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Interview zu Juden in Iran

»Wir werden uns daran erinnern, wer uns während der Sanktionen beistand«

Interview

Der jüdische Abgeordnete Ciamak Moresadegh erzählt, wie er seine Gemeinschaft im iranischen Parlament vertritt, Diskriminierung im Alltag aussieht und warum er noch immer auf eine Einladung des Zentralrats der Juden in Deutschland wartet.

zenith: Sie sind das einzige jüdische Mitglied des iranischen Parlaments. Nach welchem Verfahren wurden Sie gewählt?

Ciamak Moresadegh: Ein Sitz im iranischen Parlament ist für die jüdische Gemeinschaft reserviert. Das bedeutet, dieser Abgeordnete wird nur von der jüdischen Gemeinschaft gewählt. Nach der iranischen Verfassung gibt es für verschiedene Minderheiten reservierte Parlamentssitze, unter anderem für Christen und die Gemeinschaft der Zoroastrier. Nach dem Gesetz muss auf 300.000 Einwohner ein Repräsentant im Parlament entfallen. Die Anzahl der iranischen Juden liegt aber nur bei ungefähr 20.000 bis 25.000. Damit sind wir sogar überrepräsentiert. Alle religiösen Minderheiten im Iran haben jeweils weniger als 150.000 Anhänger. Das zeigt, dass es für religiöse Minderheiten eine positive Diskriminierung gibt. Als Mitglied des iranischen Parlaments vertrete ich aber nicht nur die iranischen Juden, sondern das ganze iranische Volk. Im Parlament habe ich die gleichen Rechte wie jeder andere Abgeordnete.

 

Und welcher Parlamentsfraktion haben Sie sich angeschlossen?

Im iranischen Parlament gibt es verschiedene Fraktionen, die abhängig von den politischen Einstellungen sind. Es gibt beispielsweise radikal-revolutionäre Kräfte im Sinne des früheren Präsidenten Ahmadinejad. Als Vertreter einer religiösen Minderheit gehöre ich aber keiner Fraktion an. Ich entscheide daher nicht anhand der Fraktionsmitgliedschaft, sondern nach meiner Interessenlage. Das hat auch mit der Wahl in der jüdischen Gemeinschaft zu tun. Die wird nämlich nicht durch Parteien bestimmt.

 

Aber von der Interessenslage der Jüdischen Gemeinde. In welche politische Richtung gehen dort die Einstellungen?

Ich habe eine recht unabhängige Stellung im Parlament. In der jüdischen Gemeinschaft Irans gibt es, innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens der Islamischen Republik, ein breites Spektrum an politischen Einstellungen, von ganz rechts bis ganz links. Wenn ich auf eine Richtung festgelegt wäre, könnte ich die jüdische Gemeinschaft nicht angemessen vertreten.  

 


Ciamak Moresadegh

wurde 2012 zum zweiten Mal als jüdischer Abgeordneter ins iranische Parlament gewählt. Der 48-Jährige Chirurg arbeitet als Direktor des »Dr. Sapir Hospital and Charity Centers«, des jüdischen Krankenhauses in Teheran. Außerdem war er drei Jahre lang Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Teheran.


 

Sie haben betont, dass Sie sich als Vertreter der gesamten iranischen Gesellschaft im Parlament sehen. In welchen Bereichen sehen Sie im Iran den größten Reform- oder Verbesserungsbedarf?

Wir müssen weiter an der Unabhängigkeit des Irans arbeiten. Nach der Revolution brauchte der Iran ausländische Unterstützung. Unsere ganze Industrie hing von westlichen Ländern ab. Damals produzierte man weniger als 20 Prozent unseres Bedarfs an Medikamenten im Iran. Heute sind es 90 Prozent. Einen solchen Zustand müssen wir für unsere ganze Industrie herstellen. Auch die Situation der jungen Leute im Iran muss verbessert werden. Die hohe Arbeitslosigkeit ist besonders für die jungen Iraner ein Problem. Die Jugend will Arbeit und gute Wohnverhältnisse. Bei den wesentlichen Problemen im Iran gibt es übrigens keinen Unterschied zwischen Juden und Muslimen.

 

Werden die Juden auch im alltäglichen Leben im Iran integriert oder sehen sie sich Diskriminierung ausgesetzt?

Als religiöse Minderheit in einem religiösen Land haben wir natürlich gewisse Probleme. Aber das Wichtigste vorab: Unsere Situation verbessert sich kontinuierlich. Heutzutage geht es uns als religiöse Minderheit viel besser als in den ersten Jahren nach der Islamischen Revolution 1978/79. Beispielsweise brauchte es erst eine Fatwa, mit der klargestellt wurde, dass das sogenannte Blutgeld für Juden genauso hoch zu sein hat, wie das für Muslime. Die Arbeitslosigkeit ist zwar grundsätzlich im Iran ein großes Problem, aber für Juden besonders. Im öffentlichen Dienst ist es für Juden schwierig, eine Anstellung zu bekommen. Umso mehr man nach oben schaut, umso mehr Verständnis gibt es in der iranischen Gesellschaft für Juden. Im Alltag gibt es gute Beziehungen zwischen Juden und Muslimen. Das »Dr. Sapir Hospital and Charity Center« zum Beispiel – das jüdische Krankenhaus in Teheran –, steht natürlich allen Menschen offen, unabhängig von ihrer Religion. Die meisten unserer Patienten sind Muslime. Mehr als 5.000 werden jedes Jahr bei uns behandelt. 

 

Inwieweit bestimmt das Judentum Ihr alltägliches Leben? Halten Sie sich an jüdische Rituale?

Ich komme aus einer religiösen Familie. Mein Vater und Großvater und weitere Vorfahren waren seit dreihundert Jahren religiöse Führer. Aus diesem Grund ist meine Familie sehr bekannt in der jüdischen Gemeinschaft und hat sie religiös und kulturell geprägt. Ich halte den Schabbat ein, aber nicht jedes Detail. Ich esse koscheres Fleisch betrifft, bei Gemüse bin ich da aber nicht unbedingt so streng.

 

Auch in Berlin gibt es eine Jüdische Gemeinde. Sind Sie dort als Iraner willkommen?

Seit Jahren versuche ich, mit dem Zentralrat der Juden Kontakt aufzunehmen. Über die iranische Botschaft in Berlin habe ich drei Mal um eine Besuchsgelegenheit gebeten. Einmal kam eine ablehnende Antwort, die anderen Male überhaupt keine Reaktion. Ich würde etwa gerne die Jüdische Gemeinde Berlin besuchen, um nach Hilfe bei einigen Problemen der Juden im Iran zu fragen. Wir brauchen einige rituelle Gegenstände für unsere Gottesdienste, für die wir natürlich bezahlen wollen. Übrigens, vor vielen Jahren benötigte die Jüdische Gemeinde Berlins eine Thora und hat sie aus dem Iran geliehen. Iranische Juden haben sie mit der Erlaubnis des iranischen Kulturministeriums gebracht. Sie wurde dann für zwei Jahre genutzt, bevor sie zurück in den Iran ging.

 

Erwarten Sie von Deutschland mehr Entgegenkommen – etwa auch bei der Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen?

Ja, denn zurzeit opfert Deutschland seine Interessen, weil es der gegen den Iran gerichteten Sanktionspolitik der USA folgt. Iran ist ein großer Markt. Durch die Sanktionen haben wir natürlich Probleme, unser Öl zu verkaufen. Aber die Welt ist groß und es gibt andere Ländern, mit denen wir handeln können. Daran gewöhnen wir uns, zum Beispiel mit den Chinesen. Wenn die Sanktionen einmal aufgehoben sind, werden wir Iraner uns daran erinnern, wer uns während der Sanktionen beistand und wer nicht.

Von: 
Martin Jehle

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