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Iranische Filmtage 2013

Frauen, iranische Filme, Männer

Feature

Irans Kino bringt das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft auf die Leinwand – mit einem nüchternen, doch immer auch poetischen Blick auf das Leben. Ein Überblick über die »Iranischen Filmtage« 2013.

Nach 22 Jahren kommt Khosro Amini als Dozent für ein Gastsemester an der Universität wieder zurück in sein Heimatland, doch er eckt überall an. Er und die Gesellschaft haben sich auseinander entwickelt, verstehen sich nicht mehr und alte, aufbrechende Familiengeschichten bringen ihn zurück in seine und die Vergangenheit seines Landes. »A respectable Family« lief 2012 bei den Filmfestspielen in Cannes und ist sicherlich einer der sehenswerten iranischen Filme des vergangenen Jahres.

 

Der Film von Massoud Bakhshi ist einer von vielen Spielfilmen, Dokumentationen, Experimental- oder Kurzfilmen, die alle auf unterschiedlichste Weise das auch sehr abstrakte Thema der »Iranischen Filmtage« der Heinrich-Böll-Stiftung und der Kulturbrauerei Berlin vom 1. bis 4. März behandelten: das iranische Kino als Vermittler in dem Spannungsfeld zwischen Individualität und sozialgemeinschaftlichen Regeln im öffentlichen Raum, oder auf den Punkt gebracht: »Gewünscht – Toleriert – Verboten«. Zwei Dokumentationen geben dabei einen Einblick in das urbane Leben in der Hauptstadt Teheran.

 

»Street Sultans« (2011) zeigt, wie Freerunning-Pioniere versuchen, ihren Sport entgegen aller Kritik zu etablieren, und – sogar zunächst mit offizieller Erlaubnis – ein großes Festival auf die Beine stellen, bis es dann doch überraschend von der Polizei verboten wird. »Maybe tommorrow« (2011) lässt den Zuschauer am zermürbenden Alltag von zwei jungen Iranern teilhaben, die trotz ihres Studiums keine Perspektive sehen und stattdessen mit Straßenmusik ein wenig Geld dazuverdienen. Doch auch das ist nicht überall gern gesehen.

 

Ein Spiegel der inneren Unruhe

 

Der Film »The Orange Suit« (2012) von Dariush Mehrjui greift ein weltweit dringendes Thema auf: Müll. Ein Fotokünstler, inspiriert durch ein Feng-Shui-Buch, möchte nicht nur bei sich zu Hause, sondern auch in der Stadt aufräumen. Er beginnt bei der städtischen Müllabfuhr zu arbeiten und lernt so die schmutzigen Seiten der Megametropole Teheran kennen, die damit auch der Kinobesucher, zu Gesicht bekommt. Ein sehr moderner, poppiger Film, doch mit einer klaren Botschaft: Achte auf deine Umwelt, denn auch sie repräsentiert deine innere Ordnung.

 

Vielleicht als Spiegel dieser inneren Unruhe nimmt einen der Film »There are things you don‘t know« (2010) von Fardin Saheb-Zamani auf nächtliche Taxifahrten durch die Hauptstadt. Immer etwas unklar liegt eine Anspannung in der Luft, die einen ständig Fragen lässt: Was passiert gleich? Und doch passiert nichts. Zumindest nichts Außergewöhnliches. Der Taxifahrer, der über mehrere Nächte hinweg ein- und dieselbe Stammkundin durch Teheran fährt, beginnt sich für sie zu interessieren und Gefühle für sie zu entwickeln.

 

Der Film ist sicherlich ein modernerer Vertreter des typisch iranischen Kinos, welches einen nüchternen, doch immer auch poetischen Blick auf das Leben wirft. Der Dokumentarfilm von Loghman Khaledi zeigt den Zwiespalt der erfolgreichen Schauspielerin »Nessa« (2011), deren Familie nicht mit dem öffentlichen Druck umgehen kann. Sie wird gezwungen, sich zwischen ihren Angehörigen und einem selbstbestimmten Leben zu entscheiden. Loghman Khaledi erklärte zu seinem Film, dass er immer versuche, »die Menschen vor der Kamera ihr Geschlecht vergessen zu lassen, da sie nur so echt werden«. In seiner Doku zeigt er so ein warmherziges und sehr inniges Portrait Nessas, für welches er auch beim »Hot Docs Canadian International Documentary Festival 2012« ausgezeichnet wurde.

 

»Weil das öffentliche Ausüben dieser Kunst verboten ist, musste es als Film umgesetzt werden«

 

Der Tanzkurzfilm »AT« von Davoud Zare arbeitet intensiv und auch auf eine verstörende Weise mit dem öffentlichen Tanzverbot im Iran. Mit teils psychodelischen Bildern und schrill-lauten Geräuschen setzt er den scheinbar eingezwängten Tänzer in Szene, ohne dabei die eigenen vier Wände zu verlassen. Die Enge, das Gefühl des Protagonisten, eingeschlossen zu sein, treiben diesen Film in einer elf-minütigen, zusammenhängenden Aufnahme an.

 

Der Tänzer und Regisseur des Filmes Davoud hätte den Stoff allerdings am liebsten gar nicht Film ein einem Film verarbeitet: »Ich würde es live machen. Aber Tanz, Identität und Geschlecht hängen unmittelbar zusammen und weil daher auch das öffentliche Ausüben dieser Kunst verboten ist, musste es als Film umgesetzt werden – in einer einzigen durchgängigen Aufnahme.« Um die Veränderung von iranischer Kunst und der Frage nach Geschlecht in der Kunst geht es auch im Film »Rose and Nightingale«, einer Art Doku-Performance von Negar Tahsili.

 

Die vor allem in der Teheraner Szene aktive Künstlerin sorgt auch mit ihren Dokumentationen über das Alltagsleben der Frauen im Iran für Aufmerksamkeit. In ihrem aktuellen Werk, das als nicht finale Fassung gezeigt wurde, verfolgt sie zahlreiche iranische Künstler aus verschiedensten Bereichen und zeigt ihre Umgangsweise mit der Genderfrage.

Von: 
Friedrich Schulze

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