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Deutsch-ägyptische Beziehungen nach dem Sisi-Besuch

Ägypten richtig kritisieren

Kommentar

Schon im Vorfeld hagelte es Kritik, die Pressekonferenz von Kanzlerin Merkel und Abdelfattah El-Sisi geriet zur Farce. Immerhin könnte Berlin aus dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Lehren ziehen – nicht nur im Feld der Außenpolitik.

Nun hat Abdelfattah El-Sisi also Berlin besucht, mit Präsident Gauck, Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier gesprochen und für Siemens einen Milliardendeal unter Dach und Fach gebracht. Viel war im Vorfeld für und gegen den Besuch diskutiert worden. Deutschland habe seine Prinzipien über Bord geworfen, sagten die einen, Präsident Sisi seine Botschaft erhalten, meinten die anderen. Ohne Zweifel hat CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder sich ungeniert blamiert, ebenso der Tross ägyptischer Journalisten, die ihrem Präsidenten vor den erstaunten Augen Merkels und der Weltöffentlichkeit enthusiastisch huldigten, anstatt kritische Fragen zu stellen.

 

Was aber bleibt nach Sisis Besuch in Berlin für die Bundesregierung in Nahost und Nordafrika zu tun? In den meisten arabischen Ländern hat sich der anfangs hoffnungsfrohe Revolutionsprozess aus dem Jahr 2011 in der Zwischenzeit in einen Albtraum verwandelt. Mit Ausnahme Tunesiens steht momentan kein Land auf der politischen Transformationsskala besser da als vor Beginn der Umbrüche. Doch trotz der Katastrophen in Syrien, Jemen, Irak und Libyen ist Ägypten für die europäische Diplomatie die wohl größte Herausforderung im aktuellen Tagesgeschäft mit den arabischen Staaten, denn nirgends anders ist das Unterscheiden zwischen Gut und Böse aufgrund der schnell wechselnden Verhältnisse schwieriger denn hier.

 

Wurden die europäischen Regierungen wegen ihrer jahrelangen Unterstützung des für die regionale Sicherheit wichtigen, nach innen aber gnadenlos vorgehenden Hosni Mubarak von vielen Ägyptern zurecht kritisiert, verband sich schon mit der Wahl des Muslimbruders Muhammad Mursi zum Staatspräsidenten 2012 erneut das Dilemma der angemessenen Kooperationsform. Zweifelsohne frei und fair gewählt, fanden sich in Mursis Rhetorik und Politik schnell zahlreiche Elemente, die aus europäischer Sicht kaum akzeptabel waren. Gleichwohl aber sollte der Fehler aus dem Jahr 2006 nicht wiederholt werden, als westliche Vertreter nach freien und fairen Wahlen in Palästina die Hamas als Wahlsieger nicht als legitime Regierung anerkannt hatten.

 

Die Kritik im Falle der Hamas war groß: Die EU und ihre Mitgliedstaaten, so der Vorwurf, wollten offenbar doch keine Demokratie in der arabischen Welt, wenn sie nicht mal Bereitschaft zeigten, eine demokratisch gewählte Regierung anzuerkennen, die nicht dem eigenen Geschmack entspräche. Nun wiederholte sich 2012 in Ägypten dieses Szenario, und EU-weit entschieden sich die Regierungen zu einer Mischung aus Kooperation und Kritik mit der Islamisten-Regierung am Nil.

 

Kanzlerin Merkel empfing Mursi im Januar 2013 mit militärischen Ehren, jedoch kühl und distanziert. Zwei Jahre später besuchte also erneut ein ägyptischer Präsident Berlin, und wiederum stellt dies die westliche Diplomatie vor ein großes Dilemma: Wie reagieren auf einen Diktator, der mit harter Hand sämtlichen Widerstand erstickt, unter dessen Herrschaft Tausende aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen und ohne ausreichenden Rechtsschutz zu drakonischen Strafen abgeurteilt werden, unter dem bestimmte Richter aus offensichtlicher Rachsucht blutrünstige Urteile im Minutentakt verteilen, und die Armee nicht nur politisch wieder die alles kontrollierende Instanz ist, sondern auch wirtschaftlich Schritt für Schritt ihre Vorherrschaft auf Kosten des privaten Wettbewerbs ausbaut.

 

Ein Wohlstandseffekt innerhalb des nahezu geschlossenen ägyptischen Wirtschaftskreislaufs bleibt wohl ein Wunschtraum

 

Die unter Sisi in Gang gesetzten Wirtschaftskooperationen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait und Saudi-Arabien werden der lokalen Bevölkerung zwar als Sozialwohltat verkauft, dienen aber letztlich vor allem der Selbstbereicherung der an den Milliardendeals beteiligten Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die allesamt dem Regime nahe stehen. Ein Wohlstandseffekt, also dass sich die getätigten Investitionen nachhaltig bis hinab zu mittelständischen Unternehmern, selbstständigen Handwerkern oder einfachen Tagelöhnern positiv bemerkbar machen, kann angesichts des nahezu vollständig geschlossenen Wirtschaftskreislaufs der ägyptischen Armee nicht erwartet werden, weder durch den ausgebauten Suezkanal noch durch die angestrebte neue Hauptstadt.

 

Die westliche Diplomatie reagiert mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Interessenvertretung auf die neue Härte am Nil. Zwar kritisieren US-Kongress und EU-Staatschefs Sisis rigoroses Vorgehen wiederholt, versuchen aber dennoch, die Kooperation mit Ägypten weiterzuführen. Damit werden sich die westlichen Vertreter auch weiterhin den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie seien nur an Stabilität und prosperierenden Wirtschaftsentwicklungen interessiert.

 

Die Folge von kritischerem Vorgehen würde jedoch, so das Gegenargument, nur dafür sorgen, dass die ägyptische Regierung vermehrt den Kontakt Richtung Golfstaaten, Russland und China sucht. Was bleibt für die deutsche und europäische Diplomatie also nach dem Besuch Sisis zu tun? Weder die Anbiederung noch die berechtigte Kritik wird irgendeine Änderung in dessen Politik bewirken. Eines aber könnte Deutschland problemlos tun: Vorbild für Ägypten sein durch eine Änderung einiger seiner eigenen aktuellen Politikfelder.

 

Der Aufschrei gegen Ägyptens Energieirrsinn wird dank Merkels Klimapolitik ad absurdum geführt

 

Man denke an den NSA-Skandal. Das offenbar flächendeckende Abhören von ungezählten Bundesbürgern und damit verbundene Umdeuten des rechtstaatlichen Unschuldsprinzips führte seitens der Bundesregierung bislang nur zu zögerlichen Äußerungen über den unkontrollierten Machtmissbrauch seitens der USA und anderer befreundeter Staaten. Wie aber können deutsche Regierungsoffizielle gegenüber den ägyptischen Verantwortlichen Kritik an deren massenhaftem Ausspähen von Onlineaktivitäten zahlreicher ägyptischer Demokratie-Aktivisten formulieren, wenn selber keine entschiedene Haltung zur geschützten Privatsphäre im Internet gefunden und geäußert wird?

 

Ähnlich verheerend ist die aktuelle Diskussion um die Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr, das gezielte Töten von Feinden im Kampfeinsatz via Computersteuerung wäre damit möglich gemacht. Dass dabei seitens der Soldaten noch weniger zwischen tatsächlichem Feind und zivilem Opfer unterschieden werden kann, hat die US-Armee in Jemen, Pakistan und anderswo wiederholt eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wie aber lässt sich das unrechtmäßige Vorgehen der ägyptischen Sicherheitskräfte gegen oftmals auch nur vermutete Islamisten ohne rechtstaatliches Verfahren kritisieren, wenn selber die grundlegenden Prinzipien staatlichen Handelns einem höhergeordneten diffusen Sicherheitsziel geopfert werden?

 

Erwähnung finden muss auch die Diskrepanz zwischen Sagen und Tun in der deutschen Klimapolitik. Als die ägyptische Regierung im April 2014 beschloss, Kohlekraftwerke für die Bekämpfung der Energieknappheit im Lande neu zu errichten, ging ein Aufschrei durch die deutsche und europäische Diplomatie; die Ägypter sollten doch, so der Appell, an die Umwelt und den Klimawandel denken und auf alternative Energien setzen. Nahezu zeitgleich stritten sich die Fachminister und Landesvertreter in Brüssel um strengere Abgasnormen für PKW in der EU, und Angela Merkel verhinderte eben solche mit der Begründung des Schutzes der bundesdeutschen Automobilindustrie.

 

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer will keine zusätzlichen Stromleitungen für saubere Energie in seinem Bundesland haben, sondern die Landschaftsverschandelung lieber den Baden-Württembergern aufs Auge drücken. Der Aufschrei gegen Ägyptens Energieirrsinn von deutscher Seite wird damit ad absurdum geführt.

 

Der Sisi-Besuch sollte nicht nur zu abschätzigem Fingerzeigen auf die ägyptischen Missstände oder die Prinzipienlosigkeit der deutschen Diplomatie führen

 

Die Diskussion um ein verfassungsrechtliches Verbot der NPD führt auf ägyptischer Seite zu erstaunten Rückfragen: »Warum sollen wir die Muslimbrüder politisch integrieren, aber Ihr verbietet die NPD? Verfassungsfeindlich ist verfassungsfeindlich.« Und auch das gegenwärtige Theater um verhinderte Protestcamps rund um Schloss Elmau beim G7-Gipfel wird von ägyptischer Seite irritiert wahrgenommen: Warum sollen Demonstrationen auf dem Tahrirplatz zugelassen werden, wenn selbst im Geltungsbereich des Grundgesetzes offenbar im Handstreich grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden können? (Dass das Verwaltungsgericht München wenige Tage vor Beginn des Gipfels das Verbot aufhob, kann bei der innerägyptischen Diskussion von den Sisi-Unterstützern elegant vergessen werden).

 

Derartige Vorgänge in der deutschen Innenpolitik erschweren ohne Frage das Auftreten deutscher Diplomaten und Repräsentanten in der Zusammenarbeit mit Ägypten und anderen Autokratien erheblich. Ehrliche Politik hierzulande würde das berechtigte Kritisieren der zahlreichen Missstände in Ägypten hingegen sehr erleichtern. Damit würde Deutschland tatsächlich einen positiven Beitrag zum ungewissen Demokratisierungsfortgang in Ägypten und anderswo leisten – unabhängig von der Frage, ob mehr oder weniger Kooperation angesichts der Wiedereinführung diktatorischer Verhältnisse in Ägypten und anderswo das Gebot der Stunde sei.

 

Der Besuch Sisis sollte nicht nur zu abschätzigem Fingerzeigen auf die ägyptischen Missstände oder die Prinzipienlosigkeit der deutschen Diplomatie führen, sondern bietet Gelegenheit zur dringend notwendigen Selbstreflektion.


Jan Völkel ist seit Februar 2013 DAAD-Langzeitdozent für Politikwissenschaft im »Euro-Mediterranean Studies Programme« an der Cairo University und Regionalkoordinator für Nordafrika und Nahost beim Bertelsmann-Transformationsindex (www.bti-project.de).

Von: 
Jan Völkel

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