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Sisi zu Besuch in Deutschland

Der Staatsempfang für Sisi ist ein strategischer Fehler

Kommentar

Eine Außenpolitik, die Diktatoren wie Abdelfattah El-Sisi stützt, um Stabilität und Sicherheit auf Kosten von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen zu erreichen, ist nicht nur normativ fragwürdig, sondern auch strategisch unklug.

Die Stabilität autokratischer Regime in der arabischen Welt steht auf keinem stabilen Fundament. Nur eine inklusive Einbindung von Ziviligesellschaft und marginalisierten Gruppen – dazu zählen in diesem Zusammenhang unter anderem Frauen, die Jugend, aber auch die Islamisten – im Rahmen eines Demokratisierungsprozesses können die sozioökonomischen und politischen Probleme und Spannungen langfristig lösen und damit für Stabilität sorgen.

 

Dass die Bindung des Besuchs von Ägyptens Staatspräsident Abdelfattah El-Sisi an Parlamentswahlen von der Bundesregierung beinahe kommentarlos fallen gelassen wurde, demonstriert die Prioritäten der Großen Koalition im Umgang mit der Arabischen Welt. Die Lehre für die Diktatoren dort und anderswo lautet demnach, dass vereinbarte Voraussetzungen für eine diplomatische Annäherung nicht einmal das Papier wert sind, auf denen diese übermittelt werden. Das Diktum »Stabilität und Sicherheit vor Demokratie und Menschenrechten«, das die westliche Außenpolitik gegenüber der Region bis 2011 prägte, erlebt so ein phänomenales Comeback.

 

Beim Besuch des ägyptischen Präsidenten geht es nicht primär darum, den Dialog mit einer strategisch bedeutenden Regierung in der Region zu normalisieren. Dialog und funktionale Zusammenarbeit in bedeutenden Bereichen wie zum Beispiel zwischen Sicherheitsapparaten im Rahmen der Terrorbekämpfung und dem Kampf gegen »illegale« Migration fand ebenso unter Sisis Vorgängern Mubarak und Mursi statt und ist auch ohne einen solchen Staatsbesuch möglich.

 

Obwohl der Umfang der staatlich orchestrierten politischen Tötungen und Verhaftungen in Ägypten ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat, wird dies nur eine Randnotiz des Staatsbesuches von Präsident Sisi sein, der heute in Berlin von Präsident Gauck mit militärischen Ehren empfangen wird. Ebenso wird das gestrige Ausreiseverbot für zahlreiche ägyptische oppositionelle und Menschenrechtsaktivisten die politischen Gespräche vermutlich kaum beeinflussen. Einzig das aus der Reihe fallende politische Signal von Parlamentspräsident Norbert Lammert sorgt für einen Gewissen moralischen Anstrich der deutschen Position.

 

Die Berliner Außenpolitik macht sich beim ägyptischen Volk mit einem roten Teppich für Sisi keine Freunde

 

Offensichtlich liegen die Prioritäten der Großen Koalition anders. Der unterschriftsreife Siemens-Deal, welcher in Berlin unterzeichnet werden soll, scheint bedeutender für die Leitlinien deutscher Außenpolitik zu sein als die Menschenrechtsverbrechen der neuen Regierung in Kairo. Stabilität in Partnerschaft mit Autokraten als außenpolitisches Paradigma basierend auf wirtschaftlichen Interessen von bedeutenden deutschen Firmen scheinen der Merkel-Regierung wichtiger zu sein als ein politisches Zeichen gegen systematische Verfolgung und Despotie.

 

Letztlich ist dieser Staatsbesuch ein Schuss vor den Bug für die Millionen Ägypter und Ägypterinnen, die 2011 für Freiheit, Würde und ein Ende von Korruption und Polizeiterror auf die Straße gegangen sind. Die Berliner Außenpolitik macht sich beim ägyptischen Volk mit einem roten Teppich für Sisi keine Freunde. Sobald die scheinbare Stabilität in Ägypten erste Risse bekommt, wird sich so mancher in Berlin noch fragen, warum aus den arabischen Aufständen von 2011 keine Lehren gezogen wurden.


Ilyas Saliba ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und forscht zur Stabilität autokratischer Regime während der Arabischen Aufstände 2011. Momentan hält er sich für einen Forschungsaufenthalt in Kairo auf.

Von: 
Ilyas Saliba

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