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Proteste im Sudan gegen Omar al-Baschir

»Dritte Revolution« statt Arabischer Frühling?

Feature

Der Sudan erlebt die größten Demonstrationen seit 1995, das Regime von Omar al-Baschir kämpft ums Überleben. Jubel über eine Revolution erscheint allerdings verfrüht.

Seit dem 17. Juni haben in der sudanesischen Hauptstadt jeden Tag Proteste stattgefunden, ausgehend vom Campus der Universität Khartum und verteilt auf mehrere Stadteile. Die Zahl der Teilnehmer ist noch auf einige Hundert begrenzt, aber die Bewegung hat an Schwung gewonnen. Bestand sie bislang vor allem aus Studenten, so haben sich mittlerweile auch »einfache« Menschen in mehreren Städten angeschlossen. Die »Sicherheitskräfte« reagieren brutal.

 

Auslöser ist die Finanzkrise des Staates nach dem unerwarteten Wegfall der Öleinnahmen aus dem Südsudan. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind in den letzten Monaten explodiert und die geplante Streichung von Subventionen für Benzin wird die Bevölkerung noch härter treffen. Sudan und Südsudan befinden sich de facto im Krieg miteinander, während die Rebellionen in Darfur, den Nubabergen und im Bundesstaat Blue Nile immer mehr Opfer fordern.

 

Heiße Regenzeit statt Frühling

 

Volksaufstände haben im Sudan eine stolze Tradition. Bereits 1964 und 1985 bewirkten Massenproteste den Sturz von Militärdiktaturen, lange vor der »Jasmin-Revolution« in Tunesien, die westliche Medien daher zu Unrecht als historische Premiere im arabischen Raum bezeichnen. Ironischerweise werden die sudanesischen Konflikte sonst meist zu dem Klischee »Araber vs. Afrikaner« verzerrt, doch in dieser Hinsicht scheinen die Sudanesen nicht als Araber zu zählen.

 

Mit Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien lässt sich die Entwicklung im Sudan also nur begrenzt vergleichen. Die Jugendbewegung Girifna – ungefähr zu übersetzen mit »Wir haben die Schnauze voll« – wurde bereits ein Jahr vor den Wahlen von 2010 als friedliche Protestplattform gegen Baschirs National Congress Party (NCP) gegründet. Daher wollen die Aktivistinnen – Frauen spielen eine zentrale Rolle – und Aktivisten, die via Twitter für die #SudanRevolts mobilisieren, explizit nicht von einem »Arabischen Frühling« sprechen, sondern von einer »Dritten Revolution«.

 

Der einflussreiche Blogger Magdi Elgizouli weist überdies darauf hin, dass das Sprachbild auch insofern schief ist, als dass es im Sudan nur Trocken- und Regenzeit gibt, beide in extremer Hitze, aber keinen Frühling. In einem kürzlich erschienenen Beitrag für eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung analysiert er die sudanesischen Besonderheiten, die gegen den baldigen Erfolg der Proteste sprechen. Dazu gehört in erster Linie der gesellschaftliche Graben zwischen den privilegierten Studenten und dem »einfachen« Volk.

 

Diese kommunikative Kluft hat in den letzten Jahren größere Demonstrationen verhindert, scheint jedoch nun trotz der harschen Repressionen kleiner zu werden. Darauf deutet insbesondere die Tatsache hin, dass erstmals mehrere Moscheen zum Ausgangspunkt von Protesten wurden. Die Guardian-Kommentatorin Nesrine Malik, die aus dem Sudan stammt, argumentiert allerdings, dass der Wunsch nach Stabilität bei allem Verdruss noch immer weit verbreitet und die Skepsis vor einem Regimewechsel aus Furcht vor Unruhen groß sei.

 

Hinzu kommt, dass die Oppositionsparteien der Feudalherren und Sektenführer durchwegs diskreditiert sind. Deren notorische Zerstrittenheit spiegelt sich aber in der heterogenen Jugendbewegung wider. Sie wird von denjenigen gespalten, die zuvor in den gerontokratischen Strukturen der traditionellen Opposition keine Chance sahen. Die Girifna-Gruppe tritt zwar vehement gegen das alte Parteisystem ein, scheut aber ihrerseits vor der Macht zurück. Ihre Forderung nach einem umfassenden Transformationsprozess dürfte für die harte Politarena zu romantisch sein.

 

Sei vorsichtig mit deinen Wünschen

 

Westliche Diplomaten gehen nicht davon aus, dass das Regime in nächster Zeit wirtschaftlich kollabieren wird. Dagegen erwarten sie, dass die Regierung des Südsudans schon in wenigen Wochen vor dem Zusammenbruch stehen könnte. Denn die wird in noch höherem Maße durch kostspielige Patronagenetzwerke zusammengehalten, für die es jetzt keine Petrodollars mehr gibt. Allzumal Juba durch seine Militäraktion in dem umstrittenen Ölgebiet von Heglig/Panthou im April viel Kredit bei den internationalen Gebern verspielt hat.

 

Diese Konstellation könnte eine Einigung zwischen beiden Staaten beschleunigen. Außerdem wird in den Schreckensmeldungen über die Haushaltskrise ein Umstand schlichtweg vergessen: das wichtigste Exportgut des Sudans ist nach wie vor nicht Öl, sondern Arbeit. Millionen Sudanesen verdienen ihr Geld in der Diaspora, vor allem in den Golfstaaten, und überweisen von dort Milliarden in harten Währungen an ihre Großfamilien zuhause.

 

Die Regierung hat deswegen mit der Abwertung des Sudanesischen Pfundes erhebliche Teile der urbanen Bevölkerung beschwichtigt. Zugleich stellt sie die eigene Finanzlage drastisch dar, um Druck zu ventilieren. Auch die verbündeten Monarchien am Golf werden Omar al-Baschir wohl nicht ohne weiteres fallenlassen. Katar und Saudi-Arabien haben bereits mit kräftigen Kapitalspritzen geholfen, eine massive Kampagne von Al-Jazeera ist eher nicht zu erwarten. Blogger Elgizouli, der als Mitglied der Kommunistischen Partei der Regimenähe unverdächtig ist, zeigt überdies auf, wie al-Baschir mit einigem Erfolg die Umbrüche in Nordafrika für sich »plagiarisieren« konnte.

 

Seine islamistische Machtübernahme von 1989 wurde vor allem von jugendlichen Aktivisten durchgesetzt, ebenso die islamistischen Machtübernahmen in den Ländern des »Arabischen Frühlings«. Es passt daher ins Bild, dass al-Baschir beste Beziehungen zu den neuen Herrschern in Tripolis und Tunis pflegt. Allerdings hat die Geschichte des Sudans immer wieder gezeigt, dass sich nach bleiernen Jahren die Entwicklungen urplötzlich überschlagen können. Trotz all dieser Faktoren ist deshalb ein Umsturz keineswegs auszuschließen. Als sicher darf indes gelten, dass die teils säkularen Rebellen aus dem Hinterland niemals die zentrale Herrschaft erobern werden.

 

In der Geschichte des Landes ist dies nur den Mahdisten der 1880er Jahre gelungen, die einen Jihad gegen die osmanischen Kolonialherren führten und als erste militante Islamisten-Bewegung der Neuzeit überhaupt gelten. Während manch westlicher Aktivist dem Krieg eine Chance geben will und Waffen für die Aufständischen fordert, sind diese bei der Bevölkerung im Zentrum wie auch in der internationalen Diplomatie zu unpopulär. Im Fall eines Regimewechsels darf man allerdings nicht überrascht sein, wenn sich nicht die liberalen Intellektuellen durchsetzen, sondern die militanten Islamisten. Auch aus den Volkserhebungen von 1964 und 1985 waren sie jeweils als Gewinner hervorgegangen.

 

Nun hat sich Eltayeb Mustafa, ein Onkel Omar al-Baschirs, mit seinem kriegstreiberischen »Just Peace Forum« an die Spitze derer gesetzt, die die Wirtschaftspolitik kritisieren und mit einer »Arabellion« drohen. Seine rassistische Zeitung Al-Intibaha (Der Alarm) dominiert mit Hasstiraden den öffentlichen Diskurs und agitiert als Marktführer die Massen. Die derart indoktrinierte Jugend könnte also für einen Wandel sorgen, der einen noch größeren Albtraum bedeutet.

 

Allzu oft heißt es in Analysen, der Sudan stehe am Scheideweg. Das kommende Wochenende dürfte indes ein wirklicher Wendepunkt werden, wenn nämlich nach dem Gang in die Moscheen der Jahrestag des Putsches von 1989 ansteht. Nach den bisherigen Straßenkämpfen bleibt zu hoffen, dass nicht noch mehr Blut fließt. Die Meteorologen sagen allerdings Regen und Gewitter voraus.

Von: 
Roman Deckert und Tobias Simon

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