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Ausstellung »Türcken, Mohren und Tartaren«

Mit Allah für den König

Feature

Ist der Islam ein Teil Deutschlands? Ja – und wie! Die Ausstellung »Türcken, Mohren und Tartaren« im Wustrauer Brandenburg-Preußen-Museum zeigt, wie sehr muslimische Einwanderer Militär und Kultur in Deutschland geprägt haben.

»...ich verhandle derzeit mit tausend mohammedanischen Familien, denen ich in Westpreußen Heimstätten und Moscheen geben will. So wird es hier die vorgeschriebenen Fußwaschungen geben, und ohne empört zu sein, wird man hilli und halla singen hören. Dies war die einzige Sekte, die in diesem Land noch fehlte«, schreibt Friedrich II. im August 1775 in einem Brief an den französischen Philosophen Voltaire. Dass der preußische König Juden und Hugenotten in seinem Herrschaftsbereich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen toleriert hat, ist bekannt.

 

Aber dass er auch um Muslime geworben und in den wenig bevölkerten östlichen Regionen seines Reichs ansiedeln wollte, ist eine Seite deutscher Geschichte, die heute vergessen oder unbekannt ist. Dies zu ändern, ist Absicht der Schau »Türcken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen«. Das Brandenburg-Preußen-Museum in Wustrau hat sich in Kooperation mit dem Institut für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien (ICATAT) und dem türkischen Yunus-Emre-Institut vorgenommen, »erstmals in Deutschland« die Geschichte muslimischer Menschen und »deren kulturelle Einflüsse bis in die Mode und die Alltagsprodukte zu präsentieren«, so der Kurator Stephan Theilig im gleichnamigen Katalog.

 

Theilig und die anderen Organisatoren haben zu diesem Anlass 135 Exponatgruppen zusammengetragen. Ihr Ziel ist genauso ambitioniert wie der Zeitraum, den die Schau in dem privat finanzierten Museum nordwestlich von Berlin umfasst: Vom 15. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts.

 

Dabei wird das Jahr 1410 als Startpunkt für die Kontakte mit den Muslimen angesetzt. In jenem Jahr besiegten die Tataren auf der Seite des Königreichs Polen-Litauen gegen den Deutschen Orden. Und auch im Lauf der nächsten Jahrhunderte sind die Zusammenstöße in erster Linie militärischer Natur. Brandenburg-Preußen beteiligt sich bis Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder an den »Türkenkriegen«. Und mehrfach gelingt es, die bereits auf dem Balkan herrschenden Osmanen an einem weiteren Vorstoß nach Mittel- und Westeuropa zu hindern.

 

In der Schau ist dazu eine osmanische Lanzenspitze zu sehen, die vermutlich als Beute aus der Schlacht um Ofen im Jahr 1686 mitgenommen worden ist. Dass die Religion als Instrument eingesetzt wird, um die eigene Bevölkerung vor den fremden Truppen zu ängstigen, soll eine griechische Ikone des Heiligen Georg zeigen. Der Ritter gilt als Schutzpatron im Kampf gegen die Ungläubigen. Der von ihm besiegte Drache steht damals für die feindlichen Muslime.

 

Der Umgang mit muslimischen Kriegsgefangenen wird in der Ausstellung anhand einiger Biografien deutlich, die als extreme Beispiele hervorstechen: Der türkische Soldat Aly, um 1666 geboren, kommt 1686 als Gefangener zu Kurfürst Friedrich III. nach Berlin. Er konvertiert, wird auf den Namen Christian Friedrich Aly getauft und steigt auf zum »Kammertürken« von Friedrichs zweiter Ehefrau Sophie Charlotte, der ersten preußischen Königin. Ab 1711 ist er zwei Jahre lang als Stadthauptmann oberster königlicher Beamter der Stadt Charlottenburg.

 

Eine Art frühmoderner Einbürgerungstest gibt einen Eindruck von den Bedingungen, die Muslime erfüllen mussten, um in die christliche Glaubensgemeinschaft aufgenommen und aus der Gefangenschaft entlassen zu werden. Der für die damalige Zeit typisch langatmige Titel des Fragenkatalogs von 1574 lautet: »Kurtze einfeltige fragen vnd antwort die einem gebornen Tuercken ehe er getaufft mit dem kleinen Catechismo deß... Herren D. Martini Luthers seligen zu lernen sind vorgeschrieben worden durch M. Jacobum Eysenberg«.

 

Der »Türke« wandelt sich vom verteufelten Gegner zum umschwärmten Exoten

 

Wie stark sich das Verhältnis gegenüber den Muslimen nach dem endgültigen Zurückdrängen der Osmanen Ende des 18. Jahrhunderts verändert, wie sie vom »Erbfeind des Christentums« zum Vermittler fremder Kulturpraktiken und zur Projektionsfläche exotistischer Fantasien werden, zeigt unter anderem ein großformatiger Druck, auf dem die Berliner Bevölkerung den Einzug des türkischen Gesandten Asmi Ahmet Effendi vor dem Weißenseer Tor im Jahr 1763 bestaunt.

 

Neu dürfte für die meisten Besucher die Übernahme der kriegerischen Janitscharen-Musik sein: Die große und kleine Trommel, das Tamburin, die große Kesselpauke und das Horn sind nur einige Instrumente, die damals Einzug halten in die europäische Militärmusik, die bis dahin noch stark nach Kammermusik klingt. Zwei ausgestellte Objekte machen den osmanischen Einfluss besonders gut sichtbar: Eine mit kleinen Glocken behangene und mit einem nach oben offenen Halbmond verzierte Rossschweifstandarte – und ihre Weiterentwicklung, die bis heute in Gebrauch ist: ein Schellenbaum der Bundeswehr. Diplomatie, Militär und Kultur – diese Themen ziehen sich durchgängig durch die Schau.

 

So liegen zwei tatarische Großbriefe des Krim-Khans an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm vom August 1681 aus, die deutlich machen, dass selbst während der Kriege gegen die Osmanen freundschaftliche Kontakte zwischen beiden Seiten bestehen. Die Religion spielt keine große Rolle mehr – ebenso wie bei Friedrich II. und seinen Nachfolgern, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts versuchen, Tataren als Soldaten an den Grenzen ihres Reichs zu gewinnen.

 

Und damit Erfolg haben: 1745 treten 72 Tataren in Preußens Armee ein, nachdem ihr Sold aus sächsisch-polnischen Diensten nicht gezahlt wird. Die »Bosniaken« – damals gängige Bezeichnung der slawischsprachigen Muslime – leben unter Beibehaltung ihrer Religion, Sprache und Traditionen in Ostpreußen. Die muslimischen Reiter wachsen auf 1.200 Mann an und erhalten deswegen 1788 Regimentsstatus. In der Ausstellung ist eine von zwei erhaltenen Regimentsfahnen der Bosniaken aus dem 18. Jahrhundert zu sehen. Eine Uniform wurde, da keine Originale mehr erhalten sind, ebenso wie die dazugehörige turbanähnliche Kopfbedeckung extra für die Schau angefertigt.

 

Orientalische Genussmittel erobern den deutschen Alltag

 

Im Lauf des 19. Jahrhunderts intensivieren sich die Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und Preußen – insbesondere nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 und der Thronbesteigung Wilhelms II. 1888. Der neue Kaiser engagiert sich für eine enge politische Partnerschaft, verfolgt aber auch wirtschaftliche Ziele: Der Orient als Absatzmarkt, als Ziel von Investitionen – allen voran das Prestigeprojekt Bagdadbahn – und als Lieferant für Erdöl, das dann im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielt.

 

Zu dieser Epoche liegen besonders viele Exponate vor. Sie machen deutlich, wie stark der Orient den Alltag der Deutschen in der Moderne prägt: eine Langpfeife des Berliner Vereins »Brennende Liebe«, dessen Mitglieder beim Rauchen einen Fez tragen müssen, Tabakdosen mit orientalischen Motiven, Cafédosen einer Kaffeerösterei, das Originalreisetagebuch eines Kochs, der Wilhelm II. 1898 auf seine Fahrt ins Osmanische Reich begleitete und eine Sammlung von Dolchen aus dem 11. Jahrhundert, die angeblich aus dem »Schatz des Saladin« stammen.

 

1878 soll der osmanische Marschall und Diplomat Mehmed Ali Pascha, der am Berliner Kongress teilnimmt, die in Silber und Messing ausgeführten und mit Rubinen verziertem Dolche mit nach Deutschland gebracht haben. Dabei ist Mehmed Ali Pascha kein gebürtiger Osmane, sondern hugenottischer Herkunft und 1827 in Magdeburg als Ludwig Karl Friedrich Detroit geboren.

 

Die Ausstellung »Türcken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen« und der gleichnamige Katalog bieten eine Fülle an Informationen, die den Besucher staunen lassen, wie breit gefächert der Kulturtransfer seit dem 15. Jahrhundert aus den von Türken und Tataren bewohnten Gebieten nach Brandenburg-Preußen ist. Ein Beispiel sind Genussmittel wie Kaffee und Joghurt, Schokolade und Tabak, die zu unserem Alltag gehören. Sie stammen aus dem Orient oder sind über ihn nach Europa gelangt.

 

Eine Vielzahl an Exponaten illustriert die Auseinandersetzung mit den muslimischen Lebenswelten – darunter auch eine eindrucksvolle Sammlung deutschsprachiger Korane aus dem 17. bis 20. Jahrhundert, die von Gelehrten wie Friedrich Rückert übersetzt worden sind. Und so erfüllt die Schau ihren Kernanspruch. Nicht nur den »Blick auf die Frage zu weiten, ob der Islam Teil Deutschlands ist«, sondern, so Kurator Stephan Theilig weiter, auch zu zeigen, dass muslimische Menschen in Preußen gelebt haben – in friedlicher Koexistenz mit der Mehrheitsgesellschaft.

 


Die Ausstellung »Türcken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen« läuft noch bis 5. Oktober 2014 im Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau.

www.brandenburg-preussen-museum.de

Von: 
Behrang Samsami

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