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Urteil wegen wegen ihrer kritischen Berichterstattung in Jordanien

Einen Ruf zu verlieren

Kommentar

In Jordanien wurden eine Journalistin und ihr Verleger wegen ihrer kritischen Berichterstattung verurteilt. Der Prozess war ein schwerer Schlag für die Reformbemühungen des Königreiches, meint Christoph Wilcke von Human Rights Watch.

»Untergrabung des Regierungssystems« lautete das am 23. April ergangene Urteil gegen zwei Mitarbeiter des Nachrichtenportals Gerasa News. Dem vorausgegangen war ein Artikel über die mögliche Intervention des Königs in einem laufenden Korruptionsverfahren. Die Vorwürfe des Militärstaatsanwalts gegen Journalistin und Verleger verletzt deren Recht auf freie Meinungsäußerung. Bereits zum fünften Mal in diesem Jahr sahen sich friedliche Kritiker mit Anklagen unter anderem wegen übler Nachrede konfrontiert – ein Muster, das die Glaubwürdigkeit der jordanischen Reformen untergräbt.

 

Jordanien kann nicht behaupten, den demokratischen Wandel voranzutreiben, während Staatsanwälte Journalisten jagen, die nur ihre Arbeit machen. Das jordanische Parlament muss Paragrafen, die Verbalinjurien unter Strafe stellen, außer Kraft setzen und gleichzeitig sollten Sicherheitsbehörden angewiesen werden, diese nicht mehr anzuwenden.

 

Am 23. April veröffentlichte Gerasa News einen Artikel, der einen Parlamentsabgeordneten mit den Worten zitierte, König Abdullah habe Mitglieder eines Parlamentsausschusses angewiesen, die Korruptionsermittlungen gegen einen früheren Minister nicht an ein Gericht zu übergeben. Der Ausschuss untersucht mögliche Korruptionsfälle in Verbindung mit einem sozialen Wohnungsprojekt. In ihren Fokus geriet Sahl al-Majali, Wohnungsbauminister in den Jahren 2007 bis 2009. Noch am gleichen Tag berief Ali al-Mubaidhin, Militärstaatsanwalt am State Security Court, Sahar al-Muhtasab, Autorin des genannten Artikels und Parlamentskorrespondentin der Webseite, sowie ihren Bruder Jamal al-Muhtasab, Herausgeber von Gerasa News, ein.

 

Blitzprozess ohne Rechtsbeistand gegen unliebsame Reporter

 

Bei der anschließenden Befragung habe es sich ausschließlich um den Bericht gedreht, teilte sie Human Rights Watch mit. Die Ankläger hätten ihr mitgeteilt, König Abdullah unterstütze den Kampf gegen Korruption und jede Darstellung, die das Gegenteil behaupte, sei verboten. Beide seien anschließend nach Paragraf 149 des jordanischen Strafgesetzbuches verurteilt worden, obwohl sich der Artikel weder mit dem politischen System als solches befasst, noch zu Gewalt aufruft.

 

Sahar al-Muhtasab wurde gegen eine Zahlung von umgerechnet rund 7000 US-Dollar freigelassen, ihr Bruder jedoch wurde angeklagt und kam erst nach zwei Wochen in einem Gefängnis westlich von Amman auf Kaution frei. Sahar al-Muhtasab beklagt, dass weder sie noch ihr Bruder über einen Rechtsbeistand verfügen konnten. Am 24. April kündigte die jordanische Nichtregierungsorganisation »Center for Defending Freedom of Journalists« an, beide kostenlos rechtlich vertreten zu wollen.

 

Der State Security Court ist ein Spezialgericht und in seiner Zusammensetzung nicht unabhängig von der Staatsführung. Sämtliche militärischen und zivilen Richter werden durch den Premierminister ernannt. Üblicherweise setzt sich eine Kammer aus zwei militärischen und einem zivilen Richter zusammen. Zuständig sind sie für alle Vergehen, die die innere und äußere Sicherheit Jordaniens gefährden, wie auch Verbrechen, in denen Drogen, Sprengstoffe, Schusswaffen, Spionage oder Hochverrat eine Rolle spielen.

 

2007 erließ die Regierung ein Pressegesetz, dass Gefängnisstrafen ausschloss, stattdessen jedoch die Geldstrafen für Inhalte, die »islamische Werte verletzten« oder nicht »objektiv« seien, anhob. Mehrere jordanische Regierungen haben keine Versuche unternommen, die Gesetzestexte zur Meinungsfreiheit zu reformieren, die auch bei Journalisten Anwendung finden. 2010 wurden die Strafen für einzelne Vergehen sogar erhöht.

 

Reformen sind ohne Bedeutung, solange die Gesetze Bürger davon abhalten, frei zu sprechen und sich zu versammeln

 

Der Al-Muhtasab-Fall ist der jüngste in einer Serie von Verurteilungen wegen regierungskritischer Äußerungen und Demonstrationen. Am 1. April klagte der gleiche Gerichtshof 13 Personen wegen einer Kundgebung am 31. März in Amman an, wie auch sechs Aktivisten nach einer Demonstration in Tafila. Sie hätten sich illegal versammelt, das politische System untergraben und den König beleidigt. Nachdem die erste Gruppe in Hungerstreik trat, begnadigte König Abdullah die inhaftierten Angeklagten am 15. April. Bereits am 12. Januar war der Aktivist Uday Abu Issa dafür verurteilt worden, ein Plakat mit dem Konterfei des Königs angezündet zu haben. Auch er wurde nach Erklärung eines Hungerstreiks begnadigt.

 

Nachdem der frühere Parlamentarier und Kopf der Oppositionsgruppe »Jordan National Movement« Ahman Oweidi al-Abbadi in einer Fernsehsendung am 18. Januar eine republikanische Staatsform befürwortet hatte, wurde er am 2. Februar inhaftiert. Seine Entlassung wenige Wochen später geschah auf Kaution.

 

Jordaniens Gerede von Reformen ist ohne Bedeutung, solange die Gesetze Bürger davon abhalten, frei zu sprechen und sich zu versammeln. Mit fünf Verurteilungen wegen Meinungsäußerungen, die nicht zu Gewalt aufriefen, riskiert das Königreich, einen Ruf für seine Repression und Intoleranz zu erlangen.


Christoph Wilcke ist Senior Researcher für die Region Mittlerer Osten und Nordafrika bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Von: 
Christoph Wilcke

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