Der israelische Sänger Dudu Tassa lässt mit seiner Band »Dudu Tassa & The Kuwaitis« die arabischen Lieder seines irakischen Großvaters in neuem Licht erstrahlen. Im Interview spricht er über Roger Waters und den Nahost-Konflikt.
zenith: Rocker trinken, rauchen, sind immer laut – wie sieht Ihr Leben als israelischer Rockstar aus?
Dudu Tassa: Naja, also ich rauche und trinke. Das gehört wohl einfach dazu. Aber die wirklich guten Rockstars sind die größten Spießer überhaupt. Ich gehe zum Beispiel um fünf Uhr morgens schwimmen. Anschließend bringe ich meine Kinder in den Kindergarten und gehe dann erst ins Studio, um an meiner Musik zu arbeiten. Rockstar zu sein bedeutet viel mehr Arbeit, als die meisten denken. Und es bedeutet, viel unterwegs zu sein. Das ist auf Dauer auch ganz schön anstrengend.
In den vergangenen Jahren waren Sie vor allem viel in Europa, Kanada und den USA unterwegs. Man hat das Gefühl, Sie spielen kaum noch in Israel. Haben Konzerte in der Heimat ihren Reiz verloren?
Nein, auf keinen Fall. Natürlich ist es toll, vor Menschen aus aller Welt aufzutreten. Aber die Atmosphäre ist eine ganz andere. In Israel habe ich eine richtige Fangemeinschaft. Die Menschen, die dort zu unseren Konzerten kommen, können alle Texte auswendig mitsingen. Ich habe meine Karriere ja nicht erst 2011 mit dem Projekt »Dudu Tassa & The Kuwaitis« begonnen. Ich hatte damals bereits neun Alben auf Hebräisch veröffentlich, die sich alle gut verkauft haben. Zu dieser Karriere ist sozusagen nur eine zweite hinzugekommen. In Israel trete ich weiterhin fast ausschließlich mit meinen hebräischen Liedern auf. Im Ausland spielen wir dagegen als »Dudu Tassa & The Kuwaitis« unsere arabischen Lieder.
Presseankündigungen fokussieren sich immer wieder darauf, dass Sie der Enkel des berühmten irakischen Sängers Daoud Al-Kuwaiti sind. Wird Ihre Musik auf diesen Fakt reduziert?
Ich habe mich bewusst dazu entschieden, im Ausland mit dem Projekt »Dudu Tassa & The Kuwaitis« aufzutreten und dabei die Lieder der Al-Kuwaiti Brüder zu performen. Mein Ziel ist es, die Musik meines Großvaters bekannter und auch für junge Menschen zugänglicher zu machen. Dass immer wieder Bezug auf meine Abstammung genommen wird, ist dabei selbstverständlich. Für unerfahrene Künstler wäre das vielleicht ein Problem. Aber ich habe das nötige Selbstvertrauen, um darüber zu stehen.
Natürlich war es vor zehn Jahren keine einfache Entscheidung, ins Arabische zu wechseln. Erst recht nicht in Israel.
Wie hat Ihre Fangemeinde in Israel darauf reagiert, als sie vom Hebräischen ins Arabische gewechselt sind?
Natürlich war es vor zehn Jahren keine einfache Entscheidung, ins Arabische zu wechseln. Erst recht nicht in Israel. Aber daran habe ich mich in dem Moment nicht gestört. Ich wollte einfach die Musik machen, die mich interessierte. Und das war die Musik meines Großvaters. Unser erstes arabisches Album hat sich dann sogar besser verkauft als die vorherigen Alben mit hebräischen Liedern. Das hat mich schon überrascht. Ich denke, man sollte nicht unterschätzen, dass viele Menschen der heutigen zweiten Generation in Israel, wie ich, arabische Vorfahren haben. Zum Teil haben ihre Eltern sie noch auf Arabisch großgezogen. Diese Menschen haben wir mit den arabischen Liedern angesprochen.
Die Musik Ihres Großvaters und seines Bruders wurde unter Saddam Hussein im Irak verboten. Sie mussten nach Israel auswandern. Inwieweit wird diese Geschichte heute auch im Irak aufgearbeitet?
Vor einigen Monaten wurde ein neues Kultur-Museum in Bagdad gebaut. Darin gibt es einen eigenen Abschnitt für die Geschichte der Al-Kuwaiti Brüder. Es findet also definitiv eine Aufarbeitung der Geschichte statt. Ihre Musik wird heute begeistert angenommen. Auch unser Projekt bekommt viel positive Rückmeldung aus dem Irak. Wir haben dort viele Fans.
Und trotzdem werden Sie als Israeli dort wohl in naher Zukunft nicht spielen dürfen.
Ja, leider. Es ist mein Traum, einmal in Bagdad zu spielen. Derzeit ist das mit unseren Pässen aber unmöglich. Jordanien war bisher das einzige arabische Land, in dem wir auftreten durften. Über YouTube und Facebook bekommen wir aber nicht nur viele Nachrichten und Kommentare aus dem Irak. Uns schreiben auch viele Menschen aus anderen Ländern, in die wir nicht reisen dürfen, zum Beispiel Libanon oder Ägypten. Man muss andere Wege finden, wie sie uns sehen können. Eine libanesische Gruppe hat sich zum Beispiel unser Konzert beim »Womex Festival« in Spanien angeschaut. In Montréal in Kanada waren es ägyptische Fans. Wir können zwar nicht in ihre Länder reisen, aber sie können unsere Shows im Ausland sehen.
Wenn Künstler der BDS-Kampagne folgen und ihre Konzerte absagen, führt dass nur dazu, dass Menschen, die vorher vielleicht neutral waren, ebenfalls wütend auf die Palästinenser sind.
Inwieweit kann Ihre Musik, die Sie als »jüdisch-arabisches Kulturprojekt« beschreiben, in dieser Situation Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen? Oder dient diese Beschreibung eher kommerziellen Zwecken?
Natürlich wussten wir, dass die Bezeichnung »jüdisch-arabisches Projekt« eine gewisse Aufmerksamkeit nach sich ziehen würde. Als wir anfingen, wollte ich aber eigentlich nur Musik machen. Allein die Tatsache, dass ein jüdischer Israeli auf Arabisch singt, war bemerkenswert. Das haben wir zum Beispiel gemerkt, als wir im Frühjahr 2017 mit Radiohead auf Tour in den USA waren. Kurz zuvor war Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt worden und hatte mit einem Einreiseverbot für Bürgerinnen und Bürger aus verschiedenen arabischen Staaten für Furore gesorgt. Dass ausgerechnet wir mit unseren arabischen Liedern im Vorprogramm auftraten, hatte in diesem Zusammenhang eine enorme Aussagekraft.
2018 soll der »Eurovision Song Contest« in Israel stattfinden. Die BDS-Kampagne ruft seitdem immer wieder Künstlerinnen und Künstler dazu auf, Konzerte in Israel abzusagen und den ESC zu boykottieren. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Natürlich lehne ich die BDS-Kampagne ab. Sie nimmt eine sehr radikale und einseitige Position ein. Ihre Boykottaufrufe bringen niemanden etwas. Ganz im Gegenteil, wenn Künstler mit ihrer Musik nach Israel kommen, haben sie die Möglichkeit, sich ein Bild vor Ort zu machen, sich mit Palästinensern auszutauschen und ihre Meinung öffentlich zu kommunizieren. Wenn sie aber der BDS-Kampagne folgen und ihre Konzerte absagen, führt dass nur dazu, dass Menschen, die vorher vielleicht neutral waren, dann ebenfalls wütend auf die Palästinenser sind. Wenn Musiker etwas zu sagen haben, sollen sie es durch ihre Songs oder auf Konzerten kommunizieren. Konzerte abzusagen, bringt dagegen gar nichts.
Ich habe das Gefühl, dass ich im Ausland das erste Mal über Politik reden musste. In Israel war das nie ein Thema.
Also denken Sie, dass Musiker tatsächlich Einfluss auf diesen Konflikt nehmen können?
Auf jeden Fall. Roger Waters Album »The Wall« hat mehr verändert als sämtliche politische Bemühungen der letzten zehn Jahre in Israel. Wenn man als Musiker die BDS-Kampagne unterstützen möchte, soll man ein Album darüber schreiben. Ich glaube, dass Musik Grenzen durchbrechen kann. Nicht nur Musik, die ganze Kunstszene.
Warum thematisieren Sie keine gesellschaftlichen oder politischen Themen in Ihren Liedern?
Es ist nicht so, dass wir nicht über Politik reden möchten oder sie für unwichtig halten. Wenn ich Lieder schreibe, geht es darum, meine Gefühle in einen neuen Song zu übersetzen. In diesen Momenten habe ich einfach nicht das Bedürfnis, politische Texte zu verfassen. Generell habe ich das Gefühl, dass ich im Ausland das erste Mal über Politik reden musste. In Israel war das nie ein Thema. Wenn uns Menschen aus dem Irak schreiben, wie sehr sie unsere Musik lieben, sehe ich, dass ich in meinen Liedern keine politischen Themen aufgreifen muss, um etwas zu bewirken.
Wir waren vor einigen Monaten auf Tour in der Türkei. Dort wurden israelische Künstler noch vor sieben, acht Jahren sehr herzlich empfangen. Das hat sich geändert.
Bisher haben wir immer nur über die zahlreichen Lobeshymnen auf Ihr Projekt gesprochen. Gibt es auch Länder, die negativ darauf reagiert haben?
Ich denke, dass es Zeiten gibt, in denen israelische Bands im Ausland sehr willkommen sind. Aber es gibt eben auch Zeiten, in denen das anders ist. Dann bevorzugen es die Veranstalter, keine israelischen Bands einzuladen. Es gab Jahre, da sind auf den großen Musikfestivals sechs, sieben israelische Bands aufgetreten. Manchmal waren es aber auch nur eine oder vielleicht zwei. Das liegt auch daran, dass niemand Probleme mit den Boykottaufrufen der BDS-Kampagne bekommen möchte.
Und wie sieht die Situation aktuell aus?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Wir waren vor einigen Monaten zum Beispiel auf Tour in der Türkei. Dort wurden israelische Künstler noch vor sieben, acht Jahren sehr herzlich empfangen. Das hat sich geändert. Ich hatte das Gefühl, dass die Zuhörer israelischen Künstlern heutzutage nicht mehr so wohl gesonnen sind wie früher.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, an dem Sie die Situation in der Türkei festmachen?
Im Dezember 2017 haben wir auf dem »Mix Festival« in Istanbul gespielt. Dort haben wir eine arabische Band kennengelernt, die aus zwei Schlagzeugern und einem Keyboardspieler bestand. Sie haben eine unglaublich gute Show abgeliefert, wir haben ihre Musik geliebt. Als sie herausgefunden haben, dass wir aus Israel kommen, ist der Keyboardspieler mit einem »Free Gaza«-T-Shirt auf die Bühne gekommen. Wir hatten das Gefühl, dass er das nur wegen uns gemacht hat.
Wie haben Sie reagiert?
Ich war verwirrt, aber auch wütend. Bei diesem Musikfestival ging es um Musik, nicht um Politik. Wenn sie mir etwas zu sagen haben, sollen sie mich backstage ansprechen und dort mit mir diskutieren. Aber warum muss man so etwas auf der Bühne machen? Wir haben uns wirklich gut verstanden, bevor es um das Thema Politik ging. Diese Konflikte sind Sache der Politiker. Wenn uns Menschen aus dem Libanon oder Syrien schreiben, dass sie uns lieben, zeigt das doch, dass die Menschen selbst gar kein Problem mit unserer Herkunft haben. Ihnen geht es um unsere Musik. Das Besondere an unserem Projekt ist dabei auch, dass viele Leute, die zu unseren Konzerten kommen, gar nicht so genau wissen, wer da vor ihnen steht. Ist das jetzt ein Araber oder ein Jude? Auch der Name »Al-Kuwaitis« gibt keine klare Auskunft. Wir könnten genauso gut eine palästinensische Band sein. Solche Verwirrung zu stiften, macht mir Spaß. Die Leute sollen denken, was sie wollen.
Dudu Tassa (41), ist ein israelischer Sänger. Mit seiner Band »Dudu Tassa & The Kuwaitis« lässt er die arabische Musik seines irakischen Großonkels Daoud Al-Kuwaiti (1910-1976), die unter Saddam Hussein verboten wurde, in neuem Licht erstrahlen. 2017 eröffnete die Band das weltweit bekannte Coachella-Festival in Kalifornien. Im Januar 2019 erscheint »El Hajar«, das dritte Album der Band. In Israel tritt Dudu Tassa weiterhin auch als Solokünstler auf und singt seine Songs auf Hebräisch.