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Irans Einfluss in Syrien

Damaskus in Flammen

Feature
Irans Einfluss in Syrien
Auch Teile des Buzuriyya-Marktes in der Altstadt von Damaskus wurden durch Brandstiftung verwüstet. SANA

Die syrische Hauptstadt wird offiziell vom Regime kontrolliert. Doch zwischen damaszenischem Mauerwerk und den Märkten der Stadt bereichern sich iranische »Investoren« und deren syrische Satrapen.

Am Morgen des 23. April 2016 geht der Asruniya-Markt in Flammen auf. Die Löscharbeiten dauern bis zum Abend, 80 der 200 Geschäfte auf dem Marktplatz werden zerstört. Die Stadtverwaltung behauptet, ein Stromausfall und ein anschließender Kurzschluss hätten das Feuer ausgelöst. Der Markt liegt im Herzen der Altstadt von Damaskus, unweit der Umayyaden-Moschee, des Al-Hamidiyah-Marktes und der Damaszener Zitadelle – er gehört zu den Wahrzeichen der Stadt. Seit Jahrhunderten werden hier Wasserpfeifen und Spielzeug, Haushaltswaren und Stoffe, Lebensmittel und Parfüm verkauft.

 

Während die Besitzer der ausgebrannten Geschäfte fassungslos vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, kommt von der Regierung kaum Hilfe. Mit schwerem Gerät werden Schutt und Asche beseitigt, doch der finanzielle Schaden bleibt. Viele Ladenbesitzer vermuten, dass Handlanger der iranischen Regierung hinter dem Brand stecken. Denn seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 versucht die Islamische Republik, historische Gebäude auf dem Markt aufzukaufen.

 

Indizien dafür gibt es viele. Zum Beispiel, dass der nahe gelegene Schrein der Sayyida Ruqayyah – der Tochter des schiitischen Imams Hussain – schnell wieder aufgebaut wurde. Die Grabanlage und die dazugehörige Moschee sind nun Teil einer großen Husseiniya Versammlungshalle, die umliegenden Gebäude mit iranischen Flaggen und Fotos von Qassem Soleimani geschmückt, der vor seinem Tod als Generalmajor die iranischen Qods-Brigaden befehligte.

 

Irans Einfluss in Syrien
Eine Propaganda-Veranstaltung der libanesischen Hizbullah im Sayyida-Zainab-Schrein von Damaskus Facebook

 

»Ich und andere Ladenbesitzer werden von einflussreichen iranisch-syrischen Personen unter Druck gesetzt. Sie drängen uns, unsere Geschäfte zu verkaufen«, sagt einer der Betroffenen gegenüber dem Autoren. Yassin J. verkauft in Asruniyah Haushaltswaren und Lebensmittel. Wie viele seiner Kollegen weigert er sich, sein Geschäft abzutreten. Die Reparaturen nach dem Brand habe er selbst finanziert, ebenso wie die teure neue Lizenz, die das Finanzministerium verlangte.

 

Hilfen für Händler wie Yassin J. kamen immerhin von der Handelskammer in Damaskus, die einen Sonderfonds für vom Brand betroffene Händler eingerichtet hatte. Doch der Wiederaufbau war an Bedingungen geknüpft. So wurden die Eigentümer aufgefordert, die zerstörten Ladenfassaden in einheitlichem Stil, Farbe und Baumaterial zu erneuern.

 

Doch der Brand auf dem Asruniya-Markt blieb in Damaskus kein Einzelfall. Im darauffolgenden Jahr 2017 brannte der Wollmarkt am Bab Al-Jabiya. 2020 dann der Bazuriyah-Markt, einer der bekanntesten und lukrativsten Marktplätze Syriens. Ein Ladenbesitzer dort, der anonym bleiben möchte, schildert, wie er Monate nach dem Brand Angebote zur Übernahme seines Ladens erhielt: »Diese Geschäfte haben wir von unseren Vorfahren geerbt, sie haben einen symbolischen Wert. Wir können sie auf keinen Fall aufgeben.«

 

Im Juli 2023 brennt mit dem Saruja-Markt in der Nähe der Al-Thawra- Straße ein weiterer historischer und denkmalgeschützter Ort ab, ohne dass die Behörden die wahren Brandursachen ermitteln. In Saruja gehen nicht nur Schuhfabriken und andere Geschäfte verloren, sondern auch die Häuser der einstigen Stadtelite. Zum Beispiel das von Abdel Al Rahman Pascha Al-Yusuf, dem Prinzen des Hadsch-Zentrums unter den Osmanen. Ein Damaszener Haus voller Ornamente, Holzarbeiten und osmanischer Dokumente.

 

Irans Einfluss in Syrien
Brandschäden nach dem Feuer auf dem Damaszener Asruniya-Markt SANA

 

Seit dem Ausbruch der Proteste in Syrien im März 2011 versucht Iran auch, in Damaskus seinen kulturellen und gesellschaftlichen Einfluss auszubauen. In den vergangenen zwölf Jahren ist es den Mittelsmännern aus Teheran gelungen, tief in Wirtschaftsleben und Kulturszene der Stadt einzudringen – mit einer Vielzahl von Methoden. Iraner kaufen Unternehmen und Immobilien, nehmen Einfluss auf die Kultur- und Bildungspolitik in den Schulen der Stadt und geben den Ton an religiösen Stätten und Heiligtümern an.

 

Wie das funktioniert, erklärt Khalil Al-Shatti. Der Syrer ist selbst Immobilienmakler und lebt in der Altstadt von Damaskus. Syrisch-iranische Makler würden hier mit ihren Angeboten zunächst oft auf Granit beißen, berichtet er. Doch am Ende entscheide, wer das beste Angebot mache. So sei es einer Gruppe von Iranern bereits 2015 gelungen, ganze Wohnblocks in der Nähe des berühmten Sayyida-Zeinab-Schreins im Stadtteil Amara zu erwerben, so der 50-jährige Makler. Es sind Investitionen für Jahrzehnte, die sich aus Sicht der iranischen Geschäftsleute trotz der hohen Kosten lohnen.

 

Gegen die schleichende Übernahme der eigenen Wirtschaft durch Iran könnte sich die syrische Regierung ohnehin nicht wehren, selbst wenn sie es versuchte. Ohne die militärische Unterstützung aus Teheran wäre das Regime längst zusammengebrochen. Laut dem iranischen Wirtschaftsportal Bazaar hat Iran 2022 mehr Waren nach Syrien exportiert, als von dort eingeführt. Zudem gewährt das Assad-Regime seinen iranischen Verbündeten immer wieder Kredite. So zeigen geleakte iranische Regierungsdokumente, dass Syrien in acht Großprojekte im Land investiert hat, etwa in Ackerland und Fabriken zur Herstellung von Milchpulver und Babynahrung.

 

Die iranische Regierung nutzt geschickt die sich verschlechternden Lebensumstände und miese Wirtschaftslage in Syrien

 

Die iranische Regierung nutzt geschickt die sich verschlechternden Lebensumstände und miese Wirtschaftslage in Syrien, um eigene Wohlfahrtsverbände, religiöse Einrichtungen, Schulen und Krankenhäuser zu eröffnen. Die finanzielle und materielle Unterstützung der notleidenden Bevölkerung geht Hand in Hand mit der Indoktrinierung durch die iranische Revolutionspropaganda. Für den syrischen Historiker Raed Abbas geht diese Praxis auf das Jahr 2005 zurück.

 

Damals habe Iran durchsetzen können, dass in den an Schulen und Universitäten angeschlossenen islamischen Seminaren religiöse und kulturelle Veranstaltungen stattfinden dürfen. Dazu gehören Freitagsgebete, religiöse Zeremonien, Dhikr-Veranstaltungen und Koranseminare. An diesen Schulen werde auch Persisch unterrichtet, so Abbas. Die zunehmende Durchdringung der Kultur- und Bildungspolitik lässt sich aus seiner Sicht vor allem daran ablesen, dass sich die persische Sprache an immer mehr Bildungseinrichtungen und Universitäten wie in Damaskus oder Aleppo durchsetzt.

 

Wie wirtschaftliche, religiöse und ideologische Einflüsse ineinandergreifen, lässt sich auch im Nordwesten Syriens, in Latakia, gut beobachten. Wenn Damaskus das Herz des Regimes ist, dann ist Latakia seine Halsschlagader. Der dortige Hafen unter syrisch-iranisch-russischer Kontrolle ist für das Regime überlebenswichtig. Hier legte Iran 2014 den Grundstein für das »Propheten-Haus«, der laut Historiker Abbas der Missionierung dient. Es handelt sich um eine Einrichtung, in der zahlreiche Schulen und Rechtsinstitute versammelt sind, die die schiitisch-dschafaritische Rechtsdoktrin lehren.

 

Von hier aus wird überdies die finanzielle Unterstützung von Familien koordiniert, deren Kinder iranische Schulen besuchen. Die Institution übernimmt die Kosten für Bücher, Schulweg und Unterkunft vor Ort. Auch in den religiösen Stätten entlang der syrischen Küste wachse der iranische Einfluss, meint Abbas. Teheran zahle für die Restaurierung von Gebäuden und für alawitisches Personal – solange dort schiitische Überzeugungen iranischer Prägung vermittelt werden.


Habib Shehada ist freier Journalist und schreibt unter anderem für das Webportal Syria Direct.

Von: 
Habib Shehada

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