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Afghanisch-iranische Beziehungen

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Analyse
Afghanisch-iranische Beziehungen
Die 2014 aufgestellte, als »Liwa-e Fatemiyoun« oder »Hesbollah-e Afghanistan« bekannte Brigade der im Dienste Irans stehenden schiitischen Afghanen umfasste zu ihren besten Zeiten bis zu 20.000 Mann unter Waffen. Foto: Philipp Breu

Die Ereignisse von 1979 banden Afghanistan und Iran noch enger aneinander – heute beeinflusst selbst der Krieg in Syrien das Verhältnis der Nachbarn. Trotz der Handelsströme war die Beziehung Teheran–Kabul stets belastet. 

Reihe um Reihe sind ihre Grabplatten mit großen, farbigen Porträtaufnahmen aufgestellt. Allein in Behesht-e Zahra, dem größten Friedhof Irans in der Hauptstadt, geht ihre Zahl in die Hunderte. Es handelt sich um afghanische Staatsbürger, die im Dienste der iranischen Revolutionsgarden in Syrien und Irak gefallen sind.

 

Die zwei Länder pflegten seit 1935 ein freundschaftliches Verhältnis, bis 1979 auf beiden Seiten der Grenze Umbrüche fast zeitgleich alles änderten. Die Revolution vertrieb die Pahlavi-Dynastie und schuf eine Islamische Republik Iran mit Imam Khomeini als Revolutionsführer. In Afghanistan marschierten die Sowjets ein, es begann ein Bürgerkrieg, der bis heute andauert.

 

Die nach der Revolution ausgerufene Islamische Republik Iran verurteilte im Winter 1979 zunächst den Einmarsch der Sowjets und war langfristig als neu gegründete Schutzmacht der Schiiten weltweit besorgt, dass sich der Wahhabismus in Afghanistan ausbreiten würde.

 

Die Politik Irans zum Nachbarn war bis dahin geprägt vom Fokus auf die Hazara, einer ausschließlich zwölfer-schiitischen Gruppe, die in Religionsausübung und Sprache den Persern traditionell sehr nahestand. Die meisten der über 1,5 Millionen afghanischen Flüchtlinge, die in den Jahren nach Beginn des Krieges nach Iran strömten, waren ebenfalls Hazara.

 

Obwohl viele von ihnen Iran wieder verlassen haben, sind es heute noch mehr als eine Million registrierter und nicht registrierter Afghanen, die in Iran vor allem den untersten Lohnsektor als billige Arbeitskräfte dominieren. Sie arbeiten im ganzen Land als Tagelöhner auf Baustellen. Im Raum Yazd und Maschhad gibt es nahezu keine großen Teppichproduzenten mehr, die ihre Produkte nicht von afghanischen Billiglohnarbeitern weben lassen.

 

Obwohl das Land heute aggressiver als zuvor darauf drängt, dass die Flüchtlinge das Land verlassen, und gegebenenfalls auch abschiebt, würde sich das Fehlen unter Tarif bezahlter Hilfskräfte schwerer denn je auf die geschwächte iranische Wirtschaft auswirken. Wohl auch aus diesem Grund folgen den Worten iranischer Politiker bezüglich Massenausweisungen von afghanischen Flüchtlingen selten Taten.

 

Während sich Afghanen und Iraner sprachlich und kulturell sehr nahestehen, sieht es politisch und diplomatisch etwas komplizierter aus. 1985 rief Iran die Schiiten in Afghanistan offen dazu auf, sich dem Widerstand der Mudschaheddin gegen die Regierung in Kabul anzuschließen.

 

Den schwersten Rückschlag erlitten die Beziehungen der beiden Länder dann aber wohl 1998. Die Taliban waren gerade in schwere Schlachten mit der von Iran unterstützten Nordallianz verwickelt und hatten beinahe die nordafghanische Großstadt Mazar-e Sharif eingenommen. Als Pakistan aber anfing, die Taliban logistisch zu unterstützen, und die Dschihadisten am 8. August die Stadt und das iranische Konsulat besetzten, setzten die Taliban das benachbarte Kulturzentrum und eine Bibliothek in Brand und ermordeten elf iranische Diplomaten. Die Beziehungen zwischen dem durch die Taliban kontrollierten Afghanistan und Iran lagen danach auf Eis.

 

Nach dem Einmarsch der USA, ideologischer Erzfeind Irans, in Afghanistan Ende 2001 baute Teheran zu den Taliban teilweise deutlich bessere Beziehungen auf als zur eigentlichen Regierung in Kabul. Iran sah eine willkommene Möglichkeit, die Gruppe, die eigentlich auch für die Iraner alleine aus religiös-ideologischen Gründen diametral entgegensteht, für ihre Zwecke zu nutzen.

 

1985 rief Iran die Schiiten in Afghanistan offen dazu auf, sich dem Widerstand der Mudschaheddin gegen die Regierung in Kabul anzuschließen

 

So wurden die Taliban immer mal wieder unterstützt, wenn diplomatische Gespräche mit Afghanistan in einer Sackgasse zu stecken schienen, etwa beim Streit um Wasser in der Provinz Helmand, benannt nach Afghanistans längstem Fluss, auf den auch Irans Südostprovinz Sistan angewiesen ist.

 

Der US-amerikanische Thinktank RAND Corporation, der die US-Armee berät, ist sogar der Meinung, dass sich ein Zusammenhang zwischen amerikanischer Präsenz in Afghanistan auf der einen und iranischer Unterstützung der Taliban auf der anderen Seite nachweisen lässt. Laut einem bereits im Jahr 2011 veröffentlichten Paper stieg die Unterstützung immer dann signifikant an, sobald die US-Armee entweder zusagte, mehr Truppen zu schicken, oder wenn eine neue Offensive gegen die Taliban angekündigt wurde.

 

Etwa ab 2008 verbesserten sich die Beziehungen dann langsam. Staatsbesuche von Hamid Karzai und seinem Nachfolger Ashraf Ghani in Teheran sollten vor allem zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beitragen. Beide Länder importieren und exportieren gegenseitig heute so viele Waren untereinander wie nie zuvor. Iran hat mit seinen Investitionen außerdem maßgeblich zum Wiederaufbau der komplett zerstörten afghanischen Infrastruktur beigetragen. Viele Straßen und Stromnetzwerke des Landes wurden von iranischen Firmen gebaut.

 

Durch die verbesserte Situation an der Grenze ist allerdings auch die Ausfuhrmenge von Afghanistans Exportprodukt Nummer eins nach oben geschnellt: Opium. Die Droge muss durch Iran transportiert werden, um europäische und amerikanische Märkte zu erreichen. Teilweise wird die Rohmasse bereits hier zu Heroin weiterverarbeitet – und trifft auf der anderen Seite der Grenze auf eine wachsende Zahl von Konsumenten. In iranischen Städten im Grenzgebiet sind die Rauschmittel so leicht verfügbar, dass ein Gramm Opium umgerechnet 2,50 Euro oder sogar weniger kostet. Zum Vergleich: In Europa liegt der Preis bei etwa 35 Euro pro Gramm.

 

Heute ist das iranisch-afghanische Verhältnis ein Auf und Ab. Während sich die diplomatischen Beziehungen laut afghanischen und internationalen Beobachtern eher verschlechtert haben, verbessert Iran gezielt seine Kontakte zu Parteien, Gruppen und Individuen, die Teheran als nützlich betrachtet.

 

So hat Iran nicht nur die ohnehin engen Beziehungen zu den schiitischen Hazara, sondern auch zu den Tadschiken ausgebaut, etwa zur Partei »Koalition für Wandel und Hoffnung« von Abdullah Abdullah, der 2009 und 2014 beide Präsidentschaftswahlen zuerst gegen Hamid Karzai und dann gegen Ashraf Ghani verlor. Trotzdem wurde Ashraf Ghani im April 2015 zum Staatsbesuch nach Teheran eingeladen. Ein Großteil der Gespräche drehte sich um die Rückführung der über eine Million Afghanen, die in Iran leben.

 

So rudimentär die Unterstützung für den afghanischen Zentralstaat heute auch ausfällt, so sehr hat Teheran sein Engagement an einer anderen Front hochgefahren: Seit sich das Land dem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien und Irak angeschlossen hat, präsentiert sich Iran dort verstärkt als Schutzmacht der Schiiten und rekrutiert höchst erfolgreich Freiwillige. Logistische Unterstützung, Ausbildung und die Aussicht auf Sold haben Zehntausende afghanische Hazara nach Irak und Syrien gelockt, um als »Verteidiger der heiligen Schreine« in den Kampf gegen den IS zu ziehen.

 

Der Aufruf reichte sogar über die afghanische Grenze hinaus nach Pakistan – übrigens ebenso wie Afghanistan offiziell eine »Islamische Republik«. Iran investierte in beiden Ländern in ein Netzwerk aus gut organisierten Religionsschulen, Moscheen und Pilgerstätten und erlangte so flexiblen Zugriff auf Tausende loyale Schiiten, die nicht ihre jeweilige Staatsführung, sondern erst Ayatollah Khomeini und heute Revolutionsführer Khamenei als ihre Autorität anerkennen, wenn es um religiöse Belange geht.

 

Die afghanische Regierung verfolgt das ungenierte Auslesen billiger Frontsoldaten unter den eigenen Staatsbürgern mit immer größerem Unbehagen. Im August 2016 verhafteten die afghanischen Sicherheitskräfte Qurban Ghalambor, einen Mitarbeiter aus dem Stab von Revolutionsführer Ali Khamenei, unter dem Vorwurf der illegalen Anwerbung für eine auswärtige Macht.

 

Die 2014 aufgestellte, als »Liwa-e Fatemiyoun« oder »Hesbollah- e Afghanistan« bekannte Brigade der im Dienste Irans stehenden schiitischen Afghanen umfasste zu ihren besten Zeiten bis zu 20.000 Mann unter Waffen und hat wesentlich zu den Siegen der syrischen Regimekräfte in Aleppo, Palmyra und Deir ez-Zor beigetragen.

 

Angelockt durch umgerechnet 500–800 US-Dollar Sold im Monat und die Aussicht auf die iranische Staatsbürgerschaft, verbleiben die meisten Afghanen bis zu einem halben Jahr im Dienste der Revolutionsgarden, ehe sie wieder nach Iran zurückkehren. Nicht alle von ihnen kehren lebendig zurück.

 

Iranische Stellen haben im Januar 2018 offizielle Zahlen zu den Verlusten unter afghanischen Söldnern veröffentlicht: Über 8.000 Verwundete, etwa 2.000 Gefallene. Die meisten von ihnen liegen heute auf iranischen Friedhöfen in speziellen Sektionen für die »Verteidiger der Schreine« begraben.

 

Im November 2017 verkündete Iran den Sieg über den IS. Der offizielle, religiöse Grund für die Präsenz in den Nachbarländern fiel also erst mal weg und Teheran leitete die Verkleinerung der afghanischen Bataillone in die Wege. Langfristig Bestand haben wird dagegen die erheblich ausgeweitete Einflusssphäre über Afghanistan bis nach Pakistan. Die »Märtyrer« auf Irans Friedhöfen haben davon freilich wenig.

Von: 
Philipp Breu

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