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Vielvölkerstaat

Die Sache mit den Ariern

Essay
.Die Sache mit den Ariern
»Du wirst Iran wieder aufbauen – und das Volk wird frei von Trauer sein.« Premierminister Reza Khan wird Mitte der 1920er-Jahre als Retter des Mutterlandes stilisiert und in eine Reihe mit antiken und frühmodernen Herrschern Irans gestellt. Foto: Familienarchiv Samsami/Jahangiri

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Persern und Iranern? Im Land selbst ist diese Frage gar nicht so banal.

 

Viele Versprechungen hatte Hassan Ruhani im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2013 den aserbaidschanischen Türken, den Kurden, Turkmenen, Arabern und anderen nicht persischsprachigen Ethnien sowie religiösen Minderheiten im Land gemacht: Sie sollten, so der als moderat geltende Amtsanwärter, in alle politischen und administrativen Ebenen der Regierung, einschließlich des Kabinetts, einbezogen werden. Auch sicherte Ruhani im Fall seines Wahlsiegs die Erlaubnis zu, dass in Iran beheimatete Sprachen wie Kurdisch, Arabisch oder Belutschisch neben dem Persischen, der einzigen offiziellen Amtssprache, unterrichtet werden dürften. Darüber hinaus versprach er, nach seiner Wahl in Täbris eine Akademie für Sprache und Literatur der aserbaidschanischen Türken zu gründen.

Die nicht persischsprachigen Ethnien und religiösen Gruppen nahmen Ruhani beim Wort und votierten 2013 in großer Mehrheit für den Kandidaten der Reformer. Doch der Sieger lieferte nicht oder nur teilweise. Statt, wie versprochen, eine Akademie für Sprache und Literatur der aserbaidschanischen Türken ins Leben zu rufen, wurde im Mai 2016 eine Stiftung für Kultur, Kunst und Literatur Aserbaidschans gegründet, die hinter den Erwartungen der Wähler zurückblieb.

Auch die nicht persischsprachigen Ethnien und Minderheiten votierten mehrheitlich für Ruhani und ermöglichten ihm so eine zweite Amtsperiode

Im Vorfeld des Wahlgangs im Mai 2017 bereiste der Amtsinhaber wie sein Herausforderer, der konservative Ebrahim Raisi, gezielt die Regionen, in denen Nichtperser leben. Doch dieses Mal hielten sich die Kandidaten mit Versprechungen zurück. Dennoch votierten auch die nicht persisch-sprachigen Ethnien und religiösen Minderheiten mehrheitlich für Ruhani und ermöglichten ihm so eine zweite Amtsperiode. Damit goutierten sie in erster Linie seine Politik, die auf mehr Freiheiten in Iran selbst und auf eine primär wirtschaftliche Öffnung gegenüber den USA und Europa abzielt.

Während religiöse Minderheiten wie Christen, Juden und Zoroastrier jeweils mindestens einen Abgeordneten im iranischen Parlament stellen, sind die Rechte der nicht persischsprachigen Ethnien schon seit Jahrzehnten ein heikles Thema, das aufgrund des Drucks höchster Stellen in der Islamischen Republik nicht angetastet wird. Denn auch wenn zur Führungsschicht des Staates Angehörige verschiedener Ethnien gehören, sehen diese sich in erster Linie als Muslime. Darum herrscht große Unzufriedenheit bei den von persischer Seite gern diminutiv als »Minderheiten« bezeichneten Ethnien. Dabei sind einige der in Iran lebenden Völker, wenn man genauer hinschaut, zahlenmäßig gar nicht so klein.


»Du wirst Iran wiederaufbauen – und das Volk wird frei von Trauer sein.« Dieser Satz rechts unten auf der allegorischen Darstellung wendet sich direkt an Reza Khan. Der damalige Ministerpräsident und späteren Schah wird als Retter des Mutterlandes stilisi
»Du wirst Iran wiederaufbauen – und das Volk wird frei von Trauer sein.« Dieser Satz rechts unten auf der allegorischen Darstellung wendet sich direkt an Reza Khan. Bild: Familienarchiv Samsami/Jahangiri

So hat der frühere iranische Außenminister Ali Akbar Salehi bei einem Türkei-Besuch 2012 gesagt, dass 40 Prozent der iranischen Bevölkerung »Türkisch«, das heißt aserbaidschanisches Türkisch, sprechen würden. Die Ungeduld der nicht persischsprachigen Ethnien wird nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die Verfassung der Islamischen Republik in Kapitel 2, Artikel 15, den »Gebrauch der einheimischen Sprachen und Dialekte in der Presse und anderen Medien« sowie den »Unterricht der entsprechenden Literatur in den Schulen« neben der persischen Sprache freistellt.

Irans Verfassung stellt den »Gebrauch der einheimischen Sprache und Dialekte in der Presse und anderen Medien« sowie den »Unterricht der entsprechenden Literatur an den Schulen« frei

Darum fordern die nicht persisch- sprachigen Ethnien immer wieder ihr gesetzlich garantiertes Recht ein, ihre Sprachen und Kulturen frei leben zu können. So verteilten etwa Lehrer in Urmia, der Hauptstadt der Provinz West-Aserbaidschan, anlässlich des Internationalen Tags der Muttersprache am 21. Februar 2017 in Schulen und Kindergärten Lehrbücher in aserbaidschanischem Türkisch. Tausende Bürger derselben Stadt forderten darüber hinaus bei einem Volleyballspiel im heimischen Stadion, dass in Schulen in aserbaidschanischem Türkisch unterrichtet werden solle.

Die Unterdrückung und Diskriminierung der nicht persisch-sprachigen Ethnien in Iran hat ihren Ursprung in der Herrschaftszeit der Pahlavi-Dynastie. Damals wurde die Tatsache, dass Iran ein Vielvölkerstaat ist, zum Tabu. Nachdem die Abschaffung der Monarchie und die Installierung einer Republik von der schiitischen Geistlichkeit abgelehnt worden war, bestieg der wenig gebildete Offizier Reza Khan, der zu diesem Zeitpunkt Premierminister war, im Oktober 1925 mithilfe der Briten den Pfauenthron. Reza Khan gab sich, nach der gleichnamigen mittelpersischen Sprache, den Nachnamen Pahlavi.

Unter Reza Pahlavi wurde befohlen, den Menschen in Iran zu lehren, dass die Perser arischen Ursprungs wären und eine höherwertige Kultur besäßen als die anderen Ethnien im Land. Es sollen tatsächlich Stämme, die sich selbst als Arier bezeichneten, mehrere Jahrtausende vor Christus aus der Region nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres nach Nordindien und Iran migriert sein. Die »Aufwertung« als Bezeichnung für eine Herrenrasse erhielt der Begriff Arier dann allerdings erst im 19. Jahrhundert durch europäische Rassentheorien.

Reza Schah und sein Sohn und späterer Nachfolger Mohammed Reza Pahlavi machten sich dieses Wissen zunutze. Ziel ihrer chauvinistischen Politik war, aus dem Vielvölkerstaat einen zentralistischen, sprachlich und kulturell rein persisch geprägten Nationalstaat zu schaffen, dem das antike, zoroastrische Perserreich als Vorbild diente. Diese Art Konstruktion eines Nationalstaats war typisch für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Pahlavis, bestärkt von den Briten, wollten mit ihrer Arier-Ideologie dem Nachbarland Türkei nicht nachstehen, dass nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs unter Mustafa Kemal, dem späteren Atatürk, eine neue Identität mithilfe von Nationalismus und Laizismus suchte.

Die Ideologisierung und Radikalisierung in dieser Epoche und in dieser Region hatte mehrere Gründe. Im Fall Iran wollten die Briten mit der Installierung von Reza Khan als Schah und seinem Arier-Kult ein Bollwerk gegen die 1922 gegründete Sowjetunion schaffen, die wie das Zarenreich an den Persischen Golf und damit an die gigantischen Ölvorkommen Irans drängte. Reza Schah nutzte die faschistische Ideologie seinerseits, um die Absetzung seines Vorgängers Ahmad Schah aus der Dynastie der türkstämmigen Kadscharen zu legitimieren und diesen Nomadenstamm auf allerlei Art zu verunglimpfen. So wurde es unter den Pahlavis Usus, alle vorherigen negativen Ereignisse und Entwicklungen in Iran den Kadscharen zur Last zu legen – weil sie eben türkischer Herkunft und also minderwertig wären. Zu diesen negativen Ereignissen und Entwicklungen zählen vor allem: 1. Die Niederlagen und Gebietsverluste Irans seit der Machtübernahme der Kadscharen 1796; 2. die Infiltrierung der einheimischen Zentralregierung und der Provinzgouvernements durch Spione; 3. die Aufteilung und Besetzung des nördlichen und südlichen Teils des Landes durch Russen und Briten im Jahr 1907 sowie 4. das große Elend und Massensterben unter der einheimischen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg infolge der Missachtung der iranischen Neutralität.

Die Pahlavis wollten mit ihrer Arier-Ideologie dem Nachbarland Türkei nicht nachstehen, dass nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs unter Mustafa Kemal eine neue Identität mithilfe von Nationalismus und Laizismus suchte

Reza Schah und sein Regime unterdrückten und entrechteten die nicht persisch-sprachigen Ethnien im Land und verboten ihnen, ihre Sprachen und Kulturen zu pflegen. Gleichzeitig nutzten die Pahlavis die Geschichtsschreibung, um die persische Kultur hochleben zu lassen, die ihrer Meinung nach deshalb höherwertig war, weil sie sich angeblich durch die Jahrtausende gegen äußere Feinde – Araber, Mongolen und Turkvölker – behauptet hatte. Dass es die in Iran herrschenden türkischen Dynastien waren, die seit dem Mittelalter an Persisch als Amts- und Literatursprache festgehalten und diese so bis ins 20. Jahrhundert hinübergerettet hatten, wurde der Bevölkerung verschwiegen.

Fatal wirkte sich auch die Kooperation der Pahlavi-Regierung mit Hitler- Deutschland aus. Es war im Geist und Glauben an die gleiche höherwertige Herkunft, dass Reza Schah 1934/35 anordnete, das im Westen bisher als »Persien« bezeichnete Land offiziell in Iran – »Land der Arier« – umzubenennen. Die Bezeichnung »Iran« war bereits seit Langem im Gebrauch aller Ethnien für das Land, allerdings ohne den rassistischen Beigeschmack, den sie erst durch die Pahlavis erhielt.

    Die Bezeichnung »Iran« war bereits seit Langem im Gebrauch aller Ethnien für das Land, allerdings ohne den rassistischen Beigeschmack, den sie erst durch die Pahlavis erhielt

Reza Schah erlaubte auch, dass NS-Propaganda in Form kostenloser Zeitschriften und Filme in Massen nach Iran eingeführt wurde. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der rassistische Spuk kein Ende. Anfang der 1950er Jahre entstand die nationalsozialistische Partei SUMKA. Andere persische Faschisten gründeten in den 1940er Jahren eine paniranistische Partei und zielten auf die Schaffung eines einzig persisch geprägten Groß-Iran. Mohammed Reza Pahlavi setzte wie sein Vater auf diese Ideologie, um die Herrschaft seiner Familie zu legitimieren und sie in eine Tradition mit dem antiken Persien zu stellen. So ließ er 1971 in Persepolis eine 2.500-Jahr-Feier auf die Beine stellen, die an das Todesjahr von Kyros II. erinnern sollte, der das antike Perser- reich gegründet hatte.

Die Revolution 1979, die zur Gründung der Islamischen Republik führte, hat an dem Glauben persischer Rassisten nichts geändert. Im Gegenteil wird die Herrschaft der schiitischen Geistlichen, die dem Arierkult sowie der Verwestlichungs- und Modernisierungspolitik des Landes der Pahlavis eine strikte Re-Islamisierung entgegensetzten, als eine zweite Invasion der Araber angesehen, die Iran besetzt hielten und darum bekämpft werden müssten. Nichtsdestotrotz bestehen in Iran nach wie vor die von den Pahlavis geschaffenen Strukturen, die die nicht persischsprachigen Ethnien daran hindern, ihre Sprachen und Kulturen frei auszuleben und im Unterricht zu lehren.

Mohammed Reza Pahlavi ließ 1971 in Persepolis eine 2.500-Jahr-Feier auf die Beine stellen, die an das Todesjahr von Kyros II. erinnern sollte, der das antike Perserreich gegründet hatte

Ein gängiges Totschlagargument persischer Rassisten ist die Behauptung, dass Separatisten die Pflege ihrer regionalen Sprachen und Kulturen instrumentalisieren würden, um die äußeren, von nicht persischsprachigen Ethnien bewohnten Regionen von Iran abzutrennen und eigenständige Staaten zu gründen. Fakt ist: Soll Iran auch in Zukunft als ein Staat in einer von Krieg, Terror und zerfallenen Staaten heimgesuchten Region bestehen bleiben, wäre es hilfreich, bestimmte Strukturen zu reformieren, wie es unter anderem auch aserbaidschanisch-türkische, kurdische, arabische Aktivisten und Gruppierungen iranischer Herkunft fordern. Die wichtigsten Punkte lauten: 1. Die nicht persischsprachigen Ethnien sollen ihre Sprachen und Kulturen pflegen dürfen; 2. ihre Regionen sollen (mehr) politische Autonomie von der Hauptstadt erlangen und 3. Staatseinnahmen sollen gerechter in alle Regionen (zurück-)fließen und dort reinvestiert werden.

    Soll Iran auch in Zukunft als ein Staat in einer von Krieg, Terror und zerfallenen Staaten heimgesuchten Region bestehen bleiben, wäre es hilfreich, bestimmte Strukturen zu reformieren

Das heißt konkret: Im Bildungsbereich, also in der Kita, der Schule und der Universität, sollen die nicht persischen Sprachen dem Farsi auch realiter rechtlich gleichgestellt und im Unterricht künftig genauso freigesprochen und gelehrt werden wie die offizielle Amtssprache. Auf politischer Ebene sollen die Bürgerinnen und Bürger künftig die Möglichkeit erhalten, die Vertreter ihrer Kommunen und Provinzen selbst zu bestimmen, ohne dass die Zentralregierung dies, wie bisher, vorgibt. Und schließlich soll darauf geachtet werden, dass ein dem deutschen Bund-Länder-Finanzausgleich ähnlicher Pakt dafür sorgt, dass alle Regionen des Iran gleiche Entwicklungsmöglichkeiten haben, das heißt die von den nicht persisch-sprachigen Ethnien bewohnten Gebiete nicht vernachlässigt werden.

Iran ist wegen seiner besonderen geostrategischen Lage zwischen Kleinasien und Nordafrika, dem Kaukasus und Zentralasien, Indien und dem nach dem Subkontinent benannten Ozean schon immer ein Umschlagplatz für Händler, ein Schauplatz zahlreicher Kriege und ein Durchzugsgebiet und Schmelztiegel vieler Ethnien und Religionen gewesen. Die Vielfalt macht die Identität Irans aus – trotz oder gerade wegen der zahlreichen Herausforderungen, die sich dem Land dadurch stellen.

Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte: Seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan 1979 ist die Islamische Republik Zwischenstation und Zufluchtsort für Millionen Afghanen geworden. Iran als ethnischer, sprachlicher und kultureller Kreuzweg sollte daher in Zukunft auch von staatlicher Seite Rechnung getragen werden. Statt eines strikten Zentralismus und der zwangsweisen Assimilierung bzw. »Persianisierung« der nicht persisch-sprachigen Ethnien wäre eine gleichberechtigte, friedliche Partizipation aller seiner Völker an der Macht im Land geboten – wodurch separatistische Bestrebungen übrigens auch ihren Reiz verlieren würden.•


Dr. Behrang Samsami, geboren 1981 in Urmia (Iran), ist freier Journalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag.

Von: 
Dr. Behrang Samsami
Fotografien von: 
Familienarchiv Samsami/Jahangiri

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