Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi über Flügelkämpfe vor den Wahlen, den wahren Nutzen von Menschenrechtspreisen – und Teherans zweigleisige Syrien-Strategie.
zenith: Sie haben 2003 für Ihr Engagement den Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Wenn Sie nun in der Position wären, etwas im Iran zu verändern, was wäre das?
Schirin Ebadi: Als Erstes würde ich dafür sorgen, dass unter der Aufsicht der UNO freie und demokratische Wahlen im Iran abgehalten würden.
Im Juni 2013 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Mahmud Ahmadinejad darf nicht mehr antreten. Was kommt nach ihm?
Die Situation im Iran ist kompliziert und komplex. Es ist zwar richtig, dass Ahmadinejad nicht ein drittes Mal hintereinander Präsident werden darf, aber er bemüht sich darum, eine weitere Person aus seiner Clique an die Macht zu bringen. Das möchte Ali Khameini, der Oberste Rechtsgelehrte, selbstverständlich verhindern. Die Reformkräfte wiederum versuchen durchzusetzen, dass eine freie demokratische Wahl stattfinden kann.
Schirin Ebadi
ist Juristin und war die erste weibliche Richterin in der Geschichte Irans. Für ihr Menschenrechtsengagement erhielt sie 2003 den Friedensnobelpreis. Seit 2009 lebt sie im Exil in Großbritannien.
Es ist nicht einfach, Voraussagen zu treffen. Man kann aber sagen, dass die Revolutionsgarden entscheidend sein werden. Die Seite, die sie unterstützen, wird die Macht an sich reißen. Dabei steht eines fest: Die Revolutionsgarden werden sich nicht auf die Seite der Reformkräfte schlagen.
2009 protestierte die »Grüne Bewegung« gegen die mutmaßliche Wahlfälschung, das Regime ging dagegen mit aller Härte vor. Heute hat man den Eindruck, dass die Opposition entmutigt und zum Schweigen gebracht worden ist. Stimmt das?
Die Opposition ist nicht zum Schweigen gebracht worden. Die Demonstrationen in den Straßen haben ein Ende gefunden, das ist richtig. Aber auf der anderen Seite ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung größer geworden. Diese unzufriedenen Menschen schweigen jetzt. Aber sie warten nur auf einen Funken, um wieder ihre Stimmen zu erheben.
Was könnte so ein Funke sein, Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen?
Angesichts der Tatsache, dass die Armut im Iran zugenommen hat, denke ich, dass dieser Funke ein ökonomischer Funke sein wird.
Beispielweise eine starke Inflation, wie es sie im vergangenen Herbst gab?
Niemand weiß, wann und wo dieser Funke entzündet wird. Die Armut im Iran hat ein solches Ausmaß erreicht, dass sogar das Regime sehr unruhig geworden ist. Immer mehr Fabriken schließen, alle gesellschaftlichen Schichten beklagen die Teuerung. Die Unzufriedenheit der Menschen hat unheimliche Dimensionen angenommen.
»Ein Angriff auf die Atomanlagen würde den Menschen im Iran schaden«
Im Dezember 2012 haben Sie im Namen der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh und des Filmemachers Jafar Panahi den Sacharow-Preis des Europaparlaments entgegengenommen. Helfen solche Preise den betroffenen Personen im Iran? Oder verschlechtern sie möglicherweise sogar deren Lage?
Diese Preise vergrößern die Gefahr, der Menschenrechtsaktivisten im Iran ausgesetzt sind, auf keinen Fall – im Gegenteil. Nach der von Ihnen erwähnten Preisverleihung bekam Frau Sotoudeh beispielsweise einen dreitägigen Hafturlaub, der ihr zuvor zweieinhalb Jahre lang verwehrt worden war. Und etwas später durfte sie die Beerdigung ihrer Mutter besuchen. Als ihr Vater ein Jahr zuvor verstarb, war ihr hingegen noch kein Hafturlaub genehmigt worden. Solche Preise und das damit verbundene öffentliche Interesse führen also einerseits dazu, dass sich die Situation der Menschen im Gefängnis verbessert. Und andererseits wird die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam, wie schlimm die Menschenrechtssituation im Iran ist. Leider wirft die Frage der Kernanlagen und des Atomstreits mit dem Iran manchmal einen Schatten auf diesen Bereich.
Insbesondere Israel sieht Iran als existentielle Bedrohung und warnt, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Welche Konsequenzen hätte ein militärisches Vorgehen?
Das könnte dazu führen, dass die nationalen Gefühle der Iraner gestärkt werden und dass die kritische Sicht auf das Regime in den Hintergrund rückt. Das wiederrum stärkt die Regierung und das will sie bezwecken. Weder Amerikaner noch Israelis sollten die Atomanlagen angreifen, denn das würde den Menschen im Iran schaden.
International wird Iran immer mehr isoliert, einer der wenigen verbliebenden Verbündeten ist das Assad-Regime. Welche Rolle spielt Teheran im syrischen Bürgerkrieg?
Die iranische Regierung unterstützt derzeit immer noch Baschar al-Assad. Anfang Februar hat Khameneis Repräsentant in der Armee gesagt, dass Syrien aus Irans Sicht die rote Linie sei und dass niemand das Recht habe, sich dort einzumischen. Aber die iranische Führung mischt sich dort ein, indem sie Kämpfer und Waffen dorthin schickt.
»Iran versucht, Verbindungen zu Assads Gegnern aufzubauen«
Geht Teheran Ihrer Meinung nach davon aus, dass Assad stürzen wird?
Das iranische Regime fährt zweigleisig. In erster Linie versucht der Staat, Assad durch seine Unterstützung davor vor dem Sturz zu bewahren. Aber für den Fall, dass Assad fällt, versucht die iranische Regierung, Verbindungen zu Assads Gegnern aufzubauen, um nach seinem Regimewechsel ihre Interessen dort vertreten zu können. Übersetzung: Aboulghasem Zamankhan