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Film über Israels Libanonkrieg

Israels Filmvietnam?

Feature

Ein neuer israelischer Kinofilm wagt sich aus einer ungekannten Perspektive an das Trauma des Libanonkrieges heran. Wandelt sich wie einst in den USA nach Vietnam das Kino zur letzten Instanz für eine kritische Auseinandersetzung?

Die Filme des israelischen Filmemachers Eran Riklis verkehren meist die kleineren und größeren Absurditäten aus dem alltäglichen Leben in Israel in ihr trauriges und zugleich komisches Extrem. Dabei zeigen sie diesen so vielschichtigen, aber konfliktreichen Alltag stets aus der Sicht der unterlegenen Minderheit. So waren es in »Die syrische Braut« (2004) die Drusen im Golan, bei »Lemon Tree« (2008) eine vom Bau der Grenzmauer betroffene Palästinenserin.

 

Riklis' neuer Film »Zaytoun« reiht sich nahtlos ein und überschreitet dabei erstmals die engen Grenzen seines Heimatlandes: Er erzählt die Geschichte eines palästinensischen Jungen in Beirut und dessen Traum, in die Heimat seiner Eltern zurückzukehren. Mit dieser Konstellation – Libanon, Israel, Palästina – behandelt der Film eine in mehrerer Hinsicht brisante Thematik. Schon immer sind Vergleiche von Israels Intervention(en) im Libanon mit dem Fiasko des von Amerika geführten Vietnamkrieges schnell bei der Hand gewesen.

 

Wie es Vergleiche bisweilen an sich haben, lässt sich jedoch nicht immer ein stimmiges Bild damit aufzeigen. Führte die US-Intervention im kommunistischen Staate Ho Chi Minhs zur größten Friedensbewegung, die die Welt bis dahin gesehen hatte, ist Vergleichbares in Israel während der von 1982 bis 2000 andauernden Besatzung des Nachbarlandes definitiv ausgeblieben. Richten wir den Blick auf die Einflüsse, die die Kriegseinsätze auf die Kinoproduktionen des Landes ausübten, zeichnet sich mittlerweile aber ein erstaunlich ähnliches Bild ab.

 

Ist der Libanon letzten Endes also Israels Filmvietnam? Von 1965 bis 1975 dauerten Einsatz und Besatzung der amerikanischen Truppen im ehemaligen Indochina. Seit dem Kinofilm »Apocalypse Now« von 1979 eroberte die filmische Auseinandersetzung mit dem Krieg in vielfach ausgezeichneten Produktionen wie »Full Metal Jacket« (1987) sowie »Forrest Gump« (1994) die Leinwände in den USA wie der ganzen Welt.

 

Ein ähnliches Phänomen lässt sich an israelischen Filmproduktionen der vergangenen zehn Jahre ablesen: Im Kino findet – wie auch schon in Wissenschaft und Literatur – eine kritische Auseinandersetzung mit den psychologischen und gesellschaftlichen Verstrickungen der eigenen Kriegsführung statt.

 

So warf der israelische Spielfilm »Beaufort« aus dem Jahr 2007 ein Schlaglicht auf die demoralisierte Verfassung junger Soldaten, die kurz vor dem Abzug der letzten israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 ihren zuweilen jeglichen militärischen Sinnes entleerten Dienst taten. Ihr Einsatzort, die auf einer Anhöhe gelegene Kreuzfahrerfestung Beaufort, wird dabei zum Sinnbild eines Jahrhunderte alten und scheinbar unlösbaren Konfliktes.

 

Die israelischen Filme wurden im eigenen Land kaum beachtet. In Europa und den USA wurden sie gefeiert

 

Ebenso setzte sich im Jahr 2009 der israelische Regisseur Ari Folman in dem dokumentarischen Trickfilm »Waltz with Bashir« mit seinen persönlichen Erfahrungen als Soldat während des Einmarsches von 1982 auseinander. Gemeinsam ist beiden Filmen eine rein subjektive Aufarbeitung des israelischen Militäreinsatzes – die libanesische Perspektive bleibt außen vor, im Zentrum stehen emotionale und traumatisierende Verwicklungen der israelischen Streitkräfte.

 

Interessanterweise erregten beide Streifen vor allem im Ausland Aufsehen, beim israelischen Publikum waren sie weit weniger erfolgreich. »Zaytoun« setzt nun erstmals einen anderen Schwerpunkt. Das Drehbuch der amerikanisch-israelischen Produktion stammt aus der Feder des US-palästinensischen Drehbuchautors Nader Rizq. In einem atemlosen Stakkato werden die Zuschauer in die gewaltsamen Ereignisse am Vorabend des israelischen Einmarsches 1982 in Beirut geworfen.

 

Dabei heftet sich die Kamera an die Fersen des 14-Jährigen palästinensischen Flüchtlingsjungen Fahed. Von den Libanesen in die zu Städten gewachsenen Flüchtlingslager gepfercht, bietet sich allein die Flucht in die idyllischen Erzählungen des Vaters von der verlorenen Heimat. Innerhalb weniger Minuten wird der Spannungsbogen des Films aufgebaut: Der Vater kommt bei einem Bombenangriff ums Leben, der beste Freund wird von libanesischen Milizionären erschossen.

 

Schließlich erliegt Fahed der Verheißung der machthabenden PLO-Miliz im Lager, mit der Waffe in der Hand für die baldige Rückkehr nach Palästina zu kämpfen. Die eigentliche Handlung des Films, die sich über die restlichen 90 Minuten erstreckt, ist weitaus schneller zusammengefasst. Dabei wird die wahre Legende eines 1986 im Libanonkrieg verschollenen Kampfjetpiloten aufgegriffen. Faheds Miliz nimmt einen über Beirut havarierten Piloten gefangen.

 

Mit ihm als Faustpfand erhofft man sich die Auslösung der eigenen Gefangenen aus israelischer Haft. Doch der Gefangene versteht es, die jugendlichen Freiheitskämpfer zu linken: Sollten sie ihm bei der Flucht helfen, würde er sie in ihr heiß ersehntes Palästina führen. Jeder anderen Perspektive beraubt, geht Fahed den Pakt mit dem verteufelten Feind ein.

 

Mit dem vom Großvater wohlbehüteten Hausschlüssel sowie dem vom Vater gehegten »Zaytoun« – dem Titel gebenden Setzling eines Olivenbaumes – im Gepäck entspinnt sich ein kurzweiliges, mitunter nicht ganz schlüssiges Roadmovie von Beirut in die bergige Grenzregion im Süden des Libanon. Der deutsche Untertitel des Films »Geborene Feinde – Echte Freunde« entfaltet hier seine plakative Wirkung – über alle unüberwindbaren Gegensätze hinweg wachsen die beiden Protagonisten auf ihrem hürdenreichen Weg immer enger zusammen.

 

Die Performance und Wahl der Schauspieler zielen wieder auf ein internationales Publikum ab

 

Gerade auch die Performance der Schauspieler verstärkt den Eindruck, dass Regisseur und Produzenten mit »Zaytoun« keinen weiteren Libanonkriegsfilm im selbstkritischen Stile von »Beaufort« oder »Waltz with Bashir« auf die Leinwand bringen wollten. Der Charakter des israelischen Piloten Yori bleibt weitgehend amorph, die Identifikation der Zuschauer mit Fahed, in dessen Rolle der junge Abdallah El-Akal durchweg überzeugt, wird eindeutig angestrebt.

 

Nach allen Regeln der filmischen Kunst wird in erster Linie seine Geschichte erzählt, zu deren Handlanger Yori wird. Dessen Rolle mit Stephen Dorff zu besetzen, lässt sich wohl bloß mit der Ausrichtung auch dieses Streifens auf den internationalen Kinomarkt erklären. »Er ist ein California boy«, entfuhr es selbst Regisseur Rilkis im ersten Moment, »Ich kann aus ihm doch keinen israelischen Piloten machen!« Am Ende blieb ihm keine Wahl, Dorffs Schauspielerei umgibt von Beginn an die Aura des klassischen Hollywoodbösewichts, die ihm seit der Vampiraction »Blade« anhaftet – eine wirkliche Fehlbesetzung.

 

Dennoch lohnt es sich, den Film zu Ende zu schauen. Nach exakt 90 Minuten, wenn bei anderen Kinofilmen bereits der Abspann läuft, entfaltet »Zaytoun« doch noch eine ungeahnte Poesie. Ohne Worte fängt die Kamera ein, wie Fahed zu guter Letzt das zerstörte und verlassene Dorf seiner Vorfahren aufspürt. Rilkis eröffnet in dieser Szene wieder einmal den Blick auf eine in der Regel ausgeblendete Tatsache: Die im Zuge der 1948 proklamierten Unabhängigkeit Israels zerstörten palästinensischen Dörfer sind aus dem Bewusstsein wie von allen Landkarten längst getilgt.

 

In Israel lässt man über diesen Teil der Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes Gras wachsen – beziehungsweise »Zaytoun« – Olivenbäume. Beschreitet »Zaytoun« erzähltechnisch auch neue Wege im Vergleich zu den bisher gesehenen israelischen Libanonfilmen, wirft er die Frage der moralischen Verantwortung doch ebenso einzig auf die israelische Gesellschaft zurück. Wie das amerikanische Kino sein Vietnam, so scheint auch Israel sein Libanon-Trauma filmisch auf überwiegend subjektive Weise mit sich selbst auszumachen. Auf diesem Weg ist »Zaytoun« immerhin ein guter Schritt nach vorn.

 


Zaytoun: Geborene Feinde - Echte Freunde

Regie: Eran Riklis

Mit: Stephen Dorff, Abdallah El Akal, Alice Taglioni

Produktion: Sentator Filmverleih

Laufzeit: 110 Minuten, Israel, 2013

Seit dem 14. November im Kino

Von: 
Ruben Schenzle

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