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Massaker und Genozid in Darfur

Die Folgen der Straflosigkeit im Sudan

Analyse
Massaker und Genozid in Darfur
Protest von Exil-Masalit in London im Mai 2022 Alisdare Hickson / Flickr

Im Schatten des Kriegs zwischen den Sicherheitskräften im Sudan greifen die »Rapid Support Forces« (RSF) und verbündete Milizen immer wieder gezielt einzelne ethnische Gruppen an. Nun droht der Konflikt sich auf den Tschad auszuweiten.

In den vergangenen Wochen konnten die »Rapid Support Forces« (RSF) einige militärische Erfolge im Krieg gegen die Sudanesische Armee (SAF) erzielen. Sie eroberten Kasernen in drei Landeshauptstädten im westlichen Darfur: Nyala (Süd-Darfur), Zalingei (Zentral-Darfur) und El-Geneina (West-Darfur) sowie ein Ölfeld in West-Kordofan. Die paramilitärischen RSF kontrollieren mittlerweile weite Gebiete des Landes westlich des Nils sowie einen großen Teil von Khartum. Mehr als sieben Monate nach Beginn des Kriegs um die Vorherrschaft im Sicherheitssektor ist kein baldiges Ende in Sicht.

 

Die Gewalt beschränkt sich aber nicht auf Auseinandersetzungen zwischen den Hauptkonfliktparteien RSF und SAF. Beide Seiten nehmen keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Die RSF plündern und besetzen private Wohnhäuser, während die SAF mit wenig präziser Artillerie und Luftschlägen auf RSF-Positionen zivile Opfer in Kauf nehmen.

 

Insbesondere gegen die RSF werden jedoch weit schwerwiegendere Vorwürfe laut: Im August schlugen UN-Experten, die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzt wurden, Alarm, dass die RSF sexuelle Gewalt einsetzten, um die Zivilbevölkerung »zu bestrafen und zu terrorisieren«. Laut Zeugenaussagen entführen RSF-Angehörige Frauen und halten sie unter »Sklaverei-ähnlichen Bedingungen«.

 

Politische Führer der Masalit sowie Anwälte und Aktivisten wurden gezielt ermordet

 

Die RSF und verbündete arabische Milizen gehen teilweise gezielt gegen Angehörige einiger ethnischer Gruppen vor. Dies betrifft insbesondere die Masalit, eine nicht-arabische Gruppe, die hauptsächlich in West-Darfur beheimatet ist. Seit dem Beginn des Kriegs sind mehrere Vorfälle bekannt geworden, in denen RSF und verbündete arabische Milizen (die nicht immer klar voneinander zu unterscheiden sind) für Massentötungen von Masalit verantwortlich gemacht werden. Ein erster Höhepunkt dieser Art von massenhafter Gewalt gegen die Masalit war zwischen Ende April und Juni, der zweite Anfang November.

 

Augenzeugen sprachen davon, dass Menschen in El-Geneina aufgrund ihrer Hautfarbe angegriffen wurden. Männer im wehrfähigen Alter wurden getötet, Frauen vergewaltigt, zivile Einrichtungen geplündert. Politische Führer der Masalit sowie Anwälte und Aktivisten wurden gezielt ermordet. Als Khamis Abdullah Abkar, der Gouverneur von West-Darfur und Führer der »Sudanese Alliance«, am 14. Juni in einem Interview davon sprach, dass die RSF für die massenhafte Gewalt der letzten Wochen verantwortlich sei, während die SAF tatenlos in ihrer Kaserne sitze, wurde er kurz darauf umgebracht. Eine unabhängige Konfliktbeobachtungsplattform, die vom US-Außenministerium unterstützt wird, stufte diese Tat als extralegale Tötung ein.

 

Angaben über die genauen Opferzahlen sind schwierig wegen des begrenzten Zugangs unabhängiger Akteure. Menschen, die mit den Vereinten Nationen kurz nach ihrer Ankunft in Tschad sprachen, berichteten jedoch übereinstimmend von verwesenden Leichen in den Straßen und am Wegesrand. Allein auf einem Friedhof in El-Geinena sollen mehr als 1.000 Tote bis Mitte Juni begraben worden sein. Die Analyse von Satellitenbildern zeigt, dass zwischen April und Mitte Oktober 68 Orte in der Region Darfur Feuerschäden aufweisen. Einige, die vor allem von nicht-arabischen Minderheiten bewohnt wurden, wurden fast vollständig niedergebrannt.

 

Ardamata wäre mit bis zu 1.300 Toten das größte Einzelmassaker seit Beginn des Kriegs im April

 

Hundertausende entflohen dieser Gewalt, mittlerweile über eine halbe Million über die nahe Grenze nach Tschad. Einige Masalit wagten nicht die gefährliche Reise über die Grenze, sondern flohen in die SAF-Basis in Adarmata, einem Vorort von El-Geneina. Als die RSF die Kaserne der SAF dort schließlich am 4. November 2023 einnahmen, verübten sie innerhalb weniger Tage ein erneutes Massaker an den Masalit. Das Un-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach von mehr als 800 Opfern, eine lokale NGO von 1.300 Menschen, deren Namen sie erfasst habe. Ardamata wäre damit das größte Einzelmassaker seit Beginn des Kriegs im April.

 

Diese identitätsbasierte Gewalt steht einerseits in einem engen Zusammenhang zum Krieg zwischen RSF und SAF, andererseits hat sie deutlich längere und tiefere Wurzeln. Beide Episoden massenhafter Gewalt ereigneten sich im Zusammenhang mit Kämpfen zwischen RSF und SAF in West-Darfur. Kämpfer der »Sudanese Alliance«, einer bewaffneten Gruppe, die Teil des Juba-Friedensabkommens (JPA) von 2020 ist, verstärkten nach der gezielten Gewalt gegen die Masalit im Frühjahr die Verteidigung der Kaserne, in die sich auch viele Zivilisten geflüchtet hatten.

 

Die UN wollen Vorwürfen nachgehen, nachdem es auch Angriffe von Masalit-Milizen auf arabische Personen in den letzten Wochen in Ardamata gegeben habe. Dies scheint aber wenig an der Überlegenheit der RSF und arabischen Milizen sowie an der Einseitigkeit der Gewalt gegen die Masalit zu ändern, wie es sie in West-Darfur seit 2019 episodenhaft mehrfach gegeben hat.

 

Die Gräueltaten der RSF und der mit ihnen verbündeten arabischen Milizen in Darfur verkomplizieren die Vermittlungsbemühungen. Mittlerweile gibt es zwar eindeutige Äußerungen internationaler Akteure, doch diesen Worten Nachdruck zu verleihen, erweist sich als schwieriger: »Was dort geschieht, grenzt an das pure Böse« (Clementine Nkweta-Salami, Stellvertretende Leiterin der UN-Mission in Sudan), » alle Kennzeichen ethnischer Säuberung« (Andrew Mitchell, britischer Staatssekretär für Afrika), »Die internationale Gemeinschaft kann nicht die Augen vor den Geschehnissen in Darfur verschließen und einen weiteren Völkermord in dieser Region zulassen.« (Josep Borell, Hoher Repräsentant der EU).

 

Der Internationale Strafgerichtshof sieht die derzeitigen Vorfälle als Teil seines 2005 für Darfur erteilten Mandats

 

Im Oktober setzte der UN-Menschenrechtsrat eine internationale Untersuchungsmission ein, die Beweise für Menschenrechtsverletzungen sammeln soll, die in zukünftigen Gerichtsprozessen genutzt werden könnten. Der Internationale Strafgerichtshof gab im Juli bekannt, dass er die derzeitigen Vorfälle als Teil seines 2005 für Darfur erteilten Mandats sieht. Dass diese Mechanismen abschreckend auf die RSF wirken könnten, ist bisher nicht abzusehen.

 

Internationale Vermittlungsbemühungen für den Krieg in Sudan haben bisher kein separates Augenmerk auf die besondere Art der Gewalt in Darfur gelegt. Die RSF scheinen sich ohnehin um ihre Versprechen wenig zu scheren. Währen ihre Delegierten in Dschidda sich zur Verbesserung des humanitären Zugangs bekannten, begingen die RSF-Milizen das Massaker von Ardamata. Abdelrahim Dagalo, der Stellvertretende Kommandeur der RSF, der bei den jüngsten militärischen Erfolgen in Darfur zugegen war, sprach kurz danach davon, die »Kriminellen«, die das Land für dreißig Jahre regiert hätten, »endgültig zu eliminieren«.

 

Derweil kündigt sich eine weitere Eskalation der Gewalt im Kampf um El-Fasher an, die Hauptstadt Nord-Darfurs und letzte Hochburg der SAF in der Region. Am 16. November verkündeten bewaffnete Gruppen aus Darfur, die um El-Fasher Tausende Kämpfer kontrollieren, dass sie ihre bisherige Neutralität aufgeben und auf der Seite der SAF in den Krieg einsteigen wollten. El-Fasher hat über eine Million Einwohner, davon eine halbe Million Binnenvertriebene. Die RSF könnten den Einstieg der bewaffneten Gruppen als Grund nehmen, auch gegen andere nicht-arabische Bevölkerungsgruppen wie die Zaghawa und Fur gezielt vorzugehen, wie bereits vor zwanzig Jahren.

 

Dies könnte nicht zuletzt die Regierung von Tschad vor weitere Herausforderungen stellen, da ihre Regierungselite aus Zaghawa besteht, aber gleichzeitig den Vereinigten Arabischen Emiraten erlaubt, über Amdjarass im Nordosten Tschads Waffen an die RSF zu liefern. Eine weitere regionale Eskalation des Kriegs in Sudan wird damit wahrscheinlicher.

Von: 
Gerrit Kurtz

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