutieren Kinder.

 

Der Koalition wiederum wird vorgeworfen, durch die Blockade des Hafens von Hodeida die Lage für die Zivilbevölkerung zusätzlich zu verschlechtern.

Von welcher Blockade sprechen Sie? Im Hafen von Hodeida kommen alle Güter an und dort landen auch die Waffen für die Huthis. In den vergangenen Wochen und Monaten griff die US-amerikanische Marine einige Schiffe auf, die iranische Waffen für die Huthis transportieren und den Hafen von Hodeida passierten. Die Ladung von zwei iranischen Schiffen wurde beschlagnahmt, aber Dutzende weitere Transporte sind im Hafen von Hodeida gelandet. Wie soll Hodeidah denn unter Blockade stehen und gleichzeitig alle nördlichen Provinzen im Jemen mit Waren versorgen – Hilfsgüter, Nahrungsmittel, Kleidung, Elektrizität, Öl?

 

Im Rahmen des Stockholm-Abkommens hatten sich die Kriegsparteien im Jemen im Dezember 2018 auf eine humanitäre Waffenruhe für Hodeida verpflichtet, die von den Vereinten Nationen in der Stadt überwacht werden sollte.

Die Huthis haben sich aus zwei Gründen nicht an die Bedingungen gehalten, die das Stockholm-Abkommen vorgibt: Einerseits wollten sie ihren Waffennachschub nicht abreißen lassen, andererseits benötigen sie die Gelder aus Zöllen und Steuern auf Waren, die ihnen der Hafen beschert. Hodeida steht nicht unter Blockade. Die Koalition versucht dort lediglich – unter UN-Aufsicht –, den Waffenstrom einzudämmen.

 

»Deutschland hat uns im Stich gelassen«

 

Oman ist in den vergangenen Jahren immer wieder als Vermittler in Konflikten in der Region aufgetreten – auch im Jemen. Sehen Sie eine Änderung dieses Kurses nach dem Amtsantritt des neuen Sultans Haitham Bin Tariq am Horizont?

Nein. Oman betreibt eine klar umrissene Politik, die auch der neue Sultan fortführen wird. Es gab eventuell kleine Anpassungen, aber die Politik als solche hängt nicht von Stimmungen oder Personen ab, sondern folgt den Interessen des Landes. Wir rufen unsere Brüder im Oman auf, ihre Beziehungen zu Iran und den Huthis zu nutzen, um eine aktive Rolle zu spielen, um den Krieg zu stoppen, um eine umfassende politische Lösung zu erreichen, und um die Huthis von ihren Praktiken abzubringen, sei es die Unterdrückung von Freiheiten und Rechten oder das Verbot von Parteien.

 

Sie sind gerade auf diplomatischer Mission in Deutschland unterwegs. Erhoffen Sie sich, Berlin ein ähnliches Treffen wie die Libyen-Konferenz Anfang Januar auf die Beine stellen kann?

Die Vereinten Nationen sind beim Friedensprozess federführend und dabei wurden große Fortschritte gemacht. Alle weiteren Projekte müssen auf diesen Bemühungen aufbauen und sollten diese nicht konterkarieren. Deutschland ist ein Freund, der unter allen Umständen und in allen Phasen unterstützt hat, bis er uns im Stich gelassen hat. Wir fordern von Deutschland nur politische und technische Unterstützung für uns als Parlamentarier, um so eine Ende des Krieges und des Blutvergießens im Jemen zu erreichen, und um so ein politisches Abkommen zu erreichen, das gemäß unserer drei Referenzpunkte von den Vereinten Nationen umgesetzt wird.

 

Welche Schritte würden Sie sich konkret von der Bundesregierung erhoffen?

Deutschland ist für sich bedeutend und natürlich ob seiner führenden Rolle innerhalb der Europäischen Union. Wir hoffen, dass sich dieses Gewicht auch im Handeln widerspiegelt: Etwa in den deutsch-iranischen Beziehungen, um das Blutvergießen im Jemen zu stoppen, um Handlungsspielraum für humanitäre Hilfe zu schaffen, und um eine politische Lösung für die Krise im Jemen zu finden. Denn der Kriegszustand und seine Fortsetzung sind eine Katastrophe für den Jemen und die Jemeniten. Für den Jemen gibt es keine Wahl außer den Frieden.


Sultan Al-Barkani, geboren 1956, kommt aus der Stadt Taiz im Südwesten Jemens und ist seit 1993 Mitglied des jemenitischen Parlaments. Im April 2019 wurde er vom Rumpfparlament in der Stadt Sayun im Hadramaut als neuer Parlamentspräsident gewählt. Er ist Vorsitzender der »Allgemeinen Volkskongresses«, der Partei des langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh (1947-2017). zenith traf Sultan Al-Barkani Anfang März 2020 im Rahmen seines Deutschlandbesuchs.

Von: 
Sam Alrefaie

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