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Megaprojeke in der Türkei

Das kostet der Flughafen

Feature
Flughafen Istanbul
In diesem dicht bewaldeten Areal nördlich von Istanbul soll der größte Flughafen der Türkei entstehen. Anna Lekas Miller

Der Bau von Istanbuls drittem Flughafen ist im vollen Gange. Die Zukunft von Dörfern und Wäldern nördlich der Metropole ist ungewiss. Und der wirtschaftliche Nutzen des Großprojekts ist umstritten.

Bis vor kurzem führte Ahmet einen kleinen Laden in dem er Jagdscheine verkaufte, in Alibeyköy, einem Dorf im Umland von Istanbul. Die meisten seiner Kunden waren einheimische Jäger und Naturliebhaber, die die nördlichen Wälder von Istanbul besuchten. Die weiten, bewaldeten Gebiete nördlich der Stadt erstrecken sich entlang der Küste des Schwarzen Meeres und sind Heimat für zahlreiche Vogel- und andere Tierarten. Doch als auf diesem Landstrich der Bau von Istanbuls neuem Flughafen begann – der einmal mindestens 90 Millionen Passagiere jährlich abfertigen soll, sobald der erste Abschnitt in 2018 eröffnet ist – Begann der Exodus der lokalen Fauna.

 

»Die Baufirmen kamen und fingen an, die Bäume zu fällen und die Seen trocken zu legen«, sagt der stämmige 42-Jährige, Tee trinkend und Zigarette rauchend im Café des Dorfes Agacli, eines der vielen Dörfer entlang der Schwarzmeerküste, die die Auswirkungen des Flughafenbaus spüren. Weil er sich kritisch über ein Projekt der Regierung äußert, bat Ahmet uns darum, seinen richtigen Namen nicht zu veröffentlichen.

Die Landschaft nahe der Schwarzmeerküste
Der Flughafen ist veranschlagt auf 7.650 Hektar Baufläche, 6.173 davon sind bewaldetes Gebiet. Anna Lekas Miller

»Es gibt keine Wildtiere mehr, die die Menschen jagen könnten und keine Seen mehr, in denen wir fischen könnten«, erzählt Ahmet weiter, während er sich eine weitere Zigarette anzündet. »Deshalb musste ich meinen Laden schließen.«

 

Agacli bedeutet auf Türkisch »waldreich« und ist benannt nach seinen üppigen Wäldern. Doch die Einheimischen befürchten, dass der Dorfname seiner Bedeutung bald nicht mehr gerecht wird, da die Baufirmen die Bäume fällen und riesige Steinbrüche in die Berge schlagen, um die Flughafenbaustellen mit Material zu versorgen.

 

Lebensraum und Flugrouten von mehr als 300 Vogelarten sind bedroht

»Ich bin besorgt, ob sich die Umwelt davon wieder erholen wird«, sagt Ahmets Freund Oktan und gestikuliert in Richtung des Highways, der vollgestopft ist von einer endlosen Schlange an Trucks, die Baumaterial aus den neuen Steinbrüchen abtransportieren. »Schon jetzt können wir kaum in unser Dorf gelangen, allein aufgrund des Verkehrs. Die Trucks fahren zu jeder Tag- und Nachtzeit. Und das wird noch für eine lange Zeit so bleiben.«

Trucks in Agacli
Agacli bedeutet auf Türkisch »waldreich« und ist benannt nach seinen üppigen Wäldern. Doch die Einheimischen befürchten, dass der Dorfname seiner Bedeutung bald nicht mehr gerecht wird. Anna Lekas Miller

Obwohl die Bewohner von Agacli und der anderen nahe gelegenen Dörfer versuchten, das Projekt bereits in seinen ersten Zügen zu stoppen – eine Klage von Einwohnern an einem regionalen Gericht war zunächst erfolgreich, bevor sie von einer höheren Instanz abgewiesen wurde – ist der Bau nun nicht mehr abwendbar. Das Flughafenareal ist auf 7.650 Hektar Baufläche veranschlagt, 6.173 davon bewaldetes Gebiet. Das hat die Umweltschutzorganisation »Kuzey Ormanları Savunması« (zu Deutsch: Verteidigung des nördlichen Waldes) in einer umfangreichen Untersuchung ausgerechnet. Lebensraum und Flugrouten von mehr als 300 Vogelarten würden zerstört, einschließlich die seltener Greifvögel wie des Schelladlers.

 

»Das ist eines der größten Projekte in der Türkei. Warum haben andere ausländische Banken kein Interesse daran gezeigt?« »Der Flughafen soll Istanbul nördlich ausdehnen. Dieses Gebiet ist aber momentan komplett mit Grünflächen, Wäldern und Seen bedeckt«, sagt Onur Akgül, ein Aktivist der Waldschützer. Zusätzlich zu dem Flughafen soll das Gesamtareal Tagungszentren, Hotels, Kraftwerke und andere Infrastruktur beherbergen, um die Entwicklung rund um den Flughafen voranzutreiben.

»Sie reden von Arbeitsplätzen, aber was wird passieren, wenn man sieben Millionen Menschen in dieser Stadt ansiedelt?« Akgül glaub, dass die zusätzlichen Entwicklungsmaßnahmen desaströse Auswirkungen auf das Ökosystem und potentiell auch das Klima haben werden.

 

»Der Luftverkehr ist ein Teil der Klimakrise«, sagt die Umweltforscherin Rose Bridger. Neben der Gefährdung von einheimischer Flora und Fauna werden der Bau und die der tagtägliche Flugverkehr die Luftverschmutzung verschlimmern und die Umwelt in Istanbul und der Marmara-Region beeinflussen, glaubt sie.

 

Die Projektverantwortlichen sehen den Flughafen als idealen Transitpunkt zwischen Europa und Asien, ausgerüstet mit sechs Start-und Landebahnen, sechzehn Rollfeldern und einer Umschlagskapazität von mindestens 150 Millionen Passagieren jährlich. Die Befürworter sind überzeugt von der grandiosen Vision des Flughafens. Wenn Istanbul seine überregionale Bedeutung erhalten wolle, müsse die Entwicklung der Bosporus-Metropole mit seinen Konkurrenten standhalten. Seit 2003 hat sich die Anzahl der Fluggäste, die türkische Flughäfen nutzen, versechsfacht. Ende 2015 zählten die Flughäfen des Landes 181,5 Millionen Passagiere. Zudem stehen Istanbuls vorhandene Flughäfen – Ataturk International und Sabiha Gokcen International wegen ihrer begrenzten Kapazitäten in der Kritik.

 

Die Projektverantwortlichen sehen den Flughafen als idealen Transitpunkt zwischen Europa und Asien, ausgerüstet mit sechs Start-und Landebahnen, sechzehn Rollfeldern und einer Umschlagskapazität von mindestens 150 Millionen Passagieren jährlich.Die Projektverantwortlichen sehen den Flughafen als idealen Transitpunkt zwischen Europa und Asien, ausgerüstet mit sechs Start-und Landebahnen, sechzehn Rollfeldern und einer Umschlagskapazität von mindestens 150 Millionen Passagieren jährlich.

 

Welche Vision für Istanbul?

»Der Flughafen zeugt von einer großen Vision«, sagt Atilla Yeşilada, ein in Istanbul ansässiger Politanalyst und Kommentator. Er arbeitet für Global Source Partners, ein Forschungsunternehmen, dass makroökonomische und politische Analysen für Investoren in Zukunftsmärkten erstellt. »Die Regierung plant, Besucher anzulocken und einen Transfer-Hub Richtung der Wachstumsmärkte Russland und Zentralasien zu schaffen.«

 

 

Andere Analysten sehen das Projekt eher von politischen Motiven als von reiner Marktnachfrage geleitet. »Das ist eines der größten Projekte in der Türkei«, sagt Türkei-Analyst Wolfgang Piccoli der Londoner Unternehmensberatung Teneo Intelligence gegenüber zenith. »Wenn man betrachtet, wer die Finanzierung dieses Projektes bereitstellt, fällt auf, dass nur eine ausländische Bank aufgeführt ist – eine russische Bank. Das wirft die Frage auf: warum haben andere ausländische Banken kein Interesse gezeigt?«

Atatürk-Flughafen Istanbul
Seit 2003 hat sich die Anzahl der Fluggäste, die türkische Flughäfen nutzen, versechsfacht. Ende 2015 zählten die Flughäfen des Landes 181,5 Millionen Passagiere. Stian Overdahl

Piccoli argumentiert, dass ohne signifikante Steigerung der Devisenreserven der Flughafen ein finanziell riskanteres Projekt sei. Hauptgrund: die Abwertung der Türkischen Lira, die 2016 deutlich an Wert verloren hat, vor allem im Nachgang des Militärputsches in der Türkei am 15. Juli. »Der Bauboom funktioniert, wenn günstige Kredite fließen. Aber mit steigenden Zinssätzen in den USA und in Europa wird das vorbei sein« ergänzt er. »Das könnte Baufirmen, die bereits verschuldet sind, in eine sehr schwierige Lage bringen.«

 

Der Flughafen ist das größte Entwicklungsprojekt der türkischen Geschichte, aber nicht das erste, das Kontroversen aufwirft. Der Bau der drittgrößten Trasse über den Bosporus, die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, die im August 2016 eröffnet wurde, wurde begleitet von regelmäßigen Demonstrationen gegen Abholzung und Anschuldigungen, dass von dem Projekt vor allem regierungsnahe Unternehmer profitierten.

 

Schon der Bau der Yavuz-Sultan-Selim-Brücke war von Demonstrationen begleitet worden

Dennoch befindet sich bereits eine weitere große Brücke im Bau, die Istanbul und die ägäische Küstenstadt Izmir näher zusammenbringen soll, ebenso wie ein Tunnel, der die europäische und asiatische Seite Istanbuls verbinden soll. Ein riesiger Kanal, der das Schwarze mit dem Marmara-Meer verbinden soll – und Istanbul in eine Inselstadt verwandeln würde – ist aktuell in der Planungsphase. »Das ist das Entwicklungsmodell, das die AKP seit 2002 vorantreibt«, ergänzt Piccoli. »Die Frage ist: Welchen Preis muss für die geschaffenen Jobs bezahlt werden?«

Zurück in Agacli
Auch wenn Oktan aus ideologischen Gründen gegen den Flughafen ist, gibt es wenig andere Arbeitsmöglichkeiten in dem kleinen Dorf. Anna Lekas Miller

 

Zurück in Agacli. Dem ständigen Brummen der Baufahrzeuge entkommt niemand und für die Zukunft der Dörfer entlang der Schwarzmeerküste scheint die letzte Stunde geschlagen. Neben den Zweifeln, ob der neue Flughafen ein echter Rettungsanker für die türkische Wirtschaft sein kann oder ein nur Ausdruck von Symbolpolitik ist, steht eines fest: Um im Dorf zu überleben, müssen sie das Projekt mittragen.

 

»Ich muss ehrlich sein«, gesteht Oktan mit gesenktem Blick. »In der letzten Woche habe ich mich für einen Job bei der IGA [die Firma, die den neuen Flughafen baut] beworben, und ich hoffe wirklich, dass ich ihn bekomme.« Oktans letzter Arbeitsplatz war auf der Baustelle der Yavuz-Sultan-Selim-Brücke. Dort war er in der Kartografie-Abteilung beschäftigt. Als der Bau abgeschlossen war, wurde er entlassen und nun sucht er einen neuen Job. Selbst wenn viele Einheimische und auch Umweltaktivisten damals gegen Abholzung und Vertreibung von Wildtieren demonstrierten, merkte Oktan, dass das Brückenprojekt vergleichsweise geringe Ausmaße annahm. Eben deswegen fürchtet er die Auswirkungen des Flughafenbaus umso mehr.

 

Auch wenn er aus ideologischen Gründen den Flughafen ablehnt, gibt es wenig andere Arbeitsmöglichkeiten in dem kleinen Dorf. »Es ist, als ob der weiße Mann den Ureinwohnern Waffen gibt, richtig?«, lacht Ahmed kopfschüttelnd und klopft Oktan auf den Rücken. »Was sollen wir tun? Wir müssen doch unser täglich Brot verdienen.«

 

Von: 
Anna Lekas Miller

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