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Hintergründe zum Konflikt im Jemen

Niemand gibt die Macht leichtfertig her

Analyse
Jemens wichtigster Hafen
Auf vielen der Containern prangen inzwischen Graffitis. In den von den Huthis kontrollierten Gegenden zeigen sie meist antiamerikanische und antisaudische Slogans und Karikaturen. Foto: Alessio Romenzi

Die wichtigsten Hintergründe zum Jemen-Konflikt – und warum er im Jahr 2023 in eine neue Phase trat.

Seit Saudi-Arabien und Iran am 10. März 2023 in Beijing die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen verkündeten, überschlagen sich die Kommentatoren mit positiven Prognosen hinsichtlich der Bedeutung dieser Annäherung für den Krieg im Jemen. Immerhin unterstützen die beiden regionalen Konkurrenten miteinander verfeindete Parteien: Iran unterstützt die Huthis, die die Hauptstadt Sanaa und große Teile des bevölkerungsreichen Nordens kontrollieren. Saudi-Arabien unterstützt (Teile der) Anti-Huthi-Koalition.

 

Der Jemen-Konflikt ist daher auch ein wichtiger Austragungsort des regionalen Machtkampfs zwischen Iran und Saudi-Arabien und war somit auch Gegenstand des nun in China verabschiedeten Abkommens: Darin soll Iran zugesichert haben, die Huthis von nun an nicht mehr zu Angriffen auf saudisches Territorium zu ermutigen und auch keine Waffen mehr an sie zu liefern.

 

Auch wenn die Huthis nicht notwendigerweise von diesen Waffenlieferungen abhängig sind und generell recht eigenständig von Iran agieren, sind von dieser Entwicklung neue Dynamiken für die bereits seit Längerem laufenden Gespräche zwischen den Huthis und Saudi-Arabien unter Vermittlung Omans zu erwarten. Seitdem der seit April 2022 andauernde Waffenstillstand Ende Oktober aufgrund von neuen Forderungen der Huthis in letzter Sekunde nicht verlängert werden konnte, haben sich die Gespräche über eine Erneuerung auf die bilaterale Ebene zwischen dem saudischen Königreich und den Huthis verlagert.

 

Nur wenig hierüber dringt jedoch nach draußen und auch der UN-Sondergesandte Hans Grundberg ist hier außen vor. Der grobe Inhalt ist jedoch bekannt: Die Huthis wollen ihre Forderungen im Hinblick auf die von ihnen als »humanitäre Akte« bezeichneten Angelegenheiten erfüllt sehen: Das heißt die vollständige Öffnung des Flughafens von Sanaa und des Hafens von Hodeidah sowie die Zahlung aller Gehälter des öffentlichen Sektors, inklusive Militär, Polizei und weiterer Sicherheitsdienste.

 

Iran soll zugesichert haben, die Huthis von nun an nicht mehr zu Angriffen auf saudisches Territorium zu ermutigen

 

Saudi-Arabiens Interesse bei den Gesprächen ist das gleiche, das auch das Abkommen mit Iran leitete: Zum Erreichen seiner ehrgeizigen innenpolitischen Ambitionen im Rahmen der »Vision 2030« benötigt das Königreich ein stabiles regionalpolitisches Umfeld. Angriffe auf saudisches Territorium von jemenitischer Seite aus gilt es daher zu verhindern – auch auf Kosten signifikanter Konzessionen an die Kraft, die man seit 2015 aktiv und unter erheblichen finanziellen (ganz zu schweigen menschlichen) Verlusten bekämpft hat.

 

Saudi-Arabiens Ziel: ein Abkommen mit den Huthis zur Sicherung des eigenen Territoriums und der für das Königreich essenziellen Seewege zwischen Rotem und Arabischem Meer. Dass diese beiden Akteure nun miteinander direkt verhandeln, ist wichtig für die grenzübergreifende Dimension des Jemen-Konfliktes.

 

Sie lässt jedoch alle innerjemenitischen Akteure des Krieges außen vor. Keine Partei des seit Rücktritt von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi im April 2022 regierenden Präsidialrats, der die wichtigsten Repräsentanten der Anti-Huthi-Koalition versammelt, ist in die Gespräche miteinbezogen. So entzieht Saudi-Arabien dieser Gruppe wichtige Verhandlungsmasse für Gespräche mit den Huthis, sollten diese zustande kommen.

 

Dass es solche Gespräche für einen breiteren Waffenstillstand und daran anschließende, möglichst inklusive Gespräche für ein nachhaltiges Friedensabkommen unter Leitung des UN-Sondergesandten gibt, ist jedoch zentral für die nachhaltige Beendigung des Konfliktes, der immer noch vor allem auch ein Bürgerkrieg ist. Regionale Abkommen können diesen Krieg nicht beenden. Hierfür ist es zentral, dass sich an die Gespräche zwischen den Huthis und Saudi-Arabien innerjemenitische Verhandlungen anschließen.

 

Die Bereitschaft der Huthis, hochrangige Kriegsgefangenen freizulassen, ist ein positives Signal

 

Die am 20. März in Genf nach zehntägigen Verhandlungen erreichte Einigung auf einen Gefangenenaustausch deutet auf Verhandlungsbereitschaft hin: Im Gegenzug für die Freilassung von 706 Gefangenen der Regierung in Aden werden die Huthis 181 Kriegsgefangene freilassen, darunter 15 Saudis und 3 Sudanesen, aber vor allem auch hochrangige Persönlichkeiten, deren Freilassung sie in früheren Verhandlungszyklen stets verweigert hatten.

 

Hierzu gehören der frühere Verteidigungsminister Mahmud Al-Subayhi, der Bruder von Ex-Präsident Hadi, sowie Bruder und Sohn von Tariq Salih, des Neffen des 2011 gestürzten und 2017 von den Huthis getöteten Ex-Präsidenten Ali Abdullah Salih. Die Bereitschaft der Huthis, diese hochrangigen Kriegsgefangenen freizulassen, ist angesichts ihrer vorherigen jahrelangen Kompromisslosigkeit in allen Verhandlungen ein positives Signal.

 

Und so stehen insgesamt die Zeichen im Frühjahr 2023 auf Hoffnung. Wie fragil diese Hoffnung jedoch ist, zeigen nicht nur die wieder aufflammenden Kämpfe nach Angriffen der Huthis an mehreren inner-jemenitischen Fronten um den Beginn des Ramadan. Auch die Brüchigkeit der Anti-Huthi-Koalition mit den sehr unterschiedlichen Zielsetzungen und militärischen Loyalitäten zeigt, dass der Jemen noch einen sehr langen Weg vor sich hat.

 

Während nämlich in den vergangenen Monaten der »Waffenstillstand ohne Waffenstillstand«, also der generelle Verzicht auf Kampfhandlungen auch ohne formales Waffenstillstandsabkommen zwischen den Huthis und der Anti-Huthi-Koalition, hielt, war der »Übergangsrat des Südens« (STC) damit beschäftigt, Fakten zu schaffen. Ebenso ist Tariq Salih, dessen »Republikanische Streitkräfte« ebenfalls von den VAE unterstützt werden, in der Region Mokka am Roten Meer mit einem eigenen Hafen, Flughafen und vielen weiteren Infrastrukturmaßnahmen beschäftigt, einen eigenen Staat im Staate aufzubauen.

 

Keine dieser Kräfte werden ihre gewonnene Kontrolle und Macht leichtfertig aufgeben und stets dazu in der Lage sein, einen fragilen Frieden zu sabotieren, sollte er nicht ihren eigenen Interessen entsprechen. Umso wichtiger wird es für den Friedensprozess, nicht nur diejenigen am Verhandlungstisch zu versammeln, die über militärische Macht verfügen, sondern auch diejenigen, die Opfer dieser Machtkämpfe in den vergangenen Jahren waren und sich aktiv unter Einsatz ihres Lebens für Frieden, Zusammenhalt und Stabilität auf der lokalen Ebene eingesetzt haben: Dazu gehören vor allem die Zivilgesellschaft, Frauen, Jugendliche und Binnenflüchtlinge.


Dr. Marie-Christine Heinze arbeitet seit 2008 regelmäßig als Beraterin zu Entwicklung, Friedensförderung und politischem Wandel im Jemen. Sie ist Vorsitzende des Thinktanks CARPO (Center for Applied Research in Partnership with the Orient), wo sie mehrere Jemen-bezogene Projekte leitet.

Von: 
Marie-Christine Heinze

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