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Trauern und Feiern

Trauern und Feiern

Feature
von Julia Jaki

Nelson Mandelas Haus im Johannesburger Vorort Houghton ist seit der Todesmeldung Pilgerstätte für die Trauernden. Auch am anderen Ende Südafrikas gedenken die Menschen ihres ehemaligen Präsidenten.

Johannesburg und Qunu waren die beiden Orte, an denen Nelson Mandelas Lebensmittelpunkt der letzten Jahren lag, doch Kapstadt ist aufs Engste mit dem politischen Kampf Nelson Mandelas verknüpft: Hier war er 18 Jahre lang auf der Gefängnisinsel Robben Island inhaftiert. Hier hielt er auf dem Balkon der Stadthalle 1990 seine erste öffentliche Rede nach insgesamt 27 Jahren Gefangenschaft.

 

Während sich am heutigen Vormittag nur vereinzelt Menschen auf der Grand Parade, dem großen Platz vor der Stadthalle, versammelt haben, füllt sich der Ort im Laufe des Nachmittags zusehend mit Menschen, die Blumen am Absperrgitter niederlegen, sich ins Kondolenzbuch eintragen und der Gruppe singender und tanzender ANC-Anhänger lauschen. Die Stimmung ist unbeschwert, es wirkt als feiern die Kapstädter das Leben Mandelas mehr als dass sie seinen Tod betrauern – mit dem viele Südafrikaner ohnehin sein langem gerechnet haben.

 

»Wir wussten, dass dieser Tag kommen wird, deswegen haben wir auch diese Faltblätter hier vorbereitet«, sagt Sibongile Maputi von der »Communication unit« des Parlaments. Seit dem frühen Vormittag steht der hochgewachsene Mann in der Innenstadt und verteilt eifrig Hochglanzbroschüren an Passanten. Die vom südafrikanischen Parlament produzierten Blätter zeigen Schwarzweiß-Bilder des ehemaligen Präsidenten und Auszüge aus seinen Reden. »500 hab ich schon verteilt, 500 hab ich noch, aber die Blätter gehen schnell weg«, so Maputi.

 

Zum spontanen Gottesdienst versammeln sich Weggefährten und Touristen

 

Unterstützung bekommt er von Thabo Jantjies aus dem Kapstadter Township Nyanga: »Ich bin arbeitslos und mein Vorstellungsgespräch ist ausgefallen, also dachte ich, ich helfe beim Verteilen. Freunde haben mir gestern am Telefon gesagt, dass Madiba tot ist, ich bin geschockt und erschüttert, aber überrascht bin ich nicht.« Bei einem spontan einberufenen Trauergottesdient in der St. Georges Cathedral kamen am Mittag des 6. Dezember ehemalige Weggefährten Mandelas genauso wie Schüler und Touristen zur Wort: Sie alle betonten vor allem eine Qualität Nelson Mandelas: die Fähigkeit zur Vergebung.

 

Die hat Sizwe Abrahams zunächst schwer zu schaffen gemacht: Der ehemalige Bodyguard Nelson Mandelas bringt nur wenige Worte über die Lippen als er an das Mikrofon neben der Kanzel tritt, die Trauer erstickt für einige Sekunden seine Stimme, doch dann berichtet er von seiner Begegnung mit Madiba: »Als ich Nelson Mandela 1990 kennengelernt habe, hatte ich so viel Hass in mir, ich bin ehrlich: Ich wollte alle Weißen töten. Mandela hat mir Liebe, Versöhnung und Vergebung gelehrt. Ich hoffe, dass unsere politische Führung von ihm lernen kann.«

 

»Mandela sagte zu mir: ›Wenn ich mit De Klerk arbeiten kann, dann kannst du auch mit weißen Polizisten zusammenarbeiten‹«

 

Die Zuhörer, eine Mischung aus Touristen und Einheimischen, entlässt ihn mit Applaus. Nach dem Gottesdienst erzählt Sizwe Abrahams zenith, wie die Begegnung mit Nelson Mandela ihn verändert hat: »Ich war im Exil in Botswana und Sambia. Als ich 1990 nach Südafrika zurückkehrte, war ich nicht bereit zu vergeben, aber Mandela sagte zu mir: ›Wenn ich mit De Klerk arbeiten kann, dann kannst du auch mit weißen Polizisten zusammenarbeiten.‹«

 

Die Schere zwischen Arm und Reich sei 20 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid viel zu groß, die schwarze Mittelschicht kümmere sich nur um ihr eigenes Wohl, fügt Abrahams an, doch das Erbe Mandelas sei trotz der Krise unbestreitbar: »Der Wandel findet zu meinen Lebzeiten statt: Mein Sohn geht bald auf die Hochschule, ich lebe in einer ›weißen‹ Wohngegend, das wäre früher unmöglich gewesen.«

Von: 
Julia Jaki

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