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Interview zu Ägyptens Kino

»Wir haben die revolutionäre Energie genutzt«

Interview

Mit dem Film »Winter of Discontent« erreicht das ägyptische Kino wieder internationales Publikum. Die Schauspieler und Produzenten Amr Waked und Salah Al-Hanafy über ihren rebellischen Einfluss auf die marode ägyptische Filmindustrie.

zenith: Ihr Film »Winter of Discontent« wird seine Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig feiern. Was bedeutet das für Sie und was bedeutet das für die ägyptische Medienszene?

Amr Waked: Das ist eine wichtige und respektvolle Anerkennung für die Anstrengungen, die wir für den Film gemacht haben. Unser Ziel als Filmemacher ist es, sich Gehör zu verschaffen. Es bedeutet, wir haben die Ressourcen. Wir müssen nur die richtigen Themen behandeln. Wir wollten mit dem Film auf die internationale Bühne. Wir wollen die Menschheit ansprechen. Wir suchen nach Themen, die menschliche Werte vermitteln, ganz egal welcher Nationalität oder Kultur. Salah Al-Hanafy: Wir wissen, wir benötigen kein gigantisches Budget, um etwas zu produzieren, was die Leute wirklich schätzen. Die Aufführung in Venedig ist ein Qualitätsstempel. Es gibt uns mehr Energie, um das fortzuführen, woran wir glauben: den guten Low-Budget Film. Es geht darum, eine gute Idee zu haben. Es ist unser erster Feature-Film, von dem wir als Firma (ZAD- Kommunikation und Produktion) immer geträumt haben. Wir wissen, dass wir als Produzenten auf dem richtigen Weg sind. Wir stärken die Filmindustrie in der ganzen Region. Es ist ein Zeichen, dass wir wieder da sind. Viele Leuten haben gedacht, die Filmindustrie in Ägypten sei tot. Das ist sie nicht. Wir hatten eine Revolution. Die Ägypter sind aufgewacht. Es geht dabei nicht nur um Politik. Es geht um alles in unserem Leben.

 

Sie haben mit den Dreharbeiten während der Aufstände begonnen. Unter welchen Umständen hat die Crew gearbeitet?

A.W.: Es war ein sehr impulsiver Film. Wir haben in einer sehr heiklen Situation gearbeitet. Es war sehr schwierig, die Dinge vorher zu lernen. Die Revolution war im vollen Gange, alles war durcheinander, Menschen waren überall. Wir dachten uns, wir müssen mit der Atmosphäre mitgehen und einfach anfangen. Der Film hat sich wie von selbst gedreht. Trotz der Gewalt und der Todesnachrichten haben wir weiter gearbeitet. Der Film war so stark, dass er uns alle in seinen Bann gezogen hat. Es ist ein sehr spontaner Film.

 

Der Film zeigt die dunklen Seiten des Mubarak-Systems. Und auch den Kampf dagegen. Warum war es Ihnen so wichtig, diesen Film zu machen?

A.W.: Wir sind Künstler. Wir wollten uns von den Ereignissen inspirieren lassen. Wir haben die kreative Energie genutzt, von der die Revolution umhüllt war. Sie war so enorm, dass wir ihr einfach zuhören mussten. Wir wurden von ihr angetrieben. Wir haben immer an die Hoffnung geglaubt. Das macht den Unterschied. Unsere Waffe ist das Filmemachen.

 

»Die meisten Produzenten sind Gorillas«

 

Sie sind junge Schauspieler und Produzenten. Wie können Sie die Filmindustrie in Ägypten verändern?

A.W. Die Tatsache, dass wir junge Produzenten sind, ist schon eine Veränderung. Die Ideen, die wir haben, werden einen gewaltigen Einfluss ausüben. Wir wollen bessere Inhalte anbieten und wir wollen die Zuschauer schützen. Jahrelang wurde dem meisten Teil der Bevölkerung der Zugang zum Kino verwehrt. Es kostet einfach zu viel Geld. Für den Durchschnittsägypter ist es ein halbes Monatsgehalt, seine Familie ins Kino einzuladen. Das wollen wir ändern. S.H.: Die meisten Produzenten sind Gorillas. Sie haben viel Geld. Diese Leute arbeiten ganz anders als wir. Die verkaufen nur. Für sie ist es eine Gelddruckmaschine. Sie haben keine Leidenschaft für den Film. Aber wir kommen von der Basis. Uns ist klar, was die Leute wollen. Sie lieben Kino. Ihnen fehlt leider zu oft das Geld, um sich einen Film anzusehen. Die Produzenten mit dem Geld in der Tasche sehen die Armen oft als dreckige Vagabunden an, die es nicht verdient haben, ins Kino zu gehen. Sie zeigen ihnen gleich von Anfang an ihre Ablehnung. Wir sind anders. Wir fühlen die Leute. Wir wollen ihnen etwas zurückgeben. Es stimmt nicht, dass Gefühle aus dem Geschäft herausgehalten werden sollen und dass es zum Bankrott führen kann. Das ist Quatsch. Uns wird das nicht passieren.

 

Während und nach der Revolution hat sich die kulturelle Szene in Ägypten sehr gewandelt. Inwiefern haben Sie sich verändert. Wie wurden Ihre Ansichten und Visionen beeinflusst?

A.W.: Alles hat sich verändert. Es gab eine fantastische Energie für Kreativität. Plötzlich waren alle Schranken verschwunden. Das hat die kreative Energie entladen. Der Tahrir-Platz war das Zentrum dafür. Die Musiker, die Poeten, sogar die Slogans, die gerufen wurden, die waren gefüllt mit Kreativität. Die Künstler haben eine sehr aktive Rolle übernommen. Natürlich sind wir alle besorgt über das Ziel der Entwicklungen. Dennoch feiern wir die neue kreative Freiheit. Viele Leute stimmen nicht mit mir überein. Wegen der Islamisten. Ich denke, es ist ein Mythos. Sie können uns nicht unterdrücken. Sie können uns das nicht wegnehmen. Millionen von Menschen würden ihr Leben dafür aufs Spiel setzen. S.H.: Die Revolution war eine Geburtsstunde für eine neue Kunstform. Es ist die Energie auf dem Tahrir-Platz, die wie ein großer Generator für das Land ist.

 

A.W. Die Revolution war etwas Größeres für die Leute. Das ist Kunst. Kunst ist größer als du. Und die Künstler haben die Bedeutung schnell verstanden.

 

Die Revolution begann vor anderthalb Jahren. Ägypten hat einen neuen Präsidenten. Es gibt keine großen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz mehr. Ist die Revolution vorbei?

A.W. Die Revolution wird erst dann vorüber sein, wenn wir erreicht haben, was wir wollen. Sie ist immer noch am Leben. Es gibt immer noch revolutionäre Gruppen, die Druck ausüben. Während der letzten Präsidentschaftswahlen gab es 13 Kandidaten. Jeder der 5 beliebtesten hatte eine sehr hohe Stimmenanzahl. Es gibt also 5 große Kräfte im politischen Spektrum. Der Gewinner mit einer Stimmenanzahl von 51 Prozent steht ständig unter Druck. Die Hälfte der Bevölkerung will ihn nicht. Das ist ein Erfolg für die Revolution. Tief in unserer Kultur ist allerdings noch viel Arbeit zu machen. Die Revolution beeinflusst derzeit die alte Kultur. Ich meine die Kultur von ›Jemand anderes kümmert sich schon darum, also halte ich mich daraus‹. Es wird lange dauern, bis sich das ändert. Aber mit Kunst werden wir das erreichen.


Amr Waked spielte bereits neben George Clooney in dem Film »Syriana« und mit Ewan McGregor in »Lachsfischen im Jemen«. Waked zählt zu den ersten ägyptischen Schauspielern, die sich Anfang 2011 auf die Seite der Revolutionäre gestellt haben.

Von: 
Kristin Jankowski

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