Lesezeit: 5 Minuten
Syrien und Iran

Der Zweck entfremdet

Analyse
von Eva Tepest
Khamenei_IRGC
http://farsi.khamenei.ir/photo-album?id=36469#i

Iranische Firmen ziehen in Syrien zahlreiche Aufträge an Land und schließen reihenweise Wirtschaftsabkommen mit dem Regime

Ungeachtet aller Differenzen steht Iran seit Beginn der Kampfhandlungen 2011 stramm an der Seite des Assad-Regimes. Abgesehen von militärischer Unterstützung für Milizen – aus dem Libanon und dem Irak – sicherte Teheran auch finanziell den Fortbestand des Regimes: Iran lieh Syrien bereits 2013 3,5 Milliarden US-Dollar und erhöhte den Kredit 2015 um eine weitere Milliarde US-Dollar.

Zu Beginn des Syrienkrieges 2011 waren die Gründe für Irans Eingreifen vorwiegend geostrategischer Natur. Damaskus sicherte den Nachschub für die Versorgung der Hizbullah – Irans wichtigster Vasall in der Konfrontation mit Israel. Zudem befürchtete Teheran einen Machtzuwachs der arabischen Golfmonarchien. Deswegen kam ein Sturz des Assad-Regimes für Teheran sicherheitspolitisch nicht infrage. Doch schon 2011 spielten ebenso – wenn auch nachgeordnet – ökonomische Gründe eine Rolle für das iranische Eingreifen. Ein Beispiel hierfür ist der Plan, iranisches Erdgas über Irak und Syrien an den europäischen Markt anzubinden, um so den Anteil am globalen Erdgasmarkt zu erhöhen. Auch wenn der Krieg in Syrien das Projekt erst einmal auf Eis gelegt hat, hätte die Niederlage des syrischen Regimes Irans Hoffnung auf die Realisierung dieses entscheidenden Projekts erst einmal ein Ende gesetzt – auch in dieser Rechnung spielt die Konkurrenz zu den arabischen Golfstaaten eine gewichtige Rolle.

Auch beim Wiederaufbau der syrischen Stromversorgung fällt Iran die Schlüsselrolle zu – Syrien soll Transitland werden

Seitdem der militärische Sieg des Regimes ab Anfang 2017 abzusehen ist, machen Teheran und Damaskus Nägel mit Köpfen: Untermauern beide Seiten das politische Bündnis mit ökonomischer Kooperation oder kassiert Iran die Pfründe des Krieges auf Kosten seines Verbündeten? Fakt ist, dass sich Iran dank bilateraler Abkommen lukrative Aufträge für Infrastruktur und Wiederaufbau gesichert hat: in den Branchen Mobilfunk, Rohstoffabbau, Elektrizität und Städtebau. Die Al-Sharqia-­Phosphatmine bei Palmyra, 2015 vom »Islamischen Staat« (IS) besetzt und ein Jahr später dank Militärunterstützung durch die Revolutionsgarden zurückerobert, soll künftig ­gemeinsam betrieben werden. Irans größter Mobilfunkanbieter MCI bekam eine von drei Mobil­­funk­lizenzen für das syrische Netz zugesprochen. Die restlichen Deals umfassen unter anderem Konzessionen für etwa insgesamt 5.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen.

Auch beim Wiederaufbau der syrischen Stromversorgung fällt Iran eine Schlüsselrolle zu. Iranischen Staatsmedien zufolge plant Teheran mit Syrien als Transitland: Über den Irak und Libanon sollen die Leitungen bis ans Mittelmeer reichen – und das größte Stromnetz der islamischen Welt formen. Die ersten Weichen stellte Teheran Mitte September: In gemeinsamen Absichtserklärungen sicherte sich Iran das Vorrecht für die Wiederherstellung von Infrastruktur und Stromversorgung in Damaskus und Deir Al-Zur. Zuvor hatte der iranische Kraftwerkbetreiber MAPNA den Auftrag für Wiederherstellung und Betrieb des Leitungsnetzes in Aleppo zugesprochen bekommen.

All diese Abkommen beinhalten die Übertragung strategisch wichtiger syrischer Ressourcen an Iran, ohne klare Kompensationen zu definieren. Die Privatisierung staatlicher Schlüsselindustrien in Syrien setzt dabei einen Trend fort, der sich schon vor 2011 abzeichnete: Regimetreue Unternehmer profitieren besonders von Enteignungen und Privatisierungen – zum Nachteil von wirtschaftlich schwächeren und kleinen Privateigentümern. Nicht umsonst richteten sich zu Beginn der Revolution 2011 Demonstrationen gegen Profiteure der Vetternwirtschaft, wie den Assad-Cousin und Inhaber des Mobilfunkbetreibers Syriatel, Rami Makhlouf.

Die Konzessionsvergabe an loyale Gefolgsleute und regionale Verbündete flankiert das Regime mit legislativen Zwangsmaßnahmen: Auf der Grundlage des »Dekrets 66« enteignete die Regierung schon 2012 viele Bewohner und Hauseigentümer in zwei informellen Wohngebieten im Süden vom Damaskus – und schuf so ein Muster. Nach der Einnahme des Ostteils von Aleppo Anfang des Jahres versucht das Regime nun, das Dekret landesweit umzusetzen. Zwar sieht das Gesetz Entschädigungen für die Enteignungen vor. Doch wie viel gezahlt wird, ist nicht festgelegt – dementsprechend spärlich fallen die Zahlungen meist aus. De facto werden öffentliche Posten steuerfrei an Privatfirmen überschrieben. Davon profitiert Iran ebenso wie die Handlanger des Regimes.

Die Privatisierung staatlicher Schlüssel­industrien in Syrien setzt dabei einen Trend fort, der sich schon vor 2011 abzeichnete

Irans will seine dominante Stellung zudem dazu nutzen, den Revolutionsexport Richtung Syrien anzukurbeln: Die Islamische Republik versucht schon seit den frühen 1980er Jahren über kulturpolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel persische Sprachkurse und religiöse Bildungsreisen nach Iran, Einfluss auf syrische Schiiten zu nehmen. Spätestens seit 2012 setzen Sicherheitsdienste der Verbreitung iranischer Propaganda innerhalb der alawitischen und schiitischen Gemeinden in Syrien immer weniger Grenzen.

Seitdem verbreiten sich iranische Angebote rasant. Mit Iran verbundene Institutionen betreiben soziale und Bildungsangebote wie Moscheen, Pfadfindergruppen nach ­iranischem Muster, religiöse Frauenschulen und sogar eine Universität. Die schiitische Gemeinschaft Syriens gründete parallel dazu – nach libanesischem Vorbild – ihr eigenes religiöses Gremium: den »Obersten Dschafaritischen Rat in Syrien«, der sowohl Irans religiöse Führerschaft das Wort redet als auch die schiitischen Kampfverbände in Syrien betreut.

Angesichts der engen Verknüpfung von geostrategischem und propagandistischem Kalkül mit ökonomischen Überlegungen von iranischer Seite nimmt es kaum Wunder, dass eine Gruppe von den jüngsten Deals mit Syrien profitiert, die für ebenjene Verschränkung von Ideologie und Geschäft steht: die Revolutionsgarden, die eine von der iranischen Legislative unabhängige Parallelarmee unterhalten und einem Industrieimperium vorstehen. Wie weit der Einfluss des Konglomerats reicht, zeigt auch die Tatsache, dass der künftige Mobilfunklizenznehmer MCI der Telecommunication Company of Iran (TCI) untergeordnet ist. Das 2009 privatisierte Konsortium gehört mehrheitlich Eigentümern, die mit den Revolutionsgarden verbandelt sind – und denen mit der Verfügungsgewalt über Kommunikationskanäle ein wichtiges sicherheitsstrategisches Faustpfand zufällt.

Der Erhalt des syrischen Regimes hat durch den Krieg für Iran nicht nur geostrategisch, sondern vor allem wirtschaftlich an Bedeutung gewonnen. Die Achse Damaskus-Teheran ist nicht einfach enger geworden oder gewachsen – sie ist gekippt.

Von: 
Eva Tepest

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.