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Die Türkei und Assad

Sultan verpflichtet

Analyse
von Lars Hauch
Flagge der syrischen Turkmenen

Die Türkei setzt bei ihrer Intervention in Syrien maßgeblich auf bewaffnete ­turkmenische Milizen. Beide Seiten profitieren für den Moment von der ­Zusammenarbeit. Doch die Vasallenrolle drängt Syriens Turkmenen in die Ecke.

Syriens Turkmenen sind heute ein wichtiger Verbündeter der Türkei. Die Regierung in Ankara setzt bei ihrer militärischen Intervention im Nachbarland maßgeblich auf bewaffnete turkmenische Gruppen. Letztere profitieren für den Moment von der türkischen Schutzmacht. Gleichzeitig ist ihre Zukunft in Syrien ungewiss, während die Kooperation mit der Türkei die Gefahr neuer ethnischer Spannungen birgt.

Wenn von »Turkmenen« gesprochen wird, geht es allerdings nicht um die Einwohner des zentralasiatischen Staates Turkmenistan, wo sie die Bevölkerungsmehrheit stellen. Bedeutende Minderheiten des Turkvolkes leben überdies im benachbarten Afghanistan, im Iran, in Pakistan, in Usbekistan und in Russland.

Mit jenen Turkmenen haben die syrischen Turkmenen allerdings wenig gemein. Vielmehr sind sie direkte Nachfahren von anatolischen Migranten, die sich zu Zeiten osmanischer Herrschaft im heutigen Syrien ansiedelten. Entsprechend groß ist die Identifikation mit der Türkei, der sich viele Turkmenen historisch zugehörig fühlen. Sowohl die türkische Sprache als auch turkmenische Bräuche waren unter der Herrschaft der Assads streng verboten. Dennoch haben viele Turkmenen im Verborgenen ihre Identität bewahrt, feierten traditionelle Hochzeiten mit türkischer Musik, gaben ihren Neugeborenen türkische Vornamen und bestatteten ihre Toten nach zentralasiatisch-türkischer Tradition.

Schätzungsweise drei Millionen Turkmenen lebten 2011 in Syrien, als die Proteste gegen die Regierung Baschar Al-Assads in Gewalt umschlugen und große Teile des Landes erfassten. Öffentliche Bekundung ethnischer Identität wurde im Rahmen der Assad’schen Arabisierungspolitik mit Repression beantwortet. Viele Turkmenen erzählen von systematischer Benachteiligung, wahllosen Verhaftungen und Folter. So war die Begeisterung für den Aufstand gegen die Assad-Regierung groß.

Als die anfangs friedlichen Demonstrationen mit Gewalt niedergeschlagen wurden, organisierten sich ab dem Jahr 2012 zunehmend turkmenische Milizen auf lokaler Ebene. Unter dem Banner der »Freien Syrischen Armee« (FSA) verteidigten sie ihre Dörfer, nahmen aber auch an organisierten Offensiven gegen Assads Truppen und den selbst ernannten »Islamischen Staat« (IS) teil. Dabei kämpften sie mitunter Seite an Seite mit islamistischen Rebellengruppen und dschihadistischen Bewegungen wie der Nusra-­Front, deren Nachfolgeorganisation »Hayat Tahrir Al-Scham« sie nunmehr feindlich gegenüberstehen.

Mittlerweile konzentrieren sich die turkmenischen Milizen in einer türkischen Pufferzone im Nordwesten Syriens. Einzelne Brigaden harren zwar noch in den ehemaligen Turkmenen-Hochburgen in den Bergen der westlichen Provinz Latakia aus, doch der offene Kriegseintritt Russlands im Oktober 2015 und die zehntausenden von Iran nach Syrien geschleusten Kämpfer haben die bewaffnete Opposition in allen Teilen des Landes zurückgedrängt.

Auch die Türkei hat interveniert. Anfangs mit politischem Rückhalt und Bereitstellung finanzieller Mittel und Waffenlieferungen. Im August 2016 überquerten dann schließlich türkische Panzer die Grenze zu Syrien. Getragen wurde die Operation mit dem Namen »Euphrat-­Schild« auch von turkmenischen Milizen, die eng mit der Türkei kooperieren und sich im Vorfeld der Offensive politisch wie militärisch konsolidiert hatten.

»Euphrat-Schild« verfolgte zwei wesentliche Ziele. Zum einen erhoffte sich die Regierung in Ankara, ihren Einfluss im Konfliktgebiet auch physisch geltend zu machen: Militärische Präsenz und geschaffene Fakten haben sich im Syrien-Krieg als Triebfeder jeglicher Diplomatie erwiesen. Zum anderen richtete sich »Euphrat-­Schild« gegen die letzte vom IS gehaltene Landverbindung zur Türkei. Der rund 100 Kilometer breite Streifen schlug außerdem einen Keil in den von den kurdischen »Selbstverteidigungseinheiten« (YPG) kontrollierten Landstrich im Norden Syriens.

Die YPG ist der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD), einer Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), mit der sich der türkische Staat seit den 1980er Jahren in einem bewaffneten Konflikt befindet, der mehr als 30.000 Menschenleben gekostet hat. Im Vorfeld der türkischen Intervention hatte die YPG mit intensiver Unterstützung der USA ihr Einflussgebiet ausgedehnt und war im Begriff, ihre als »Rojava« bezeichneten Gebiete territorial zu verbinden – für Ankara eine rote Linie.

Operation »Euphrat-Schild« erwies sich aus türkischer Sicht als Erfolg und zeitigte zugleich Stagnation. Die protürkischen Rebellen eroberten innerhalb weniger Monate ein 2000 Quadratkilometer großes Gebiet und vertrieben den IS aus den strategisch wichtigen Städten Jarabulus und Al-Bab. Auch der Vormarsch der YPG wurde aufgehalten. Gleichzeitig verhinderte russische Militärpräsenz jedoch ein weiteres Vorrücken gegen die Kurdenmiliz in Richtung Westen und Süden, während die USA sich schützend vor der YPG im Osten positionierten.

Seither nutzt die Türkei die Pufferzone als sprichwörtlichen Fuß in der Tür im Syrien-Krieg. Im Operationsgebiet von »Euphrat-Schild« werden protürkische Rebellen ausgebildet, politische Strukturen etabliert und Binnenflüchtlinge mit dem Nötigsten versorgt. Die syrischen Turkmenen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Turkmenische Brigaden stehen an der Spitze der »Kommandozentrale Hawar Kilis«, der tonangebenden Rebellenkoalition im Norden der Provinz Aleppo, benannt nach dem gleichnamigen Dorf an der türkisch-syrischen Grenze. Zudem sind sie am Aufbau der »Nationalen Armee« beteiligt, einem weiteren von der Türkei unterstützen Projekt zur Zentralisierung bewaffneter Oppositionsgruppen. Neben der militärischen Dimension profitiert die türkische Regierung auch politisch von ihrer Zusammenarbeit mit den Turkmenen: Ankara präsentiert sich als Schutzmacht und rechtfertigt damit die türkische Intervention im Nachbarland.

In Syrien selbst mangelte es den Turkmenen lange Zeit an einflussreichen Verbündeten und politischer Organisation. Entsprechend groß ist die Sympathie für die Türkei, die Heimat der 2012 gegründeten »Syrisch-Turkmenischen Generalversammlung« ist. Mithilfe des türkischen Staates haben sich unterschiedliche turkmenische Gruppen in der Generalversammlung politisch organisiert und die zuvor zersplitterten Akteure geeint. Zwar unterhält das Gremium keine nennenswerten Verbindungen zu den bewaffneten turkmenischen Gruppen in Syrien, wird aber dennoch von Ankara als legitime Vertretung der syrischen Turkmenen anerkannt.

Die türkische Rückendeckung könnte sich als Fluch und Segen zugleich erweisen. Trotz ihrer Nähe zur Türkei betrachten viele der Turkmenen Syrien nach wie vor als ihre Heimat und fordern ihren Platz in der Neuordnung des Landes ein. Angesichts der vergifteten Beziehungen zwischen den Regierungen der Türkei und Syriens erscheinen die Aussichten hierfür allerdings trübe.

Auch innerhalb der türkischen Pufferzone steigt die Gefahr ethnischer Spannungen zwischen Arabern und Turkmenen, die in der Vergangenheit friedlich miteinander lebten. Einige Araber werfen den von der Türkei unterstützten lokalen Verwaltungen vor, Turkmenen systematisch zu bevorzugen und die Bereicherung turkmenischer Brigaden zu billigen. So sehen sich die einst unterdrückten Turkmenen mit Vorwürfen konfrontiert, Nutznießer der türkischen Intervention zu sein. Eine gefährliche Dynamik, denn sechs Jahre Krieg entlang religiöser und ethnischer Linien haben ihre Spuren hinterlassen: Missstände werden häufig auf konstruierte Differenzen zwischen religiöser und ethnischer Zugehörigkeit zurückgeführt, wodurch diese weiter verschärft werden.

Die Aussichten für die Rückkehr zehntausender Turkmenen, die in Flüchtlingslagern in der Türkei untergekommen sind, sind ungewiss. Aus Angst vor neuer Gewalt haben sich nur wenige von ihnen in die türkische Pufferzone gewagt. Die turkmenischen Milizen können, anders als der Großteil von Syriens bewaffneter Opposition, zwar auf unmittelbare ausländische Unterstützung setzen, sind dem politischen Kurs der türkischen Regierung jedoch letztlich ausgeliefert. Eine Wahl haben sie angesichts der desolaten Lage in Syrien allerdings kaum.


LARS HAUCH ist freischaffender Journalist und beschäftigt sich mit Sicherheitspolitik und Islamismus im Nahen Osten. Er schreibt unter anderem für Internationale Politik und Gesellschaft und Perspective Daily.

Von: 
Lars Hauch

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