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Interview zu Corona in Iran

»Kommunikationspolitik wie ein alter Dieselmotor«

Interview
Interview zu Corona in Iran
»Beim Husten und Niesen ein Taschentuch vor Mund und Nase halten und es anschließend in den Müll schmeißen«, steht auf diesem Infoplakat der Teheraner Stadtverwaltung. Adnan Tabatabai

Iran-Experte Adnan Tabatabai erklärt im Interview, warum die iranische Führung von der Corona-Krise überrascht wurde – und sich nun keinen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust mehr erlauben kann.

zenith: Herr Tabatabai, sie kommen gerade zurück aus Teheran. Wurden Sie nach ihrer Rückkehr besonderen Maßnahmen unterzogen?

Ich bin über Doha geflogen, dort hat man kurz meine Temperatur gemessen. Bei meiner Ankunft am Flughafen Frankfurt wurde nichts unternommen. Ich habe mich im Gesundheitszentrum NRW erkundigt, ob ich mich untersuchen lassen kann, und die haben mich nur gebeten, vorerst zuhause zu bleiben. Sollte ich innerhalb von 14 Tagen Symptome zeigen, wird ein Besuch beim Hausarzt empfohlen. Der würde mich dann an die Uniklinik Düsseldorf überweisen, die dann auf Corona testen würden. Aber ich wurde nicht sofort getestet, nur weil ich aus Teheran eingereist bin.

 

Wie haben Sie die Stimmung in Teheran angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus wahrgenommen?

Ich bin in der Woche vom 21. bis 28. Februar dort gewesen, da fing es gerade an. In Iran weiß man, dass der Staat auf eine solche Krise üblicherweise spät reagiert und kein gutes Krisenmanagement an den Tag legt. Das konnte man bereits im Zuge mehrerer Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren beobachten. Doch sobald kein Zweifel mehr besteht, dass eine Krisensituation vorliegt, werden sehr schnell Maßnahmen ergriffen und die Bevölkerung zieht mit. Beispielsweise tauchten binnen 24 Stunden in Teheran Informationstafeln auf, die erklärten, wie man sich richtig die Hände wäscht und desinfiziert, dass man beim Husten und Nießen den Mund verdeckt, dass man die öffentlichen Verkehrsmittel und größere Personengruppen meiden sollte.

 

Wie ernst nehmen die Iraner diese Hinweise? Wo kann man sich vor dem Hintergrund der eingeschränkten Informationslage im Land alternativ informieren?

Panik habe ich nicht wahrgenommen, was nicht bedeutet, dass sie nicht vorhanden ist. Die Situation ist durchaus mit der in Deutschland vergleichbar. Die staatliche Kommunikationspolitik ähnelt einem alten Dieselmotor: Anfangs läuft es unfassbar langsam an, aber irgendwann läuft es, dann wird auch vernünftig kommuniziert: nicht nur über staatliche Medien, sondern auch über soziale Netzwerke. Nichtsdestotrotz waren viele Menschen verängstigt, weil sie nicht wussten, wie schlimm die Situation wirklich ist. Da besteht ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das Vertrauen in die Regierung ist auch seit dem desaströsen Umgang mit der Flugzeugkatastrophe im Januar beschädigt. Ich habe aber nicht mitbekommen, dass beispielsweise Nudeln und Reis im Supermarkt ausverkauft waren. Allerdings habe ich während meines gesamten Iran-Aufenthaltes nur eine Hand geschüttelt, die meiner Großmutter, als ich eingereist bin. Danach hat man sich bei jedem Treffen auf Distanz gegrüßt, selbst unter Freunden, das wurde wirklich beherzigt. Aber natürlich wollen einige einfach so weitermachen wie vorher.

 

Zurzeit werden verschiedenen Theorien diskutiert, warum sich der Virus gerade in Iran so schnell ausgebreitet hat. So war etwa zu lesen, die unter Schiiten verbreitete Praxis, Schreine zu küssen, trage Schuld. Welche Erklärungen scheinen Ihnen plausibel?

Ich möchte mich nicht an Verschwörungstheorien beteiligen. Eine plausible Erklärung scheint die Intensivierung der Geschäftsbeziehungen zwischen Iran und China in den letzten Jahren zu sein – auch ein Resultat der US-Sanktionen. Iran konnte es sich nicht leisten, nach Ausbruch des Corona-Virus in China beispielsweise den Flugverkehr einzustellen. Wer der »patient zero« war, mit wem das Virus ins Land gekommen ist, weiß man aber nicht oder man kommuniziert es nicht. Hinzu kommt eine gewisse Inkompetenz des Staates, schnell auf solche Krisen zu reagieren. Das hat aus meiner Sicht mehr mit fehlenden Strategien der staatlichen Autoritäten, als mit Ignoranz gegenüber dem Problem zu tun. Iran verfügt über sehr gute und hochmoderne Forschungszentren, die in der Lage wären, sehr schnell Handlungsempfehlungen abzugeben. Hier fehlt aber einfach die institutionelle Verbindung zwischen Forschung und Politik, um in einer solchen Situation von staatlicher Seite direkt reagieren zu können. Man hat es auch versäumt, beispielsweise öffentliche Gebäude, Schulen und Universitäten umgehend zu schließen.

 

»Die Relevanz der Forschung für politische Entschidungen wird nach wie vor übersehen«

 

Warum macht sich die Politik die Erkenntnisse dieser Forschungszentren nicht zunutze?

Forschungseinrichtungen, ganz gleich welcher Disziplin, können in Iran wenig oder nur sehr verspätet Einfluss auf politische Prozesse ausüben. Zwar genießt Forschung an sich sehr hohes Ansehen. Ihre Relevanz für politische Entscheidungen wird aber nach wie vor übersehen. Das mag auch machtpolitische Gründe haben. Beratungsresistente Politiker gibt es leider auch in Iran zuhauf.

 

Warum wirkt die iranische Führung so unvorbereitet auf Pandemien oder ähnliche Ereignisse? Werden diese Szenarien zugunsten einer Fokussierung auf Sicherheitsthemen vernachlässigt?

Der Staat hat in der Vergangenheit sehr häufig sehr spät reagiert. Das erlebt man bei Flutkatastrophen, bei Erdbeben, Sandstürmen, bei Wasserverschmutzungen im Südwesten des Landes. Aus meiner Sicht hängt das mit der politischen Kultur der iranischen Führung zusammen. Das Land empfindet sich selbst in ständiger Alarmbereitschaft gegen die große Bedrohung von außen. Die Ressourcen des Landes konzentrieren sich daher auf entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen. Ein Beispiel: Als man im Januar die US-Militärbasis Al-Asad im Irak angriff, lagen die Pläne bereits in der Schublade, mobile Luftabwehrsysteme im Land zu verteilen, um einem Gegenschlag der Amerikaner vorzubeugen. Solche Szenarien sind durchgeplant. Gegen den Ausbruch einer Epidemie oder auf andere Notsituationen scheint man hingegen nicht vorbereitet. Genau dieser fehlende institutionelle Anbindung an Medizin und Forschung verhindert eine schnelle Reaktion.

 

Ist es in diesen Situationen hilfreich oder kontraproduktiv, dass sich die Revolutionsgarde der Krise annimmt?

Es stellt sich in solchen Situationen immer die Frage: Wer kann auf die größten Kapazitäten zurückgreifen? Da ist der Militärapparat natürlich gut aufgestellt. Logischerweise wird die Verantwortung dann der Revolutionsgarde übertragen, denen schlicht die größten Ressourcen zur Verfügung stehen, um zu helfen. Die Bassidsch sind ja nicht nur eine paramilitärische Miliz. Sie werden auch für Kulturprogramme, für bestimmte öffentliche Aktivitäten, etwa anlässlich religiöser Feiertage eingesetzt. Die Bassidsch ruft man dann zur Hilfe, weil sie leicht mobilisiert werden können. Beispielsweise haben sie Haushalten dabei geholfen, ihre Wohnungen zu desinfizieren. Plötzlich ist die Revolutionsgarde die schnelle Antwort, die eigentlich vom Gesundheitsministerium losgeschickt hätte werden müssen. Unter einer falschen Prämisse wird dann das Richtige getan.

 

»Es müsste eine viel stärkere, länderübergreifende Zusammenarbeit geben«

 

Wie sieht die Zusammenarbeit Irans mit seinen Nachbarn aus. Sollte hier nicht, über geopolitische Gräben hinweg, kooperiert werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern?

Zumindest sieht es nach außen hin nicht so aus. Es ist in Iran durchaus zur Kenntnis genommen worden und auch kritisch diskutiert worden, dass sämtliche Nachbarländer ihre Grenzen dichtmachen – für viele ein Zeichen für die regionale Entfremdung Irans zu seinen Nachbarn. Man fragt sich, wie Iran seine Nachbarschaftsbeziehungen pflegen muss, damit so etwas nicht passiert. Andere sagen: Selbst im Falle bester nachbarschaftlicher Beziehungen war das die richtige Maßnahme, um eine Ausbreitung zu verhindern. Eine öffentlich verkündete, gemeinsame Krisenprävention kann ich nicht erkennen. Es wurde beispielsweise nicht öffentlich dazu aufgerufen, Pilgerorte nicht mehr zu bereisen. Im Land selbst wird vom Besuch heiliger Stätten mittlerweile abgeraten. Hier müsste es aber eine viel stärkere, länderübergreifende Zusammenarbeit geben.

 

Erst der Abschuss von Flug PS752 mit 176 Toten, jetzt die Ausbreitung des Corona-Virus. Die iranische Regierung tut sich mit transparenter Informationspolitik schwer. Wie verändert sich momentan das Verhältnis zwischen Führung und Volk angesichts der Häufung dieser Krisen?

In nunmehr 41 Jahren Islamische Republik Iran wechselten sich gute und schlechte Beziehungen zwischen Staat und Bevölkerung immer wieder ab. Wir sind jetzt sicher in einer Phase, in der die Kluft wieder wächst. Ein Gradmesser ist dabei immer die Partizipation bei Wahlen. Und die ist momentan auf einem historischen Tiefpunkt angelangt: Die Beteiligung an den Parlamentswahlen lag im Februar bei 42 Prozent. In der Vergangenheit hat es die Führung aber immer verstanden, die Bevölkerung wieder zufriedenzustellen. Insgesamt habe ich im Zuge der Corona-Krise schon das Gefühl, dass eine starke Kluft zu spüren war. Jetzt wird aber mehr oder weniger gemeinsam angepackt. Der Staat versucht, vernünftig zu informieren und dabei die Balance zu halten zwischen deutlichen Warnungen und dem Vorbeugen einer Panik. In Iran steht das Neujahrsfest Nouruz bevor und der Staat empfiehlt, von großen Familienzusammenkünften abzusehen. Ob sich die Bevölkerung gerade jetzt daran hält, wird auch ein Gradmesser sein für die Beziehung zwischen Führung und iranischem Volk.

 

Welche Lehren wird das Regime aus dieser Situation ziehen? Was lässt sich daraus für zukünftige Krisen ableiten?

Für die Verantwortlichen wird die wichtigste Lehre aus dieser Krise sein, dass die Bevölkerung schnell einzubinden, um die Ausbreitung eines Virus einzudämmen. Dazu gehört auch, die Forschungszentren rechtzeitig miteinzubeziehen und sofort bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. In einer solchen Situation ist man aber auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Die Führung wird es sich daher nicht mehr leisten können, ihre Glaubwürdigkeit weiter aufs Spiel zu setzen. Manchmal sagt man ja auch in einem autoritären Staat etwas Richtiges. Dumm nur, wenn die Bevölkerung es dann trotzdem nicht glaubt. Ob diese Lehren gezogen werden, sowohl in der Bewältigung einer solchen Krise aber auch in der Frage der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen, wird sich im Sommer 2021 zeigen. Dann geht es darum, den nächsten Präsidenten der Islamischen Republik Iran zu wählen.


Adnan Tabatabai ist Mitgründer und Geschäftsführer des Forschungszentrums CARPO in Bonn. Als Iran-Experte berät er EU-Institutionen, Bundesministerien und politische Stiftungen. Tabatabai ist Lehrbeauftragter an der Universität Düsseldorf und Autor des Buches »Morgen in Iran« (Edition Körber, 2016).

Von: 
Linus Hüller

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