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Türkei, NATO und Rüstung

Erdoğans Wiederannäherung an den Westen

Analyse
Türkei, NATO und Rüstung
Flickr / NATO

Warum Erdoğans pro-westliche Wendung den Druck auf Berlin erhöht, die restriktive Haltung zum Rüstungsdeal mit Ankara zu revidieren.

Seine Glückwünsche zum siebzigsten Geburtstag des türkischen Präsidenten überbrachte Wladimir Putin Anfang der Woche telefonisch. Die beiden hatten zuletzt im vergangenen Oktober miteinander gesprochen. Zu besseren Zeiten ihres Verhältnisses gehörte ein monatlicher Austausch per Telefon zur politischen Routine.

 

Es steht nicht zum Besten zwischen Moskau und Ankara. Das belegt auch die kurzfristige Absage des für Mitte Februar geplanten Besuches des russischen Präsidenten in der Türkei. Es mehreren sich die Anzeichen einer Eintrübung des russisch-türkischen Verhältnisses. Diese Entwicklung geht einher mit einer bemerkenswerten Verbesserung des Verhältnisses der Türkei mit dem Westen; von Ansätzen einer Normalisierung ist hier und da bereits die Rede.

 

»Die Anzahl der Fragen, in denen wir mit den Vereinigten Staaten übereinstimmen, nimmt zu«, erklärte Erdoğan auf dem Rückflug von seinem kürzlichen Besuch in Ägypten. Über Monate dümpelten die Beziehungen zwischen Washington und Ankara im Keller. Derart belastet schien das Verhältnis, dass in Washington Gedankenspiele über eine NATO ohne türkische Beteiligung die Runde machten.

 

Ende der Abwärtsspirale

 

Den Wendepunkt in der Abwärtsspirale bildete die lange herausgezögerte Ratifizierung des schwedischen NATO-Beitritts seitens der Türkei. Am Ende ging es dabei gar nicht mehr um das skandinavische Land. Als Gegenleistung für die Aufgabe der Blockade erhandelten die Türken Washingtons Zustimmung zur Lieferung hochmoderner Kampfjets vom Typ F 16.

 

In einem komplexen, zeitlich abgestimmten Verfahren kombinierten die Amerikaner den Verkauf der F-16-Jets an Ankara mit der Zusage an die Griechen zur Lieferung von technologisch fortgeschrittenen Fliegern der Klasse F 35. Bei dieser Gelegenheit ließ Washington die zerstrittenen Verbündeten an der Südostflanke der Allianz diskret, aber bestimmt wissen, dass das Fluggerät nicht dafür bestimmt sei, gegen den jeweils anderen eingesetzt zu werden.

 

Die US-türkischen Beziehungen erleben eine neue, positive Dynamik. Kaum hatte der US-Kongress dem Waffengeschäft mit Ankara zugestimmt, sorgte eine Ankündigung der stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland für Aufsehen: »Wenn wir dieses S 400-Problem in den Griff bekommen, was wir gerne täten, würden sich die Vereinigten Staaten sehr darüber freuen, die Türkei wieder in die F 35-Familie aufzunehmen.«

 

Zur Erinnerung: Washington hatte die Türken 2019 aus dem Programm zur Produktion der F 35 herausgeworfen, nachdem Erdoğan das russische Raketenabwehrsystem S 400 gekauft hatte. Wie kaum ein anderes Thema haben Putins Raketen seither das Verhältnis zwischen Ankara und Washington vergiftet.

 

Auch wenn es keine Anzeichen gibt, dass Erdoğan bereit ist, die russischen Waffen zu entsorgen, belegt allein die verklausulierte Einladung der Amerikaner in Sachen F 35 das gesteigerte Interesse Washingtons an einem politisch-diplomatischen Neubeginn. In einer Zeit, in der die Gefahren eines neuen großen Krieges immer lauter beschworen werden, gehören internationale Rüstungsgeschäfte zu den beherrschenden Themen. Als Abnehmer und zunehmend auch als Produzent von modernem Kriegsgerät spielt die Türkei hier eine wachsende Rolle.

 

Anders als die F-16- und F-35-Thematik, die über Wochen die Schlagzeilen in Griechenland und der Türkei bestimmte, findet die geostrategisch nicht minder bedeutsame Entscheidung, Athens und Ankaras der europäischen Sky-Shield-Initiative beizutreten, ein vergleichsweise geringes Echo in der Öffentlichkeit.

 

Hierbei handelt es sich um eine deutsche Initiative, die Ende 2022 vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine entstanden ist. Nach Einschätzung der NATO – und Berlins – hat Putins Angriffskrieg offengelegt, dass zusätzliche alliierte Anstrengungen gerade auch in der Luftverteidigung nötig seien. Die neue Initiative soll dazu beitragen, Lücken im europäischen Luftverteidigungssystem zu schließen.

 

»Ein weiterer Schritt der Normalisierung«

 

Dabei geht es den Strategen insbesondere um die Abwehr von ballistischen Raketen, die große Höhen erreichen, sowie um die Bekämpfung von Drohnen und Marschflugkörpern. Dass die Verteidigungsminister der Türkei und Griechenlands, Yaşar Guler und Nikos Dendias, die Absichtserklärung zum Beitritt zur europäischen Raketeninitiative gemeinsam unterschrieben haben, verweist auf das in den zurückliegenden Monaten deutlich verbesserte Verhältnis zwischen Athen und Ankara.

 

Politisch bedeutsam ist die türkische Unterschrift nicht zuletzt für Ankaras Verhältnis zum Westen. Denn erst nach der türkischen Ratifizierung zum schwedischen NATO-Beitritt ist die Einladung an die Türkei ergangen. Der Vorgang kann daher als ein weiterer Schritt auf den Weg zur Normalisierung des Verhältnisses der Türkei mit der westlichen Allianz bewertet werden. Schon wird spekuliert, dass Ankaras Teilhabe an dem von Berlin inspirierten europäischen Raketenschirm positive Auswirkungen auf die rüstungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei haben könnte.

 

Das Auge fällt dabei umgehend auf das erklärte Interesse der Türkei am Kauf von Kampflugzeugen des Typs Eurofighter Typhoon. Das zweistrahlige Mehrzweckkampfflugzeug wird von einem europäischen Konsortium produziert, an dem das Vereinigte Königreich, Spanien, Italien und Deutschland beteiligt sind. Während London und Madrid an einem lukrativen Waffendeal mit Ankara interessiert sind, und der türkische Verteidigungsminister erst in diesen Tagen wieder in London zum Thema verhandelt, scheitert das Geschäft bislang am Widerstand Berlins.

 

Eurofighter für Ankara? Berlin vor neuen Herausforderungen

 

Tatsächlich kommt die Bundesregierung nun in Erklärungsnot, ihre Veto-Position in der Eurofighter-Frage aufrechtzuerhalten, während sie gleichzeitig die Türkei in die strategisch bedeutsame westliche Rüstungsinitiative einbezieht.

 

Mit Verweis auf eine Quelle im türkischen Verteidigungsministerium berichtet der türkische Dienst der BBC, dass Ankara mit einer »positiven Haltung« Berlins rechne. Im Auswärtigen Amt will man sich zu dieser Frage nicht äußern. »Grundsätzlich hat die restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung weiterhin Bestand«, heißt es auf Nachfrage.

 

Ähnlich ausweichend äußerten sich Regierungsvertreter auch in Bezug auf Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien. Berlins kürzliche Zustimmung zum Verkauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen an Riad hat türkischen Hoffnungen in Bezug auf die Eurofighter neue Nahrung gegeben.


Dr. Ronald Meinardus ist Senior Research Fellow bei der »Hellenischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik« (ELIAMEP).

Von: 
Ronald Meinardus

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