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Jordanien und der Krieg in Gaza

Am anderen Ufer des Krieges

Analyse
Jordanien und der Krieg in Gaza
US-Außenminister Anthony Blinken am 13. Oktober zu Besuch beim jordanischen König Abdullah II. in Amman Royal Hashemite Court

Die jüngste Gewalteskalation im Nahostkonflikt erschüttert auch das benachbarte Jordanien. Die Volksseele kocht, der König bemüht sich um Vermittlung.

Mitte September, Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York: »Unsere Region wird so lange leiden, bis die Welt uns hilft, den Schatten des palästinensisch-israelischen Konflikts aufzuheben, das Schlüsselthema des Nahen Ostens.« Seit Jahr und Tag zieht der jordanische König Abdullah II. mit dieser Botschaft durch die Welt, plädiert für eine Zwei-Staaten-Lösung, referiert UN-Resolutionen, fordert Selbstbestimmung und Sicherheit für Israelis und Palästinesner gleichermaßen – und wirkte dabei zuletzt wie aus der Zeit gefallen.

 

Israels Verbündete im Westen wollten mit dem sperrigen Dossier möglichst wenig behelligt werden. Und auch manche arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate sahen in der Zusammenarbeit mit einem militärisch, wirtschaftlich und technologisch starken Israel einen strategischen Vorteil, Palästinenser hin oder her. Anstatt in die Untiefen eines seit Jahrzehnten verfahrenen Konflikts herabzusteigen, konnte man nun träumen: von länderübergreifenden Eisenbahnlinien, von Handel und Kulturaustausch, von alldem, was ein echter Friede in der Region ja tatsächlich bringen würde an Wohlstand, Sicherheit und Stabilität.

 

Doch mit dem Terror-Angriff der Hamas am 7. Oktober aus dem Gaza-Streifen heraus auf Israel hat sich der Nahostkonlifkt mit aller Brutalität zurück auf die Weltbühne katapultiert. Israel reagiert mit einer großangelegten Militäroffensive gegen den Gazastreifen. Und auch das benachbarte Jordanien spürt die Folgen.

 

Der israelisch-palästinensische Konflikt war für das Haschemitische Königreich immer schon eine existenzielle Frage. Vor allem mit dem Westjordanland ist es geschichtlich, demographisch und kulturell eng verbunden (und ökonomisch, sofern von Israel erlaubt, das die Grenzen kontrolliert). Bis heute stehen die islamischen Stätten in Ost-Jerusalem, allen voran die Al-Aqsa-Moschee, unter jordanischer Verwaltung beziehungsweise unter Schirmherrschaft des haschemitischen Königshauses.

 

Der strategische Alptraum für Amman ist seit jeher eine Lösung des Nahostkonfliktes ohne jordanische Beteiligung, aber auf jordanische Kosten: Man fürchtet einen Massenexodus von Palästinensern über den Grenzfluss, den Jordan. Das würde die spärlichen Ressourcen des Landes nicht nur vollends überstrapazieren, sondern auch das heikle demografische und machtpolitische Gleichgewicht durcheinanderbringen – und damit die Stabiltiät des Königreiches gefährden.

 

Der nun begonnene erneute Gaza-Krieg wird es noch schwieriger machen, in der jordanischen Öffentlichkeit für solche Kooperationsvorhaben zu werben

 

Die Beziehung Jordaniens zu den Palästinensern ist, historisch gesehen, alles andere als konfliktfrei (Stichwort »Schwarzer September« von 1970, als sich in Jordanien palästinensische Milizen und die jordanische Armee bekämpften). Doch die Solidarität mit ihrem Schicksal unter israelischer Besatzung ist vor allem in Phasen der gewaltsamen Eskalation des Nahostkonfliktes in der gesamten Bevölkerung groß – sowohl bei den Nachkommen der Palästinenser, die in den Nahostkriegen 1948 und 1967 hierher geflohen sind (und die mittlerweile die Mehrheit der Einwohner stellen), als auch bei den alteingesessenen transjordanischen Stämmen.

 

Für den jordanischen König ist das ein immerwährender Balanceakt. Jordanien ist ein traditioneller Partner des Westens. Die USA und andere westliche Staaten, darunter auch Deutschland, unterhalten Militärstützpunkte im Land, das zudem auf internationale Entwickungsgelder angewiesen ist. Wichtigster Finanzier sind die USA, Deutschland steht mit 500 Millionen Euro im Jahr auf Platz zwei. Aber auch darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit Israel etwa im Bereich der Grenzsicherung oder der Wasserversorgung durchaus im Interesse Jordaniens. Der nun begonnene erneute Gaza-Krieg wird es noch schwieriger machen, in der jordanischen Öffentlichkeit für solche Kooperationsvorhaben zu werben.

 

Vielmehr können Populisten und andere an Destabilisierung interessierte Kräfte die Lage ausnutzen, um Stimmung gegen den Westen zu machen, welcher nun nicht mehr nur der Doppelstandards, sondern der aktiven Unterstützung der Vertreibung und Tötung von Palästinensern bezichtigt wird. Und sie können damit auch gegen die eigene Regierung und das Königshaus agitieren, das mit eben diesem Westen kooperiert. Die Kluft zwischen den Entscheidungsträgern und breiten Schichten der Gesellschaft droht sich damit weiter zu vergrößern – mit möglichen negativen Folgerungen für die Legimitität des politischen Systems.

 

Neben der allseits anerkannten Monarchie ist auch der starke Sicherheitsapparat, der loyal zu Staat und König steht, Garant der Stabilität Jordaniens. Dieser genießt zwar weithin Vertrauen in der Bevölkerung und massive Polizeigewalt gegen Demonstranten hat in Jordanien keine Tradition. Doch bergen wütende Proteste gegen Israels Bombadierung des Gazastreifens immer auch ein innenpolitisches Eskalationsrisiko, das mit jedem Tag der fortdauernden Gewalteskalation jenseits des Jordan größer wird.

 

Den Nahostkonflikt nicht nur aus einer deutschen Selbstbetrachtung heraus begreifen, sondern die komplexen Realitäten vor Ort anerkennen

 

Bereits am vergangenen Freitag gab es kleinere Zusammenstöße mit Sicherheitskräften im Jordan-Tal, als trotz Verbots Hunderte Jordanier an der Grenze zu Israel demonstrieren wollten. Schon Ende letzten Jahres, als Lastwagenfahrer und Spediteure wegen steigender Kraftstoffpreise streikten, nutzte eine dschihadistische Terrorzelle den Trubel der Proteste und erschoss gezielt einen Polizisten.

 

Jordanien verfolgt traditionell eine Dialog- und Kompromiss-orientierte Außenpolitik und bemüht sich auch im israelisch-palästinensischen Konflikt um eine moderierende Rolle. So fand das erste Treffen von hochrangigen Vertretern der damals neuen rechten national-religiösen Regierung Israels und der Palästinensischen Autonomiebehörde im Februar dieses Jahres in der südjordanischen Hafenstadt Aqaba statt. Entsprechend ist Jordanien auch jetzt in die diplomatischen Versuche zur Deeskalation eingebunden. US-Präsident Biden telefonierte noch am Tag des Hamas-Angriffs mit König Abdullah, US-Außenminister Blinken reiste nach seinem Besuch in Tel Aviv letzte Woche unmittelbar weiter in die jordanische Hauptstadt. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas war vergangene Woche schon in Amman.

 

Gleichwohl sind Jordaniens Optionen derzeit begrenzt. Sowohl mit der Hamas als auch mit der gegenwärtigen israelischen Regierung gibt es kaum vertrauensvolle Kommunikationskanäle. Und der innenpolitische Druck einerseits und die bündnis- und außenpolitischen Zwänge anderseits, verbunden mit den beschränkten Ressourcen des Landes, lassen König Abdullah grundsätzlich wenig Handlungsspielraum in dieser Frage.

 

Doch eines Tages wird auch dieser Krieg – so furchtbar er ist – vorbei sein. Irgendwann und irgendwie muss eine Lösung gefunden werden, wie die Bewohner des Landstrichs zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss, wie Israelis und Palästinenser, zusammenleben können. Die alten (Schein-)Gewissheiten sind endgültig zerbrochen. Man müsse nun »aus Trümmern eine neue Welt flicken«, schrieb treffend der israelische Publizist Ofer Waldman wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf sein Land.

 

Auch in Deutschland sollte man bald darüber nachzudenken beginnen, wie eine solche neue Welt, eine neue regionale Ordnung aussehen könnte. Dabei wird wichtig sein, den Nahostkonflikt nicht nur aus einer deutschen Selbstbetrachtung heraus zu begreifen, sondern die komplexen Realitäten vor Ort anzuerkennen. Jordanien ist dafür ein guter Gesprächspartner. Bundeskanzler Scholz hat dazu schon in den nächsten Tagen Gelegenheit, wenn ihn der jordanische König Abdullah in Berlin besucht.


Dr. Edmund Ratka leitet seit November 2020 das Auslandsbüro Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Amman. Zuvor arbeitete er für die KAS in Tunesien sowie als Nahost-Referent in der Stiftungszentrale in Berlin.

Von: 
Edmund Ratka

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