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Türkischer Drohnenhersteller Selçuk Bayraktar

Aufstieg von ganz oben

Portrait
Türkischer Drohnenhersteller Selçuk Bayraktar
tolgaozbekcom / Wikimedia Commons

Der Drohnenhersteller Baykar Tech ist der Stolz der türkischen Rüstungsindustrie. Für CTO Selçuk Bayraktar könnte das Familienunternehmen zum Trittbrett für eine erstaunliche politische Karriere werden.

Aufgenommen zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, wurde ein Lied des ukrainischen Sängers Taras Borovok über Nacht zum Hit: »Die Besatzer kamen zu uns in die Ukraine / Die Uniform brandneu, Militärfahrzeuge / Aber ihr Inventar ging in die Luft ... / Bayraktar … Bayraktar …«

 

Besungen wird in dem Lied eine Kampfdrohne, die »Bayraktar TB2« des türkischen Rüstungsunternehmens Baykar Tech. Unternehmenschef Haluk Bayraktar erhielt dafür im September 2022 sogar den ukrainischen Verdienstorden, so erfolgreich war die von ihm produzierte Waffe in den ersten Kriegswochen. Dabei ist eigentlich sein jüngerer Bruder Selçuk verantwortlich für die Entwicklung der Drohne.

 

Geboren wurden die beiden Brüder im Umland von Istanbul, wo Vater Özdemir Bayraktar 1986 den Autozulieferer Baykar Makina gründete. Sein Sohn Selçuk entwickelte früh ein Faible für Technik. Nachdem er eine der besten Schulen des Landes besucht hatte, studierte er Ingenieurwesen an der Technischen Universität Istanbul und erhielt ein Stipendium für einen Master in den USA, wo er später als Forschungsassistent am Institut für Astronautik und Aeronautik am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitete.

 

Im Laufe seiner rasanten akademischen Karriere veröffentlichte Selçuk Bayraktar zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, doch die Leidenschaft des heute 44-Jährigen ist die Praxis. 2007 kehrte der jüngere Bayraktar-Bruder deshalb in die Türkei zurück und ist im Familienunternehmen seitdem für die technologischen Fragen zuständig – insbesondere die Entwicklung unbemannter Flugobjekte hat er entscheidend vorangebracht.

 

Der Auf- und Ausbau der landeseigenen Militärindustrie ist seit Jahrzehnten Teil der türkischen Staatsdoktrin – und die TB2-Drohne symbolisiert wie kein anderes Projekt den technologischen Fortschritt, die militärische Stärke und den türkischen Nationalstolz in diesem Sektor.

 

Die »Drohnendiplomatie« nimmt in der türkischen Außenpolitik einen immer wichtigeren Platz ein

 

Profitiert hat das Familienunternehmen auch vom Aufstieg des politischen Islams. Vater Özdemir war ein Vertrauter von Necmettin Erbakan, dem Vater des politischen Islams in der Türkei, der in den 1990er-Jahren auch den damaligen Istanbuler Bürgermeister Recep Tayyip Erdoğan beraten hat. Endgültig vereint wurden die Familien 2016 durch die Heirat von Selçuk Bayraktar und Sümeyye Erdoğan, der jüngsten Tochter des Präsidenten.

 

Das erste Mal kam die Bayraktar TB2 gegen PKK-Kämpfer in der Türkei selbst zum Einsatz. Später folgten Missionen in Syrien und Libyen. Ende 2020 machte der Einsatz der Drohne durch die Streitkräfte Aserbaidschans im Krieg um Bergkarabach weltweit Schlagzeilen. Ebenso in den ersten Kriegswochen nach der russischen Invasion in der Ukraine, als die Verteidiger mit Hilfe der Drohnen einige spektakuläre Erfolge erzielen konnten.

 

Seither wurde aber auch deutlich, dass das Kriegsgerät deutliche Schwächen aufweist, etwa gegen funktionierende Flugabwehrsysteme. Experten bescheinigen dem einstigen Vorzeigeprojekt mittlerweile eher eine durchschnittliche Performance. Die Nachfrage boomt dennoch: Inzwischen haben zahlreiche Staaten – vor allem in Afrika, Zentralasien und am Persischen Golf – Bestellungen aufgegeben. Besonders attraktiv sind die vergleichsweise geringen Kosten und die schnellen und unkomplizierten Genehmigungsverfahren durch Ankara.

 

Heute spielt die sogenannte Drohnendiplomatie in der türkischen Außenpolitik eine wichtige Rolle. Aber auch innenpolitisch sind die TB2 und der Hersteller immer wieder Thema. Im Wahlkampf 2023 setzte Schwiegervater Erdoğan erfolgreich auf Nationalismus und Militarismus – und wurde nicht müde, die technologischen Errungenschaften des Baykar Konzerns zu betonen. Das neuste Modell, der unbemannte Kampfjet Kızılelma (zu Deutsch: »Roter Apfel«), stand dabei im Fokus. Auch Selçuk Bayraktar mische sich ein, kritisierte Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu sowie dessen Verbündeten Ali Babacan und warnte vor einem Regierungswechsel, der die heimische Militärindustrie schwächen könnte.

 

Das Wort des Drohnenbauers hat in der Türkei Gewicht. Auf Twitter folgen ihm 2,8 Millionen Menschen, in türkischen Medien ist er ein gern gesehener Gast, und darüber hinaus hat Bayraktar sich als Initiator sozialer Projekte in den Bereichen Bildung, Technologie und Gesundheit engagiert. Die von ihm angestoßenen und mitorganisierten Luftfahrtmessen unter dem Label »Teknofest« sind ein Publikumsmagnet – in Istanbul kamen dieses Jahr rund 2,5 Millionen Besucher, in Ankara immerhin eine Million. Gerüchten zufolge spielten die Bayraktar-Brüder sogar eine entscheidende Rolle dabei, Erdoğan von einem Kurswechsel in der Zins- und Wirtschaftspolitik zu überzeugen.

 

So mehren sich Berichte und Spekulationen über eine mögliche politische Karriere des »Herrn der Drohnen«. Der Oppositionssender HalkTV sieht in Selçuk Bayraktar einen potenziellen Herausforderer für den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu 2024 – andere Beobachter gar einen Erdoğan-Nachfolger für das Jahr 2028. Bayraktar wäre nicht der erste Erdoğan-Schwiegersohn in der Regierung. Berat Albayrak leitete erst das Energie-, dann das Finanzministerium – jedoch mit überschaubarem Erfolg.

 

Bisher hat der Drohnenentwickler eine Karriere in der Politik kategorisch ausgeschlossen. Das änderte sich mit einem Interview Anfang September. »Wenn der Kampf es erfordert«, so Selçuk, »werden wir uns natürlich nicht zurückziehen.«

Von: 
Marc Imperatori

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