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Klimawandel

»Wir können den Urmia-See retten«

Interview
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Heftige Sandstürme und rekordverdächtige Hitzewellen: Iran ächzt unter dem Klimawandel. Umweltforscherin Naghmeh Mobarghaee erklärt, warum Irans größtes Binnengewässer geschrumpft ist und welche Rolle Umweltschutz für Bürger und Politik heute spielt.

Einst machten die Pahlavis dort Urlaub. Heute droht dem Urmia-See im bergigen Nordwesten des Landes ein ähnliches Schicksal wie dem Aral-See in Zentralasien. Führen drohende Austrocknung und Verödung zu einem Umdenken in Irans Umweltpolitik?

Naghmeh Mobarghaee: Der immense ökologische Schaden ist zwar auch das Ergebnis des Klimawandels, vorrangig sind aber politisches Missmanagement und Fehlplanungen dafür verantwortlich. Und diese Entwicklung ist bereits vor über 30 Jahren angestoßen worden. Die Probleme des Urmia-Sees haben vor allem etwas mit unzureichenden Entwicklungskonzepten zu tun: Insbesondere der Bau von immer mehr Staudämmen, um die Landwirtschaft zu versorgen, hatte verheerende Folgen. Glücklicherweise zeigen die jüngsten Statistiken aber, dass sich der Urmia-See langsam wieder erholt. Nach seiner Wahl 2013 hat Präsident Hassan Ruhani nämlich Schritte eingeleitet, um die Verödung und Verschmutzung aufzuhalten. Das zeigt: Eine Umkehr ist möglich. 

Welche Maßnahmen wurden denn konkret in die Wege geleitet? Die Behörden haben zum Beispiel den Abfluss von angestautem Wasser für die Landwirtschaft zurückgefahren. Zudem ist das Bewusstsein für die ökologischen Probleme des Urmia-Sees in der Bevölkerung gestiegen. Auch die nicht staatlichen Umweltschutzorganisationen haben eine wichtige Rolle gespielt. 

Zum Beispiel die Social-Media-Kampagne »I am Lake Urmia«, die bis heute mehr als 100.000 Unterstützer zählt und sich für die Rettung des Sees einsetzt. Welche Rolle kann die iranische Zivilgesellschaft spielen?

Heute sind hunderte nicht staatliche Umweltschutzorganisationen in Iran aktiv. Vor 20 Jahren waren es nur 50. Dieser zivilgesellschaftliche Aktivismus steigert das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung. Das spiegelt auch eine Veränderung der iranischen Wählerschaft wider. Immer mehr Iraner leben in finanziell stabilen Verhältnissen. Und wer ein ordentliches Leben führt, interessiert sich auch mehr für die Bewahrung seiner Umwelt. Mit seinem Bekenntnis zum Umweltschutz und zur Rettung des Urmia-Sees hat Ruhani dieses Bewusstsein aufgegriffen. 

Gerade am Persischen Golf spüren die Menschen die Folgen der Erderwärmung. Erst im Juni stieg das Thermometer in der Stadt Ahvaz nahe der irakischen Grenze auf 53,7 Grad Celsius im Schatten.

Im Süden und Südwesten des Landes bereitet uns der Klimawandel große Probleme. Besonders in der ölreichen Provinz Khuzestan machen uns die immer heftigeren Sandstürme große Sorgen. Das hat nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern bringt das öffentliche Leben zeitweise zum Erliegen. Flüge müssen gestrichen werden, Schulen schließen, auch der Bausektor ist betroffen. Gerade Bauern wird durch den Klimawandel dort die Lebensgrundlage entzogen. Wassermangel, Hitzewellen und Sandstürme führen somit schon zu klimabedingter Migration. Um dem Problem wirksam Herr zu werden, brauchen wir eine intensivere Kooperation in der Golfregion. Denn die Stürme machen ja nicht an der Grenze halt. 

Im Moment tun sich die Golfanrainer nicht gerade durch regionale Kooperation hervor. Welche Schritte zur regionalen Kooperation wurden bisher mit Blick auf den Klimawandel unternommen?

Wir wissen noch viel zu wenig über die Ursachen und Folgen der Klimaphänomene. Erst vor wenigen Monaten haben wir eine internationale Konferenz zu den Sandstürmen organisiert, an der zum Beispiel Syrien und Irak teilgenommen haben. Nur mit Saudi-Arabien geht es bei der Zusammenarbeit leider nicht voran, dabei wäre das dringend nötig. Wenn der politische Wille da ist, kann man das Problem sicher beheben. Es scheint mir oft besser, wenn internationale Institutionen wie UNDP (United Nations Development Programme) den Prozess leiten. 

In Iran ist die Nutzung von Nuklearenergie ein sicherheitspolitisches Thema. In Deutschland dominieren dagegen umweltpolitische Aspekte. Welche Rolle spielt das neue Umweltbewusstsein im Energiesektor?

Das Thema Nuklearenergie ist wirklich sehr wichtig für Iran. Wir haben in den letzten Jahren enorm in den Sektor investiert. Aber seit einiger Zeit gewinnen auch erneuerbare Energien an Bedeutung. Aktuell beträgt ihr Anteil am iranischen Energiemix nur ein Prozent, doch in den nächsten fünf Jahren soll der Anteil auf fünf Prozent steigen. Insbesondere der Bereich Solar und Windenergie könnte deutlich ausgebaut werden. 

Wenn die Nutzung von Nuklearenergie immerzu zu diplomatischen Verwicklungen führt, warum dann nicht einfach auf die erneuerbaren Energien setzen?

Ich bin Umweltschützerin und würde mir das natürlich wünschen, aber um den Energiebedarf im Zuge steigender Bevölkerungszahlen zu decken, werden wir auf absehbare Zeit wohl kaum ohne Kernenergie auskommen.

Von: 
Robert Chatterjee
Fotografien von: 
Philipp Breu

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