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Chinas Haltung in der Syrien-Frage

Wankelmütige Weltmacht

Analyse

Chinas Haltung in der Syrien-Frage ist keine Fundamentalopposition. Doch Pekings Führung misstraut den Motiven des Westens und will vor allem das Gesicht wahren – nicht zuletzt vor der eigenen Bevölkerung.

Lukrative Waffengeschäfte, eine Militärbasis direkt am Mittelmeer, Probleme im eigenen Land – es ist durchaus nachvollziehbar, dass die russische Regierung weiter zum Assad-Regime hält und sich gegen Sanktionen einsetzt. China hingegen fehlen solche Anreize, die Beziehungen nach Syrien sind wenig ausgeprägt. Trotzdem verhält sich die neue asiatische Großmacht angesichts Bürgerkrieg und schwerer Menschenrechtsverletzungen sehr zaghaft. Die Gründe dafür sind vielfältig.

 

Als Ende Januar diesen Jahres die Resolution 2012 im UN-Sicherheitsrat scheiterte, waren die die Vertreter der westlichen Länder kurz davor ihre Fassung zu verlieren. Wieder einmal versuchten sie die Gewalt in Syrien auf höchster Ebene zu verurteilen. Und wieder einmal blockierten China und Russland das Unterfangen. Dabei war der Text derart verwässert, dass selbst von leichten Sanktionen Abstand genommen und eine militärische Intervention kategorisch ausgeschlossen wurde. Zahlreiche Botschafter legten daraufhin kurzzeitig ihre sonst so diplomatische Sprache ab und beschuldigten die Abweichler Blut an ihren Händen zu haben.

 

Offiziell gab China an, dass Sanktionen gegen die syrische Regierung wirkungslos wären. Außerdem befürchtet die Regierung in Peking, dass der Westen insgeheime eine militärische Operation vorbereiten könnte. Allerdings wird in der Resolution lediglich die anhaltende Gewalt angeprangert und ein Waffenstillstand gefordert. Die Antragssteller hatten zuvor Sanktionen aus dem Dokument gestrichen, da sie bereits ein Veto erwarteten. Und das Interesse der NATO an einem Krieg ist momentan ohnehin begrenzt. Krisen an den Finanzmärkten und im Iran brauchen eine Lösung, zudem ist die Lage in Syrien äußerst unübersichtlich und könnte durch ein Eingreifen noch verschlimmert werden. Warum also gibt sich China derart zurückhaltend?

 

Pekings Furcht vor dem falschen Signal

 

Anders als Russland hat China nur marginale wirtschaftliche Interessen an Syrien. Zwar ist es einer der wichtigsten Güterlieferanten für das arabische Land, in Anbetracht dessen wirtschaftlicher Schwäche sind die Exporteinnahmen jedoch vernachlässigbar. Es sind also vielmehr politische und diplomatische Verstrickungen, die das Verhalten der Führungsriege in Peking erklären.

 

Einerseits hat das fernöstliche Land immer noch selbst Probleme mit der Einhaltung von Menschenrechten und demokratischen Reformen. Die chinesische Regierung geht seit Jahren hart gegen kritische Journalisten und Oppositionelle vor, tausende sitzen unter schlechten Bedingungen in Haft. Im Land herrscht eine starke Diskrepanz zwischen Ideologie und politischer Realität. Auf dem Papier ist China immer noch eine kommunistische Volksrepublik, doch die Reformen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass zumindest die Wirtschaft zunehmend kapitalistisch geprägt ist. Politische Neuerungen blieben bislang allerdings weitestgehend aus.

 

Genau dort werden die Parallelen zu Syrien klar. Das Land befindet sich unter Baschar al-Assad ebenfalls im Übergang von einer Plan- in eine Marktwirtschaft. Doch auch hier wurden keine Zugeständnisse an die Bevölkerung gemacht, was Freiheitsrechte und Partizipation angeht. Genau das bildet einen zentralen Protestpunkt der Opposition. Stellt China sich nun auf deren Seite, könnte dies ein falsches Signal an die eigene Bevölkerung sein.

 

Schon seit längerer Zeit sieht insbesondere die deutsche Forschung ein wachsendes Spannungsverhältnis zwischen Politik und Bevölkerung. Die China-Expertin der Universität Frankfurt, Heike Holbig, geht sogar davon aus, dass bei jeder größeren Reform die Gefahr eines massiven Zustimmungsverlustes von Seiten der Bürger besteht. Entsagt die Regierung nun einem der wenigen sozialistischen Staaten die Unterstützung, untergräbt sie ihre ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit. Dies meinte wohl auch die US-amerikanische Botschafterin Susan Rice, als sie China nach dessen Veto »nationale Interessen« unterstellte.

 

Die NATO-Staaten trifft wohl auch eine Teilschuld an der Zurückhaltung Chinas

 

Andererseits sind auch diplomatische Beziehungen von Bedeutung. China ist einer der BRICS-Staaten, die sich weiterhin aus Brasilien, Russland, Indien und Südafrika zusammensetzen. Diese sind allesamt aufstrebende Schwellenländer, die sich durch ein hohes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum auszeichnen und in den vergangenen Jahren vermehrt um weltpolitischen Einfluss ringen. Sie haben zum Teil ähnliche Interessen und versuchen sich als Gegenpol zu den etablierten Mächten zu positionieren. Damit ist auch eine gewisse Solidarität untereinander verbunden.

 

Diese machte sich bei der ersten Resolutionsabstimmung im Oktober bemerkbar, als alle fünf Staaten ähnliche Bedenken äußerten. Sie kritisierten vor allem die Rolle des Westens, der häufig vorschnell in die Belange von Entwicklungsländern eingreift und deren Souveränität nicht respektiert. Da Syrien ebenfalls ein Entwicklungsland ist, bietet sich solch ein Referendum natürlich als Machtbeweis an. Die Blockadehaltung Chinas ist also auch Ausdruck eines sich verschiebenden internationalen Machtgleichgewichts.

 

Hier trifft die NATO-Staaten wohl auch eine Teilschuld an der Zurückhaltung Chinas. Durch das häufige Eingreifen in die innenpolitischen Belange von Entwicklungsländern und die teils großzügige Auslegung von UN-Mandaten wie im Fall Libyen stehen sie unter permanentem Verdacht als Weltpolizei agieren zu wollen. In der Folge stellen sich ambitionierte Staaten gegen sie, um ihre eigenen Machtansprüche zu untermauern.

 

In den vergangenen Wochen hat China allerdings seine Bereitschaft, an einer konstruktiven Lösung mitzuwirken, bewiesen – ohne das Gesicht zu verlieren oder direkt die Opposition zu unterstützen. Die UN-Beobachtermission wird von Peking ausdrücklich unterstützt und trug so zum friedlichen Lösungsansatz und der – wenn auch überaus fragilen – Waffenruhe bei.

Von: 
Oliver Imhof

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