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Die Huthis in Sanaa

Was wollen die Huthis?

Analyse

Anhänger der Huthi-Bewegung demonstrieren gegen die Streichung von Subventionen. Doch die Blockade der Hauptstadt verrät auch etwas über die Kräfteverschiebungen im Jemen – und ein womöglich gescheitertes Polit-Manöver von Präsident Hadi.

Seit etwa Mitte August halten tausende Anhänger der Huthi-Rebellengruppe Sanaa, die Hauptstadt des Jemen, in Atem. In einer bislang beispiellosen Machtdemonstration haben sie die jemenitische Übergangsregierung in eine Krise gestürzt und die politische Schwäche von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi offenbart. Die Huthis profitieren dabei von der Frustration in weiten Teilen der Bevölkerung, die seit den Umbrüchen von 2011 vergeblich auf eine Verbesserung ihrer Lage hofft und sich von Ende Juli erfolgten Subventionskürzungen für Diesel nun wirtschaftlich noch mehr bedroht sieht.

 

Nicht alle der derzeit in der Hauptstadt protestierenden Menschen sind daher Anhänger der Rebellengruppe der Huthis, die 2004 im an der Grenze zu Saudi-Arabien gelegenen Gouvernorat Saada entstand. Damals war es das erklärte Ziel ihres Anführers, Hussain al-Huthi, dieser politisch und ökonomisch vernachlässigten Region sowie der kulturell-religiös marginalisierten schiitischen Ausrichtung des Islam, der Zaidiyya, zu mehr Anerkennung und Mitsprache zu verhelfen.

 

In sechs Runden eines gewaltsamen Krieges mit der Regierung zwischen 2004 und 2010 starben Tausende und wurden Hunderttausende vertrieben. Die Umbrüche von 2011 schwächten den damaligen Präsidenten Ali Abdallah Saleh jedoch militärisch so, dass die Huthis bereits sieben Monate vor dessen Rücktritt, also bereits im April 2011, ihren eigenen Gouverneur in Saada einsetzen konnten.

 

Seit 2012 haben die Huthis die bis heute andauernde politische Spaltung der Sicherheitskräfte und die Fragmentierung der politischen Landschaft dafür nutzen können, ihren Einfluss auf weitere nördliche Gouvernorate auszudehnen. Gleichzeitig haben sie sich aktiv in die »Nationale Dialogskonferenz« (NDK) eingebracht, die im Januar 2014 mit über 1.800 Empfehlungen für die Ausgestaltung eines »neuen Jemen« zum Abschluss kam. Seit Mitte des Jahres erarbeitet nun ein Komitee eine neue Verfassung auf Basis dieser Empfehlungen, über welche im kommenden Jahr im Rahmen eines Referendums entschieden werden soll.

 

Während die Bevölkerung also weiter auf konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation wartet, ist das einzig sichtbare Resultat für sie bislang die Kürzung der Energiesubventionen. Dies ist seit Jahren eine der zentralen Forderungen ausländischer Geber, da circa ein Fünftel des Haushaltes für solche staatlichen Bezuschussungen ausgegeben wird, jedoch sich hauptsächlich eine kleine Elite hieran bereichert. Für die aktuelle Regierung, die sich seit Dezember 2011 aus der ehemaligen Regierungspartei und der ehemaligen Oppositionskoalition zusammensetzt, war dies daher ein mutiger und wichtiger Schritt.

 

Weil die mit der Streichung der Subventionen einhergehenden Preissteigerungen jedoch nicht sukzessive vorgenommen wurden, hat sich der Preis für Diesel und Benzin innerhalb eines Monats fast verdoppelt. Auch hat sich die Regierung nicht darum bemüht, der Öffentlichkeit zu erklären, warum diese Kürzungen langfristig für das Land von Vorteil sind und wie man deren Auswirkungen auf die hungernde Bevölkerung abzufangen gedenke.

 

Trotz Teilnahme an den Umbrüchen 2011 und am »Nationalen Dialog« waren die Huthis bislang nicht auf der staatlichen Machtebene angekommen

 

Die sich so wirtschaftlich und sicherheitspolitisch immer weiter verschärfende Lage in einem Land, in dem über 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, haben die Huthis in den vergangenen Wochen dazu genutzt, sich nachhaltig als neue politische Kraft auf nationaler Ebene zu etablieren. Denn trotz Teilnahme an den Umbrüchen 2011 sowie an der NDK waren sie bislang nicht auf der staatlichen Machtebene angekommen.

 

Geografisch zunächst weit von Sanaa entfernt im Norden des Landes verortet, haben sie seit 2011 versucht, sich durch räumliche Präsenz in der Hauptstadt – zum Beispiel durch Demonstrationen und Verbreitung ihres ikonischen Slogans an Häuserwänden und Mauern – mit ins Spiel zu bringen. Von den Verhandlungen über den Rücktritt Salehs 2011, die in der von ihm im November 2011 unterzeichneten »Golfkooperationsratsinitiative« (GKR-Initiative) mündeten, waren sie jedoch ebenso ausgeschlossen wie die demonstrierende Jugend und die »Bewegung des Südens«, die seit 2009 offen eine Abspaltung (»Befreiung«) des Südens vom Norden des Landes fordert.

 

Zwar sollte die Teilnahme all dieser Akteure an der NDK diesen friedenspolitischen Lapsus kompensieren, jedoch hat sich dies für die Huthis bislang nicht ausgezahlt. Insbesondere die im Anschluss an die NDK beschlossene Aufteilung der Regionen in einem neuen föderalen Jemen kommt ihren macht- und identitätspolitischen Interessen nicht entgegen. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass sich im Norden des Landes nur solche Kräfte politischen Einfluss sichern können, die dazu in der Lage sind, diesen auch mit Waffengewalt einzufordern und durchzusetzen. In den vergangenen Monaten ist es den Huthis gelungen, durch spektakuläre militärische Erfolge und kluges Taktieren etablierte politische Akteure zu düpieren und damit politisch zu schwächen.

 

Jemens einflussreichster Clan musste sich den Huthis geschlagen geben

 

Dies gilt allen voran für die Ahmar-Familie, deren Heimatregion im nördlich von Sanaa gelegenen Gouvernorat Amran im vergangenen Monat von den Huthis, unter anderem auch mit Unterstützung von Stämmen aus der Hashid-Stammeskonföderation, erobert wurde. Die Schwächung dieser Familie, die seit Jahrzehnten zu den einflussreichsten im Norden des Landes zählt und die den höchsten Stammesführer der Hashid stellt, hat auch für die größte ehemalige Oppositionspartei des Landes, die Islah-Partei, schwerwiegende Konsequenzen. Sie vereinigt Muslimbrüder, Salafisten, Geschäftsleute und einflussreiche Stammesangehörige.

 

Seit Dezember 2011 stellt Islah circa die Hälfte der Ministerien in der jemenitischen Übergangsregierung und wurde lange als der damit größte Gewinner der Umbrüche von 2011 gesehen. Die Schwächung der Muslimbrüder in Ägypten war jedoch ein erster schwerer Schlag für die in der Islah-Partei organisierten jemenitischen Muslimbrüder. Vor Kurzem hat außerdem Saudi-Arabien, das lange als Unterstützer sunnitisch-islamistischer Akteure im Jemen fungierte und Islah in den letzten Jahren als Bollwerk gegen die schiitischen Huthis unterstützt hatte, aus Angst vor dem Einfluss der Muslimbruderschaft im Königreich diese auf die hauseigene Liste terroristischer Organisationen gesetzt.

 

Mit der Ahmar-Familie ist der Islah-Partei nun auch noch ihr im politischen System des Landes so wichtiger militärischer Arm in Form von Stammesmilizen geschwächt worden. Diese liefern sich bereits seit 2009 mit den Huthis lokal begrenzte gewaltsame Konflikte über die Vorherrschaft in den nördlichen Gouvernoraten. In Amran haben die Huthis im August überdies auch noch die mit General Ali Muhsin affiliierte 310. Panzerbrigade militärisch geschlagen.

 

Muhsin führte von 2004 bis 2010 den Krieg gegen die Huthis in Saada, schlug sich 2011 auf die Seite der Revolution und gilt seitdem als wichtige militärische Stütze von Präsident Hadi und der Islah-Partei. Hadi, der lediglich Mediationskomitees nach Amran, jedoch keine militärische Unterstützung schickte und auch nicht zur Beerdigung des von den Huthis getöteten Kommandeurs der 310. Panzerbrigade, General al-Qushaibi, erschien, scheint sich der Huthis bedient zu haben, um die Machtverhältnisse in Sanaa neu zu ordnen.

 

Es scheint jedoch nicht so, als habe er Kontrolle über die Geister, die er rief. Seit mehr als einer Woche protestieren nun tausende Anhänger der Huthis in Sanaa und halten mehrere zentrale Straßen und Stadtteile, unter anderem die Strecke zum Flughafen der Hauptstadt, unter ihrer Kontrolle. Mobilisiert wurden viele der Protestteilnehmer vor allem durch die Forderung der Huthis, die Ende Juli vorgenommene Streichung der Dieselsubventionen, eine Voraussetzung für weitere finanzielle Hilfen durch den Internationalen Währungsfond, wieder rückgängig zu machen. Diese Kürzungen zurückzunehmen war daher sicherlich die populärste der Forderungen, die die Huthis Ende August vorgelegt haben.

 

Berauscht sich Abd al-Malik al-Huthi zu sehr an der eigenen Macht?

 

Gepaart mit weiteren Forderungen nach einer Regierungsumbildung – natürlich unter Beteiligung der Huthis –, der Bekämpfung von Korruption und der schnelleren Umsetzung der Ergebnisse der NDK können sie sich auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung stützen. Anfang September hat Präsident Hadi die Bildung einer neuen, mit Technokraten zu besetzenden Regierung, die Erhöhung des Mindestlohns sowie eine teilweise Wiedereinführung der Dieselsubventionen angeboten. Im Vorfeld hatte außerdem der UN-Sicherheitsrat des Vorgehen der Huthis verurteilt und diese zum Abzug aus Sanaa und Amran aufgefordert.

 

Den von Hadi vorgelegten Kompromiss hat Anführer Abd al-Malik al-Huthi jedoch abgelehnt, vor allem wohl, weil das von Hadi vorgelegte Kompromissdokument einen Absatz enthielt, nach welchem die Huthis dann nicht nur ihre Proteste in Sanaa beenden, sondern auch ihre Waffen abgeben und die Kämpfe in den übrigen Gouvernoraten einstellen sollten. Vor allem die Forderung nach einer Entwaffnung der Huthis, die bereits seit Längerem im Raum steht, ist angesichts der Art und Weise, wie sich Macht im Jemen konstituiert, absurd.

 

Das weiß eigentlich auch Präsident Hadi. Zu diesem Zeitpunkt ist also unklar, wie sich die Lage in Sanaa in den kommenden Tagen entwickeln wird. Wollen sich die Huthis als konstruktive politische Macht etablieren und im Rahmen einer Regierungsbeteiligung dann vielleicht noch einmal eine Neuordnung der föderalen Regionen in ihrem Sinne erreichen, so müssen sie zu einem Kompromiss mit dem Präsidenten kommen. Eine mögliche Lösung, die beiden Seiten Gesichtswahrung ermöglichen würde, wäre die Aufnahme einer Klausel in das Kompromissdokument, wonach die Huthis einer Entwaffnung zustimmen, wenn dies auch für alle anderen bewaffneten Akteure gilt.

 

Damit wäre diesbezüglich einmal wieder alles und nichts erreicht. Die große Gefahr im Augenblick ist, dass sich Abd al-Malik al-Huthi zu sehr an seiner eigenen Macht berauscht. Dann wäre der seit nunmehr drei Jahren andauernde politische Transitionsprozess in ernsthafter Gefahr.

Von: 
Marie-Christine Heinze

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