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Sisi und die Präsidentschaft in Ägypten

Was will General Sisi?

Analyse

Bereitet sich Ägyptens Armeechef bereits auf die nächste Präsidentschaft des Militärs vor? Ein Aufsatz aus dem Jahr 2006 liefert nun besorgniserregende Aufschlüsse über die Weltanschauung von Abdel-Fattah Al-Sisi.

Die Entscheidung, Präsident Mursi abzusetzen machte Abdel-Fattah Al-Sisi zum Helden. Sechs Wochen nach dem Staatsstreich hält der Personenkult um den General an. Sisis Darstellung in den ägyptischen Medien erinnert bisweilen an die Hofberichterstattung unter Mubarak. So schrieb der Chefredakteur einer einflussreichen liberalen Tageszeitung kürzlich ein langes Loblied auf Sisis »Weisheit und seine Bereitschaft, sich für das ägyptische Volk aufzuopfern«.

 

Er erinnere ihn an Gamal Abdel Nasser, der »Ägypten in die Unabhängigkeit führte«. »Treten Sie vor und übernehmen Sie die Verantwortung, die Ihnen das Schicksal vorgesehen hat«, forderte theatralisch dessen Tochter Hoda Abdel Nasser, die als Professorin an der Universität von Kairo lehrt, in einem offenen Brief an den General. Wie viele Ägypter sieht sie in Sisi den nächsten Präsidenten. Das Land bräuchte jetzt einen starken Mann wie ihn an der Spitze. Sisi weist Spekulationen über mögliche politische Ambitionen nach wie vor eher halbherzig zurück.

 

Über die Person Sisi und seine Ansichten und Pläne ist indes weiterhin relativ wenig bekannt. Ein Aufsatz, den er vor sieben Jahren während eines Studienaufenthalts am amerikanischen Army War College in Pennsylvania schrieb, liefert nun einige Anhaltspunkte. Die offiziell nur US-Behörden zugängliche Arbeit über »Demokratie im Mittleren Osten« deutet an, wie Sisi über die Rollen von Demokratie und Religion in den politischen Systemen der Region denkt.

 

Ein Mantra von Nasser über Mubarak bis Sisi

 

In dem etwas unstrukturierten und sprachlich wenig ansprechenden Aufsatz rechtfertigt der General mangelnde Bereitschaft arabischer Autokraten, ihr Volk durch faire Wahlen in politische Prozesse einzubinden. Viele Länder der Region seien noch nicht bereit für demokratische Regierungsformen. Die Bevölkerung müsse auf politische Beteiligung langsam vorbereitet werden. Voraussetzung für funktionierende Demokratien seien eine funktionierende Wirtschaft und gut ausgebildete Bürger. Diese Ziele zu erreichen würde ein bis zwei Generationen dauern, ein schneller Übergang zur Demokratie sei daher unwahrscheinlich.

 

Die Aussagen erinnern vor allem an Mubaraks gebetsmühlenartig wiederholtes Mantra: Ägypten sei noch nicht reif für die Demokratie, aber auf dem besten Weg dorthin – und er sei der Präsident des Überganges. Auch Nasser hatte Anfang der 1950er Jahre demokratische Wahlen nach einer Übergangsphase versprochen. Diese Phase dauerte dann aber doch etwas länger, die ersten halbwegs demokratischen Wahlen fanden erst Ende 2011 statt. Trotz diverser Hürden könne er sich mittelfristig eine Demokratisierung des Mittleren Ostens vorstellen, schreibt Sisi.

 

Islamische Staatssysteme würden aber auch dann weiterhin deutlich anders aussehen als westliche Staatssysteme: »Demokratie im Mittleren Osten lässt sich nicht ohne das Konzept des Kalifats verstehen.« Zumindest unmittelbar nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 wurden die Kalifen (wörtlich übersetzt: Nachfolger) tatsächlich gewählt und in ihrer Entscheidungsfindung von einem Rat unterstützt. Als historisches Vorbild für demokratische Strukturen ist das Kalifat daher naheliegend. Allerdings war das Hauptmerkmal der Kalifen, dass sie gleichzeitig die religiöse und die weltliche Führerschaft innehatten.

 

Der Personenkult in Ägypten kann viele Richtungen einschlagen – auch eine islamistische

 

Der Trennung zwischen Religion und Politik räumt Sisi in den islamischen Staaten wenig Chancen ein. Es sei unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Menschen im Mittleren Osten säkulare Demokratien akzeptieren werden. Demokratische Systeme würden daher andere Formen annehmen als im Westen. Entweder müsse es neben Legislative, Exekutive und Judikative eine vierte islamische Gewalt geben oder islamische Grundsätze müssten in den drei Gewalten explizit verankert werden.

 

Viele Kommentatoren sehen mit dem Fall der Muslimbrüder auch den politischen Islam am Ende. Alleine mit dem Slogan »Islam ist die Lösung« werden sich wohl in der Tat in absehbarer Zeit keine Wahlen mehr gewinnen lassen. Doch Sisis Aufsatz deutet darauf hin, dass der politische Islam auch in Zukunft durchaus eine Rolle in Ägypten spielen könnte. Der von Kopten und Säkularisten kritisierte Fortbestand des Scharia-Bezugs in der ägyptischen Verfassung liefert einen ersten Anhaltspunkt dazu. Dennoch wird General Sisi in Ägypten weiter als Heilsbringer gefeiert. Die Sehnsucht nach einem starken Mann an der Spitze des Staates überwiegt. So ebnet der Personenkult um den General einem neuen Autoritarismus den Weg. Und auch der könnte eine islamistische Färbung haben.

Von: 
Ragnar Weilandt

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