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Konter-Terrorismusstrategie im Jemen

Al-Qaida vs. Predator

Feature

Die Kritik über die amerikanische Konter-Terrorismusstrategie im Jemen wird in den USA immer lauter. Können die US-Drohneneinsätze für das Erstarken »Al-Qaidas auf der Arabischen Halbinsel« im Jemen verantwortlich gemacht werden?

Der Jemen spielt insbesondere seit dem Al-Qaida-Anschlag auf die USS Cole in der südlichen Hafenstadt Aden im Jahr 2000 eine bedeutende Rolle in der amerikanischen Außenpolitik. Seitdem gilt der Terrorismus, der von dem schwachen Staat ausgeht, als eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA. Aus diesem Grund steht der Krieg gegen den internationalen Terrorismus im Mittelpunkt der jemenitisch-amerikanischen Beziehungen. Mittlerweile ist der Jemen zur Hauptfront in diesem Krieg geworden.

 

Fast schon wie es US-Senator Joseph Lieberman vor drei Jahren prophezeite: »Irak war der Krieg von gestern, Afghanistan ist der Krieg von heute, und wenn wir nicht rechtzeitig handeln, wird Jemen der Krieg von morgen sein.«

 

Die Herangehensweise der Amerikaner fußt auf der Annahme, der Jemen sei ein gescheiterter Staat, ein »failed state« und biete dadurch Al-Qaida eine sichere Operationsbasis. Aus diesem Grund setzt die US-Regierung auf einen breiten Ansatz zur Bekämpfung des Terrorismus im Jemen.

 

USAID, die amerikanische Behörde für internationale Entwicklung, wurde 2003 nach einer siebenjährigen Pause aktiv im Jemen. In ihrer Landesstrategie setzt die Behörde auf Maßnahmen, die der Instabilität des armen arabischen Landes entgegenwirken sollen. Ein zentrales Ziel ist es deshalb, durch Projekte in den Bereichen Good Governance, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und Sicherheit die Lebensbedingungen benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu verbessern und staatliche Kapazitäten zu stärken, um so Extremismus entgegenzuwirken. Dabei setzt die US-Regierung auf eine sehr enge Zusammenarbeit mit der jemenitischen Regierung und ihren Ministerien.

 

Seit 2007 haben unterschiedliche US-Behörden insgesamt 642 Millionen US-Dollar für den Jemen bereit gestellt. Diese Summe beinhaltet sowohl zivile, als auch militärische Unterstützung. Sie umfasst aber nicht die Finanzierung der Geheimoperationen der US-Regierung, die parallel zu der Entwicklungszusammenarbeit stattfinden.

 

Die Drohneneinsätze der USA, die sowohl von der CIA als auch vom US-Militär durchgeführt werden, gelten im Allgemeinen als geheim. Erst seit 2012 nehmen Mitglieder der US-Regierung klar Stellung zu den umstrittenen Einsätzen. Von der US-Regierung werden die Einsätze damit begründet, dass auf diese Weise die Gefahren für US-Soldaten, sowie die Kosten für die US-Administration minimiert werden können. Auf Bodentruppen, die sinnbildlichen »boots on the grounds«, kann nun zu Gunsten des Angriffs aus der Ferne verzichtet werden. Zudem vereinen die Drohnen Aufklärungs- sowie Kampfkapazitäten und sind deshalb vielseitig einsetzbar.

 

Seit zehn Jahren fliegen US-Drohnen Einsätze im Jemen

 

Erfolgreiche Einsätze der Drohnen dienen zudem als Legitimitätsgrund für ihre Verwendung. Einen Erfolg erzielten die Drohnen auch im Jemen. Hier fand der erste bekannte Drohneneinsatz der Amerikaner im Jahr 2002 statt. Der erste Einsatz einer Drohne im Jemen liegt somit nun schon zehn Jahre zurück. Er folgte auf einen Al-Qaida-Angriff auf das US-Militärschiff Cole im Jahr 2000 im Hafen von Aden, bei dem 17 Soldaten ums Leben kamen. Damit begann eine enge Kooperation der jemenitischen und amerikanischen Regierung gegen den Terrorismus.

 

Am 3. November 2002 wurde eine Drohne von Dschibuti aus in den Jemen geschickt. Diese schoss eine Hellfire-Rakete auf ein Fahrzeug, in dem sich einige Al-Qaida-Mitglieder befanden. Ziel des Einsatzes war Abu Ali Al-Harithi, er galt als ein führendes Mitglied der Organisation und soll in den Anschlag auf die USS Cole verwickelt gewesen sein.

 

Mit dem Drohneneinsatz, der Festnahme von Al-Qaida-Mitgliedern durch die jemenitische Regierung und letztlich der Dialogbereitschaft auf Seiten der Dschihadisten, konnte die Organisation vorläufig zerschlagen werden. Somit verschwand der Jemen auch vorerst vom sicherheitspolitischen Radar der Amerikaner, die sich nun zunehmend dem Irak und Afghanistan zuwandten.

 

Im Jahr 2009 tauchte der Jemen jedoch schlagartig wieder auf den sicherheitspolitischen Agenden der USA und vor allem in der internationalen Presse auf. »Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel« (AQAP) hatte sich im Januar desselben Jahres reformiert und die neugefundene Stärke der Organisation wurde immer offensichtlicher.

 

Im September 2008 führte die Gruppe einen Anschlag auf die US-Botschaft in Sanaa aus, bei dem 18 Jemeniten und eine Amerikanerin ums Leben kamen. Im März 2009 riss ein Selbstmordattentäter vier koreanische Touristen in den Tod. Darüber hinaus soll der Todesschütze von Fort Hood, ein US-Soldat irakischer Abstammung, der im November 2009 13 Menschen tötete sowie 29 verletzte, Verbindungen zu dem jemenitischen Al-Qaida-Zweig gehabt haben.

 

Aufgrund der Gefahr, die von Al-Qaida im Jemen ausging, kam es zwischen dem 17. und 22. Dezember 2009 zu Angriffen durch die Predator-Drohnen auf jemenitischem Territorium. Bei den Drohnenangriffen in Abyan und weiteren auf vermeintliche Ausbildungslager in der Umgebung der Hauptstadt Sanaa wurden einige Al-Qaida-Mitglieder getötet. Andere Mitglieder, die als Ziel der Angriffe galten, überlebten. Was jedoch der lokalen Bevölkerung in Erinnerung blieb, sind die zahlreichen Toten unter der Zivilbevölkerung.

 

Militärhilfe für den staatlichen Repressionsapparat

 

Nach den Angriffen zeigte sich die Al-Qaida-Führung zum ersten Mal in der Öffentlichkeit. Vor einer versammelten Menschenmenge sprach ein Mitglied der Organisation über die gefallenen »Märtyrer« und erklärte Amerika zum Feind. So konnte Al-Qaida die zivilen Opfer für sich nutzen, um Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen.

 

Wenige Tage später, am 25. Dezember 2009, antwortete Al-Qaida schließlich mit einem Anschlag auf ein Passagierflugzeug über dem Himmel von Detroit, der jedoch an der Wachsamkeit eines mitreisenden Flugpassagiers scheiterte. Er konnte den Attentäter überwältigen und so die Detonation des Sprengstoffs verhindern.

 

Dem gescheiterten Angriff auf das amerikanische Flugzeug folgte eine explosionsartige Erhöhung der US-Militärhilfe für den Jemen. Das jemenitische Militär liegt fest in der Hand der Präsidentenfamilie: die wichtigsten Posten sind durch Familien- bzw. Stammesmitglieder des Präsidenten besetzt. Die Militärhilfe ging also direkt in den Aufbau des staatlichen Repressionsapparats und in die Taschen der Saleh-Familie. Viel mehr als dem Kampf gegen Al-Qaida nutzte die Militärhilfe der Stabilität des Regimes.

 

Gleichzeitig floss wegen sinkender Erdöleinnahmen stetig weniger Geld durch das Patronagenetzwerk des Saleh-Regimes. Regelmäßige Zahlungen an Stammesführer, die zur Stabilität des Systems beitragen sollten, wurden durch ad-hoc Zahlungen ersetzt. Dies führte zu einem Legitimitätsverlust des Regimes, welchen es durch die ausgebauten Repressionskapazitäten nun ausgleichen konnte.

 

Seit 2010 wurde deshalb der Einsatz des Militärs gegen die Zivilbevölkerung insbesondere im Süden zu einer Normalität. Hier ging die Regierung aggressiv gegen die unbewaffnete Sezessionsbewegung vor. Zeitgleich setzten die Amerikaner weitere Drohnen ein, wie zum Beispiel 2010 in Marib, wo ein bekannter Stammesführer durch den Angriff getötet wurde.

 

Die Predator-Drohne erlebt ihren Frühling

 

Vor allem seit den landesweiten Aufständen von 2011 hat sich die Richtung in der amerikanischen Anti-Terrorismusstrategie verschoben. Aus Angst, Präsident Saleh könnte die von den Amerikanern unterstützen jemenitischen Anti-Terrorismustruppen nutzen, um die 2011 entstandene Demokratiebewegung zu zerschlagen, wurden die Mittel gekürzt und Militärberater aus dem Land abgezogen. Parallel dazu nahm die Anzahl der ferngesteuerten Drohnenangriffe im Jemen drastisch zu.

 

Allein in den vergangenen vier Monaten wurden mindestens neun solcher Einsätze geflogen und Berichte über die Tötung möglicher Al-Qaida-Mitglieder durch Drohneneinsätze häufen sich. Zuletzt wurde das Mandat für die Drohnen ausgeweitet, sodass das US Militär und der CIA auf Verdacht Drohnen einsetzen können. Und dies ohne die Identität der Personen genau zu kennen.

 

Der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta verteidigt die Ausweitung der Drohneneinsätze. Sie würden lediglich auf »jene Terroristen« oder »jene Al-Qaida-Terroristen« abzielen, die eine Bedrohung für die USA darstellten. Weiter seien sie nicht breit angelegt, sondern präzise. Die USA würden also nicht in einen lokalen Bürgerkrieg verwickelt.

 

Doch scheint diese Aussage den realen Bedingungen vor Ort zu widersprechen. Gerade bei Angriffen auf Verdacht sind präzise Eingriffe qua Definition unmöglich. Gregory Johnsen, Jemen-Experte an der Princeton University, vertritt seit 2009 vehement den Standpunkt, dass diese Drohnenangriffe das jemenitische Volk in die Arme der Terrororganisation treiben. Ähnlich äußerte sich der frühere CIA-Antiterror-Experte Robert Grenier.

 

Seit 2009 hat sich die Zahl der Al-Qaida-Kämpfer im Jemen verdreifacht

 

Auch im Jemen äußert sich die Bevölkerung immer kritischer über die Drohnen. Es wurden bereits Demonstrationen gegen den Einsatz der umstrittenen Flieger abgehalten und auf Twitter haben jemenitische Aktivisten eine Kampagne gegen die Drohnen gestartet. Unter dem Hashtag #NoDrones, tuen sie ihren Unmut kund und protestieren gegen die US-Strategie im Jemen. Die Aktivisten sind davon überzeugt, dass aus den Drohneneinsätzen mehr Extremismus entsteht.

 

Es ist deutlich, dass die US-Strategie im Jemen von Al-Qaida ausgenutzt werden kann. Dies aus drei Gründen: 1) Die zivilen Opfer, die durch die Angriffe zu Stande kommen, treiben Betroffene in die Arme der Organisation. 2) Allein die Tatsache, dass amerikanische Einsätze auf jemenitischen Boden durchgeführt werden, kann Al-Qaida nutzen, um sich selbst und ihren Krieg gegen die Amerikaner zu legitimieren. 3) Dass die jemenitische Regierung den Kampf gegen den internationalen Terrorismus unterstützt und dadurch offenbar auch bereit ist, zivile Opfer in Kauf zu nehmen, kann Al-Qaida ferner dazu nutzen, um den Staat zu delegitimieren.

 

Allein der Umstand, dass sich die Anzahl der Al-Qaida-Kämpfer im Jemen seit 2009 offenbar mindestens verdreifacht hat, ist – um es mit den Worten von Sicherheitsexperten Joshua Foust auszudrücken – kein »High-Five-Moment« für die Amerikaner und ihre Drohnenstrategie. Dennoch dürfen bei der Frage, was zu der Stärkung Al-Qaidas im Jemen geführt hat, andere Faktoren nicht vernachlässigt werden.

 

So zum Beispiel die Interessen des jemenitischen Regimes an der Zusammenarbeit mit den Amerikanern gegen Al-Qaida, die Rolle und Entwicklung des militanten Islamismus im Jemen im Allgemeinen, die schwache Staatlichkeit des Jemens und andere Faktoren, die durch die Anti-Regime-Proteste des Arabischen Frühlings bedingt wurden.

Von: 
Mareike Transfeld

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