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Israelisch-iranische Beziehungen

Der Schah war bestimmt kein Zionist...

Analyse
Iranisch-israelische Beziehungen
Zu einer ernsthaften Feindschaft wandelte sich das Verhältnis zwischen Israel und Iran erst in den 1990er-Jahren. Foto: Florian Guckelsberger

... und andere Missverständnisse. Iranforscher in Tel Aviv hinterfragen die Freundschaft Israels mit dem Kaiserreich – aber auch die Feindschaft mit der Islamischen Republik

Für Miriam Nissimov war die Bedrohung ganz nah im Jahr 1980, kurz bevor die Elfjährige mit ihren Eltern und zwei ihrer vier Schwestern Iran für immer verließ: »Wir hörten jede Nacht Explosionen.« Die Nissimovs lebten in einem kurdischen Dorf in der Nähe von Kermanschah, als in der Umgebung Grenzkämpfe zwischen iranischen und irakischen Truppen ausbrachen, noch bevor im September der Krieg mit einem irakischen Großangriff begann.

 

»Mein Vater hatte ein Geschäft für Textilien. Es war immer sein Traum gewesen, nach Israel auszuwandern, so wie es seine Schwestern 1948 getan hatten. Nun kam dazu, dass wir nicht mehr sicher waren in unserem Dorf. Also sind wir gegangen.«

 

Doch für Miriam Nissimov war Israel zu dieser Zeit nicht das gelobte Land, im Gegenteil. »Ich war wie viele junge Iraner damals sehr links und sehr anti-israelisch eingestellt«, erzählt die kurdische Jüdin. Sie erinnert sich an die Banner mit Sprüchen wie »Tod Amerika« und »Tod Israel« und an die populäre Heldengeschichte eines palästinensischen Jungen, der einen israelischen Soldaten mit einer Aubergine verjagt.

 

38 Jahre später sitzt Miriam Nissimov in ihrem Büro im vierten Stock der Universität Tel Aviv, aus dem Fenster blickt man auf hohe Palmen und brutalistische Architektur. Die Frau mit den zum Zopf gebundenen dicken lockigen Haaren und der schwarzen Brille leitet ein Forschungsprojekt, das die Geschichte der iranischen Juden aufzeichnet, vor und nach der Emigration.

 

An der Wand hängt ein Bild der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, auf dem Schreibtisch liegt ein Bildband über die Wüstenstadt Kaschan und an die Korkpinnwand geheftet ist ein Schwarz-Weiß-Foto, das Frauen in kurdischer Tracht zeigt. »Eine von ihnen ist meine Tante«, sagt Nissimov, wie zum Beweis, wie gut die Juden in Irans Regionen integriert waren vor 1979.

 

Die wenigen Israelis im Land aber lebten in geschlossenen Wohnanlagen, so Nissimov: »Sie hatten kaum etwas zu tun mit Iranern.« Die Forscherin widerspricht einem historischen Klischee: dass Iran zu Zeiten des Schahs mit dem jüdischen Staat eng befreundet war, dass dies auch für die Bevölkerungen in den beiden westlich orientierten Staaten galt, dass es keine Probleme gab miteinander, dass heute bloß die »Herrschaft der Mullahs« eine Partnerschaft verhindert und die Staaten zu Erzfeinden macht.

 

»Wir erinnern uns natürlich an Kyros den Großen, der die Juden befreite, und dann an den Schah. Aber dazwischen gab es viel Auf und Ab und wir vergessen, was die Iraner den Juden auch angetan haben«, sagt Professor David Menashri. Die Iraner seien wesentlich anti-jüdischer gewesen als beispielsweise die Araber und die Osmanen.

 

Menashri hat das Zentrum für Iran-Studien an der Tel Aviver Universität aufgebaut, er war zehn Jahre lang Vorsitzender der Organisation iranischer Israelis und er hat – und das ist bemerkenswert – zweimal in Iran gelebt, als kleiner Junge vor der Emigration 1949 und weitere zwei Jahre als junger Akademiker am Vorabend der Revolution. Somit kann er das Verhältnis der Länder und Völker gleichzeitig als Insider und als Außenstehender beurteilen.

 

»Dem Shah war die Sache der Palästinenser wahrscheinlich egal, aber er konnte trotzdem wegen des Nahostkonflikts keine offizielle Verbindung eingehen«, meint Menashri. So tauchten die Flüge von El Al nicht auf dem Flugplan auf und die diplomatische Vertretung musste auf Beflaggung verzichten.

 

Gleichzeitig brauchte Mohammed Reza Pahlavi Israel, um die Araber in Schach zu halten und weil er enge Beziehungen zu Amerika anstrebte. »Es war einfach eine strategische Allianz«, sagt Menashri. Ayatollah Khomeini habe sich dann die antisemitischen Einstellungen in der schiitischen Bevölkerung zu Nutze gemacht.

 

Forscher widersprechen einem historischen Klischee: dass Iran zu Zeiten des Schahs mit dem jüdischen Staat eng befreundet war

 

»Es hatte eine Zeit gegeben, in der Juden in Iran bei Regen das Haus nicht verlassen durften, weil sie als nadschis – also rituell unrein – galten und der von ihnen abtropfende Niederschlag angeblich die Straßen verunreinigte. Dieses Konzept hat Khomeini bis zu einem gewissen Grad wiederbelebt«, so Menashri. Die schiitische Köchin im Haushalt seiner Familie probierte das Essen nie. »Weil sie sich weigerte, aus dem gleichen Topf zu essen wie wir.« Das war vor 1979.

 

Ein klarer Bruch war Khomeinis Machtübernahme also nicht, auch nicht auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene. Die Israelis beließen sogar zunächst ihre Diplomaten im Land, vielleicht weil sie auf einen anderen Ausgang der Revolution hofften. Auch der Handel zwischen den Staaten wurde nicht gestoppt, das bewies spätestens die sogenannte Iran-Contra-Affäre 1986, als Israel im Auftrag der US-Regierung Waffen an die Islamische Republik lieferte.

 

Dabei ging es unter anderem um panzerbrechende TOW-Raketen, die Deals wurden über private Mittelsmänner abgewickelt und sollten dazu führen, dass US-Geiseln im Libanon freikommen. »Israel hat bereits davor Waffen oder zumindest Waffenteile an die Iraner verkauft und es würde mich nicht wundern, wenn sie außerdem iranisches Öl gekauft haben«, sagt Menashri.

 

Denn Iran lag nach den ersten Kriegsjahren am Boden. Eine Situation, in der der spirituelle Führer der Revolution pragmatisch dachte. Khomeini soll gesagt haben: »Wer im tiefen Wasser zu ertrinken droht, muss sich notfalls an den Schwanz der Schlange klammern.« Die Iraner benötigten vor allem Ersatzteile und Waffen aus US-Produktion, denn damit hatte noch das Schah-Regime seine Arsenale bestückt. Und solche Komponenten hatten die Israelis.

 

Die Deals zwischen den vermeintlichen Todfeinden wurden auch auf israelischer Seite pragmatisch beurteilt, wollte man doch Gesprächskanäle zu moderaten Iranern offenhalten. Zudem schätzte man Iran im Vergleich zum Irak als weniger gefährlich ein: Der schwächere Feind meines stärkeren Feindes ist mein Freund.

 

Aber selbst als die Ideologen der Revolution offen gegen Israel hetzten, handelten sie womöglich aus pragmatischen Erwägungen. Denn das iranische Hegemoniestreben bedingte, »als Anführer der muslimischen Welt das Banner Jerusalems hochzuhalten«, wie Menashri es ausdrückt. Die Propaganda sollte auch den inneren Zusammenhalt stärken, es brauchte einen Feind, gegen den sich agitieren ließ. »Wenn es Israel nicht gäbe, müsste das Regime einen jüdischen Staat erfinden«, glaubt der Iran-Experte.

 

Zu einer ernsthaften Feindschaft wandelte sich das Verhältnis zwischen den Staaten erst in den 1990er-Jahren, als Iran – die internationale Koalition hatte Hauptfeind Saddam Hussein niedergeworfen – sein Streben nach nuklearer Aufrüstung intensivierte. Der damalige Knesset-Abgeordnete Benyamin Netanyahu warnte bereits 1993 öffentlich vor Iran als »größter Gefahr«.

 

Die Israelis beließen 1979 sogar zunächst ihre Diplomaten in Iran, vielleicht weil sie auf einen anderen Ausgang der Revolution hofften

 

»Bis 1999 werden sie ihre erste Bombe entwickelt haben. « Sein politischer Gegner, Premierminister Jitzchak Rabin, sah die Dinge ähnlich. Weggefährten berichten, dass seine Bemühungen um einen Frieden mit den Palästinensern auch dem Gedanken geschuldet waren, dass sich Israel so auf die iranische Gefahr konzentrieren könnte.

 

Rabin wurde 1995 ermordet, für Netanyahu blieb die Warnung vor Iran eine Konstante seiner Laufbahn. 2015 agitierte der Premier – in einer historischen Konfrontation mit dem amtierenden US-Präsidenten Barack Obama – vor dem Kongress in Washington gegen das iranische Atomabkommen. Monate später wurde der »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA) trotzdem unterzeichnet.

 

Im April 2018 präsentierte der Regierungschef das »Nukleararchiv« der Iraner in Tel Aviv, nachdem es der Mossad zuvor angeblich aus Teheran herausgeschmuggelt hatte. Experten konnten inhaltlich nichts Neues feststellen, doch der PR-Coup war wohl einer der wesentlichen Gründe für Präsident Donald Trump, das Abkommen wenig später aufzukündigen.

 

Vor diesem Hintergrund ist Netanyahus neue Kommunikationsstrategie, die er seit einigen Monaten verfolgt, umso fragwürdiger. So martialisch der Premier dem Regime droht, so großherzig und verständnisvoll möchte er klingen, wenn er sich direkt an das iranische Volk wendet. So bietet Netanyahu dürregeplagten Bauern israelische Technologie zur Wasseraufbereitung an oder beklagt das Schicksal des (fiktiven) iranischen Mädchens Fatemeh. »Ich glaube nicht, dass es auch nur eine einzige Person in Iran gibt, die seine Sorgen um die Iraner ernst nimmt«, beurteilt Miriam Nissimov die Avancen des Premiers.

 

Vielleicht spricht »Bibi« hier aber auch zu seinem eigenen Wahlvolk, denn das Iran-Bild der Israelis ist seit jeher sehr differenziert. »Das Regime ist für sie ein Haufen von Fanatikern, dem man nicht trauen kann«, sagt Meir Javedanfar, ein anderer iranisch-israelischer Experte. Deshalb war der Widerstand gegen das Atom-Abkommen so breit verankert, deshalb unterstützen nun beinahe alle Israelis die Forderung, Iraner und von ihnen gesteuerte schiitischen Milizen müssten Syrien verlassen.

 

Aber vom iranischen Volk haben viele Israelis eine hohe Meinung. Man unterscheidet genau zwischen Arabern und Iranern und billigt Letzteren eine reiche, Jahrtausende alte Kultur zu. Diese Wertschätzung drückt sich auch in den israelischen Medien aus. Rita, die 1962 in Teheran geboren wurde und auf Farsi singt, gehört zu den größten Stars des Landes. Der auf Persisch gedrehte Film »Baba Joon« vertrat das Land vor drei Jahren bei den Oscars.

 

Letztlich hätten Israelis und Iraner eine Menge gemeinsam, sagt Nissimov und meint damit unter anderem die Macht der Religion in der Gesellschaft. »Außenstehende denken oftmals, dass die liberalen Kräfte in der Mehrheit sind, aber das stimmt nicht, weder in Iran noch in Israel.«

Von: 
Thore Schröder

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