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Rückkehr nach Afghanistan

Die Heimat, so fremd

Feature

Fabian Hofmanns* Vater floh nach Deutschland, um nach jahrzehntelangen Kriegen seinen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Sein Sohn aber entschied sich gegen die Gemütlichkeit im Ruhrgebiet – und für den Kulturschock in Afghanistan.

Kalaschnikows schießen in die Luft, Menschen brüllen durcheinander, Lärm schallt durch die Straßen Kabuls. So also sieht afghanischer Freudentaumel aus. Es ist der 11. September 2013 und das Land am Hindukusch hat gerade zum ersten Mal in seiner Geschichte die Südasienmeisterschaft im Fußball gewonnen. Seine Auswahl konnte Indien im Finale mit 2:0 besiegen und hat damit die sonst so gespaltene Nation für einen flüchtigen Moment geeint. Die Menschen strömen nach draußen und lassen ihrem Jubel freien Lauf.

 

Schüsse sind in Kabul häufig zu hören, der Anlass dafür ist aber eigentlich nie so erfreulich wie an diesem Tag. Die Art der Feierlichkeiten mag Fabian Hofmann komisch vorkommen. Zwar ist er rauschende Fußballfeste auch aus seiner Heimat gewohnt, doch im Ruhrgebiet zückt keiner ein russisches Sturmgewehr, wenn die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich war. Er wusste, was auf ihn zukommt, als er sich aus seinem bürgerlichen Vorort ins exotische Kabul aufmachte.

 

Aus den Geschichten seines Vaters. Den hatte es in den Siebzigerjahren nach Europa verschlagen, um Medizin zu studieren. Dort lernte er die Mutter seines Sohnes kennen, eine Deutsche. Schon zu dieser Zeit war die Bundesrepublik der sicherere Ort, um eine Familie zu gründen. Erst vor ein paar Jahren nahm Hofmanns Vater seinen Sohn mit nach Kabul und zeigte ihm, wo der zweite Teil seines Stammbaums seine Wurzeln hat.

 

Das muss bleibenden Eindruck hinterlassen haben. 2013 entschied Hofmann sich zum Umzug in die afghanische Hauptstadt. »Ich wollte einfach mal aus Deutschland raus«, sagt er, »da bot sich Afghanistan natürlich an«. Der Gedanke, beim Wiederaufbau des noch fragilen Staates zu helfen, sorgte für zusätzliche Motivation. Mit seinen Anfang 30 und einigen Jahren Berufserfahrung schien der richtige Zeitpunkt gekommen. Den Auswahlprozess einer großen Entwicklungshilfeorganisation durchlief er problemlos, dank Qualifikation – und Herkunft.

 

Wer nach Afghanistan will, hat es selbstredend einfacher, wenn er sich im Umgang mit der Kultur zumindest ein wenig auskennt. Als Arbeitsmarkt für Ausländer ist das Land am Hindukusch dennoch eher uninteressant. Zwar gibt es eine Gefahrenzulage, aber eine Anstellung ist letztlich beinahe ausschließlich bei den Vertretungen der deutschen Regierung oder den Hilfsorganisationen zu finden. Zwar wächst die Wirtschaft, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und den geringen Verdienstmöglichkeiten scheint die Suche auf dem freien Markt aber wenig sinnvoll.

 

So sind es hauptsächlich Diplomaten, humanitäre Helfer und eben jene, die einen Bezug zu Afghanistan haben, die für einige Jahre im Land arbeiten. Dauerhaft bleiben die wenigsten. Hofmann ist eigentlich keines dieser Einwandererkinder, die permanent vom Herkunftsland der Eltern schwärmen. Deswegen überraschte es Familie und Freunde umso mehr, als er den Schritt in dieses Land wagte, das viele nur mit Taliban und Opiumfeldern verbinden. Einige sorgten sich um seine Sicherheit. Die Verwandten waren aber auch stolz, dass einer von ihnen den Weg in die alte Heimat wählt, um den von Armut und Krieg gebeutelten Menschen zu helfen.

 

Der Kontakt mit den Afghanen beschränkt sich zumeist auf den täglichen Einkauf oder das Essen im Restaurant

 

Angekommen in Kabul, bekam Hofmann gleich eine Unterkunft zugewiesen: eine Wohngemeinschaft mit einer Deutsch-Afghanin in einem der besseren Stadtviertel. Soweit eigentlich nicht schlecht, dachte er sich – bis nach ein paar Monaten der berüchtigte afghanische Winter einbrach. »Das kann in der Wohnung auch schon mal auf sechs Grad runtergehen, das macht das Leben hart«, beklagt er die Kälte. Morgens gibt es kaltes Wasser oder gar keins – die Rohre frieren manchmal zu. Geheizt wird mit einem kleinen Kohleofen. Eine Erinnerung an sein Zuhause im ehemals stolzen Bergbaurevier, auf die er gerne verzichtet hätte.

 

Überhaupt ist das Leben in der lauten, dreckigen Stadt eine ordentliche Umstellung. Die allgegenwärtige Sicherheitsproblematik bestimmt den Tagesablauf. Hofmann darf sich, wie seine Kollegen auch, frei bewegen, eigentlich. Und doch wird geraten, sich auf einen Taxidienst für Ausländer zu verlassen – angesichts des chaotischen Straßenverkehrs aber noch immer nicht ganz ungefährlich. »Verkehrsschilder werden nicht einmal als Empfehlung gesehen, in den anderen Taxis stapeln sich die Leute auch manchmal«, berichtet er von der täglichen Rush Hour. Der Kontakt mit den Einheimischen beschränkt sich zumeist auf den täglichen Einkauf oder das Essen im Restaurant.

 

Auch wie zu Hause mit den Kumpels um die Häuser zu ziehen, gestaltet sich als eher schwieriges Unterfangen. Gelegentliche Partys in den Botschaften sind eher die Ausnahme. »Das Leben hier ist nicht so extravagant. Einkaufen, Essen, Ende«, beschreibt er seinen Feierabend. Der Strom fällt regelmäßig aus, auch das Internet ist deshalb nur eingeschränkt zum Zeitvertreib geeignet. Und selbst wenn es funktioniert, reicht die Bandbreite nicht für ein Skype-Gespräch nach Deutschland. Dafür bieten Treffen mit Freunden beim Bowling oder in einem der internationalen Restaurants etwas Unterhaltung – eine willkommene Rückbesinnung auf Zeiten, in denen nicht jeder den ganzen Abend auf sein Smartphone starrte, findet Hofmann. »Langweilig ist es hier nicht, aber nicht so abwechslungsreich«, fasst er den Alltag zusammen.

 

Egal ob Glücksritter oder Diplomat, absolute Sicherheit gibt es für niemanden

 

Einen wirklichen Mangel gibt es in Afghanistan für Hofmann nicht. »Man bekommt eigentlich alles, was man will, wenn auch in schlechterer Qualität«, sagt er. Denn: »Viele Sachen sind gefälscht oder B-Ware.« Der Lebensunterhalt an sich sei sehr günstig, bei hochwertigen Produkten aus dem Westen müsse Hofmann aber auch mal tiefer in die Tasche greifen, sagt er. Da die meisten Kabuler nur Dari oder Paschtu sprechen, lasse sich am Preis auch wenig machen. Hofmanns Lebensstil muss nicht unbedingt repräsentativ sein für einen Ausländer in Kabul.

 

Er ist nur einer von vielen, die es nach Einzug der Alliierten nach Afghanistan zog. Einige haben noch einen deutlich engeren Bewegungsradius als er. Botschaftsmitarbeiter und Armeeangehörige beispielsweise dürfen fast gar nicht alleine vor die Tür. Wieder andere scheuen hingegen kein Risiko. »Es herrscht schon eine gewisse Goldgräberstimmung im Land«, beschreibt Hofmann diese Mentalität. Wie in allen Nachkriegsgesellschaften nämlich suchen ehemalige Exilanten oder deren Kinder ihr Glück.

 

Sie bringen Geld, Sprachkenntnisse und Gefühl für die Kultur mit. Und das Land, es fängt praktisch zur Stunde Null neu an, für viele der vermeintlich perfekte Ort für ein Abenteuer. Egal ob Glücksritter oder Diplomat, absolute Sicherheit gibt es für niemanden. Im Januar 2014 verübten die Taliban in der Hauptstadt einen Anschlag auf ein Restaurant. Es war vor allem bei Ausländern beliebt. 21 Menschen starben. »Ich habe die Explosion noch bei mir zu Hause gespürt und daraufhin gleich nachsehen, was passiert ist.

 

Man fühlt sich ohnmächtig und hilflos«, schildert Hofmann das traumatische Erlebnis. Bis dahin hatte er sich immer sicher gefühlt, sagt er. »Ein mulmiges Gefühl schwingt jetzt beim Besuch von öffentlichen Orten schon mit. Auch wenn nur etwas Holz im Ofen umfällt, erschrecke ich doch ein bisschen mehr«, sagt er. Natürlich wird den Ausländern im Lande zur Vorsicht geraten und beliebte Lokale werden von bewaffneten Türstehern bewacht. Aber das ist keine Garantie.

 

*Name von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert.

Von: 
Oliver Imhof

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