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Regisseur Mohammad Yaghoubi

»Theater ist so veränderbar wie das Leben«

Interview

Regisseur Mohammad Yaghoubi über Zensoren, die es eigentlich nicht geben dürfte, Theater für den Durchschnittsiraner und die Brücke zum Publikum.

zenith: Herr Yaghoubi, hat die Zahl 25 für Sie als Theaterregisseur im Iran eine besondere Bedeutung?

Mohammad Yaghoubi: (lacht) Sie meinen den Artikel 25? Ja, dieser und andere Artikel in der Verfassung der Islamischen Republik Iran verbieten jegliche Zensur. Es sollte also gar keine Zensur geben.

 

Trotzdem gibt es sie. Haben Sie eine Ahnung, wer die Leute sind, die diesen Artikel in der Verfassung anscheinend nicht kennen?

Nein, eigentlich wissen wir Kunstschaffende nicht, wer genau unsere Werke liest, genehmigt oder verbietet. Natürlich bin ich in meiner Funktion als Theaterregisseur gewissen Leuten schon mal begegnet, aber ich kann nie sicher wissen, wer wann wofür zuständig ist. Und das ist das Problem: Niemand möchte offiziell bestätigen, dass Zensur im Iran stattfindet. Aber eines Tages erscheint hier jemand, der deine Arbeit überprüft oder bereits umformt, und an dem Tag bekommt die Zensur, die es eigentlich nicht gibt, ein Gesicht.

 

Und wie sieht dieses Gesicht aus?

Meistens erscheinen die Zensoren zu dritt und schauen sich mein Theaterstück an, sie begutachten es. Zu meinem Stück »Im Dunkeln schreiben« von 2010 kam erst eine Gruppe von drei Leuten, dann eine weitere. Die zweite Gruppe hat mein Theaterstück erlaubt, die erste aber nicht. Dann wurden noch einmal drei Leute geschickt. An jenem Tag habe ich sechzehn Zensoren im Saal gezählt.


Mohammad Yaghoubi,

geboren 1967 in Langerud, ist Jurist, Dramatiker und Regisseur. Seit Ende der 1990er Jahre arbeitet Yaghoubi an verschiedenen Teheraner Theatern. Seine Stücke sind im Iran vielfach ausgezeichnet, in den letzten Jahren allerdings immer häufiger gekürzt oder zensiert worden. Zurzeit inzeniert Yaghoubi am Teheraner Niavaran-Theater »Borhan« nach Vorlage des Stückes »Proof« von David Auburn. 

 

Da die Statuten nie veröffentlicht werden, weiß man nie, in welcher Gestalt die Zensur daherkommt und was sie sich nehmen wird. Aber auch das Theater schafft ja mit seiner eigenen Sprache Spieler und Gegenspieler. Wie versuchen sie die Balance zu halten?  

Menschen haben die Fähigkeit und das Vermögen, Regeln und Gesetzen, einer Ordnung nicht zu folgen. Wenn man es richtig macht, kann man etwas verändern. Es kommt auch auf die Menschen, auf die Gemeinschaft an, mit der man arbeitet. Jeden Tag, mit jedem Theaterstück und mit jedem neuen Publikum können wir eine andere Veränderung erreichen. Wir können versuchen, die Regeln zu missachten, ihnen nicht zu gehorchen. Es wäre doch eine Schande, wenn man es nicht tun würde, obwohl man es kann.

 

Sie beobachten ihr Publikum genau.

Wir verändern die Performance einfach: Sitzen im Saal nur normale Zuschauer, so sprechen wir Dinge einfach aus, ohne jegliche Rücksicht auf die Zensur. Und wenn wir nach der Premiere keinen großen Gegenwind bekommen, dann fahren wir so fort. Unter uns Theaterleuten im Iran gilt ein beliebtes Credo: Die letzte Aufführung ist die schönste, weil man dann alles machen kann.

 

Wie sieht das iranische Theaterpublikum aus? Wen haben Sie im Kopf, wenn Sie ein Stück schreiben?

Nicht arm, nicht reich, aber gebildet – der Durchschnittsiraner. Ich bin bekannt dafür, mit diesem Teil unserer Gesellschaft zu arbeiten, ihre Probleme anzugehen. Ist das Theater nicht auch die Kunstform eben dieser Gesellschaftsschicht?

 

Aber müssten Sie nicht auch andere Schichten miteinbeziehen?

Ich selbst gehöre dieser Gesellschaftsschicht an und denke, dass genau diese Leute in unserer Geschichte  so gelitten haben und so vernachlässigt wurden. Sie sind die entscheidenden Akteure für Veränderung  – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Und eigentlich hilft die Armut der Regierung – indem die Armen instrumentalisiert und gegen den Durchschnittsiraner aufgehetzt werden.

 

Was soll ihr aktuelles Theaterstück bewirken? Soll es überhaupt noch etwas bewirken, verändern, oder müssen sie gar nicht mehr einwirken?

Ich versuche nur, den Schmerz, den Kummer und die Trauer über einen Verlust auszudrücken. Den Verlust eines Landes, besonders den Verlust der Menschen, die das Land verlassen mussten und es verloren haben. Darin spiegeln sich auch meine Bedürfnisse wieder, denn ich kann sicher sein, dass die Menschen in dieser Gesellschaftsschicht genauso denken. Das Publikum soll mit dem Bewusstsein aus dem Theater gehen, dass es nicht alleine ist, dass es Menschen gibt, die die gleichen Probleme und Wünsche haben.

 

Dann arbeiten sie bewusst mit den Werkzeugen der Identifikation?

Bei Literatur und Film mag das anders sein, aber ich glaube daran, dass man die Leute im Saal beeinflussen kann. Wenn das nicht möglich ist, ist es kein Theater!!

 

Es geschieht...

 ...Theater geschieht live! Und so muss man die Menschen beeinflussen, man muss mit ihnen kommunizieren. Man bezieht sich auf sie, man identifiziert sich sogar mit ihnen...

 

...inwiefern beeinflussen?

 

»Im wahren Leben verneinen wir uns. So sind wir aufgewachsen. Wir haben gelernt, zu schauspielern«

 

Es geht mir nicht darum, die Ideologie der Menschen zu ändern. Aber wenn das Publikum den Kummer, den Schmerz und den Verlust spürt, der auf der Bühne aufgeführt wird, und trotzdem lacht, ist das doch wundervoll. Das bedeutet, dass die Menschen zu den Geschehnissen auf der Bühne Kontakt aufgenommen haben und eine Verbindung eingegangen sind. Was auf der Bühne passiert, betrifft auch sie.

 

Als ich mir Ihr aktuelles Theaterstück »Borhan« anschaute, wusste ich zeitweilig nicht mehr, ob nicht ich zur Bühne geworden war und die Schauspieler zu meinem Publikum. Da war keine Mauer, kein Vorhang zwischen Bühne und Publikum.

Ich mag diese Art von Theater nicht, bei der die Schauspieler zu sehr mit dem Publikum involviert sind. Aber ich mag es, eine witzige Art von Theater zu zeigen. Das eigentliche Theaterstück ist vielleicht gar nicht lustig, aber wir würzen es mit Humor, um eine Verbindung mit dem Publikum herzustellen. An einem Abend etwa klingelte das Handy eines Zuschauers. Einer der Schauspieler sagte dann mitten im Stück zu seinem Bühnenpartner: »Wir sollten warten und ihm die Zeit geben, sein Telefon abzustellen.« Es geht hier nicht um Techniken oder um die Mittel des Theaters. Improvisation! Das ist die Essenz, der Saft des Theaters.

 

Jede dieser klitzekleinen Handlungen im Alltag, mit denen die Iraner sich etwas entgegenstellen, was sie nicht gutheißen, könnte man direkt auf die Bühne bringen. Findet das eigentliche Theater im Iran auf der Straße statt?

Ja, wir führen ein Stück auf in unserem Leben.

 

Leisten die Iraner so Widerstand oder verneinen Sie sich nicht vielmehr auch dabei?

Das Theater ist vielleicht ist der einzige Ort, an dem wir Iraner wir selbst sein und uns so zeigen können, wie wir in Wirklichkeit sind. Theater ist so veränderbar wie das Leben. Im wahren Leben stellen wir uns hinten an, wir verneinen uns. So sind wir aufgewachsen. Wir haben gelernt, zu schauspielern.

Von: 
Florian Bigge

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