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Polizei und Reform in Bahrain

Warum das »Miami-Modell« in Manama scheiterte

Analyse

John Timoney sollte nach der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste in Bahrain den Polizeiapparat reformieren. Die Bilanz des Beraters aus den USA fällt mager aus, denn an wirklichen Veränderungen hat das Königshaus kein Interesse.

John Timoneys eindrucksvolle Polizeikarriere war den sunnitischen Herrschern Bahrains aufgefallen. Im Dezember 2011, zehn Monate nach Beginn des »Arabischen Frühlings« auf der ölreichen Golfinsel, erhielt der erfahrene amerikanische Polizist im Innenministerium von der kleinen arabischen Monarchie einen Zweijahresvertrag als Berater. Der ehemalige oberste Ordnungshüter von Philadelphia und Miami sollte die Polizei Bahrains reformieren und die negative PR richten, die zu Beginn des Jahres die Schlagzeilen über das Land beherrschte.

 

»Bahrain ist ein wunderschönes Land, und ich glaube, die Ereignisse im März haben das Königreich sowie seine Herrscher geschockt«, befand Timoney denn auch prompt in einem Interview im Januar 2012 mit NPR News. Indes »feierte« der Inselstaat 2013 ein trauriges Jubiläum. Am 14. Februar 2011 waren Tausende erstmalig auf die Straße gegangen, um gegen die Politik des Königshauses zu demonstrieren. Der Friede auf der relativ liberalen und lebensfreudigen Insel im Persischen Golf schien erst einmal vorüber.

 

Seither versucht der sunnitische Machthaber, König Hamad bin Issa Al Khalifa, das Aufbegehren der schiitischen Bevölkerungsgruppe – auch mit externer Hilfe – zu unterdrücken. Seine Polizei reagierte energisch, zuweilen brutal. Im März 2011 verhängte die Regierung sogar das Kriegsrecht. Menschenrechtsorganisationen sprechen von über 80 Opfern und hunderten, wenn nicht tausenden Demonstranten, die in den Gefängnissen der Sicherheitskräfte ausharren.

 

Keine gute Werbung für die Golfmonarchie und ihr Königshaus. »Wer auf die Straße geht, mit der Flagge in der Hand, und Demokratie einfordert, riskiert hier sein Leben«, beschrieb die bahrainische Aktivistin Zainab al-Khawaja die damalige Situation in der New York Times. »Wer ›Nieder mit dem Diktator!‹ ruft, dem drohen Elektroschocks. Wer eine Rede über Menschenrechte und Demokratie hält, kann lebenslang im Gefängnis landen. Kinder sind hier gestorben, weil sie nach dem Tränengaseinsatz der Polizei erstickt sind. Und demonstrierende Teenager sind verletzt und getötet worden.« Al-Khawaja hatte bereits mehrfach mit der Polizei Bahrains zu tun gehabt und weiß, wovon sie spricht.

 

Geht der saudisch-iranische Gegensatz auf Kosten Bahrains?

 

Der Funke der Revolution war im Februar 2011 auf Bahrain übergesprungen, als am 14. jenes Monats erstmalig über 15.000 Demonstranten auf dem »Lulu-Platz« (»Lulu«, arabisch: »Perle«) der bahrainischen Hauptstadt Manama gegen die sunnitischen Machthaber aufbegehrten. Damit begann die Revolte in Bahrain drei Tage vor der in Libyen und einen Monat vor dem Bürgerkrieg in Syrien.

 

Die Protestierenden, mehrheitlich Angehörige der schiitischen Glaubensrichtung, hielten den zentralen Ort – wie auch die Ägypter ihren Tahrir-Platz in Kairo – bis zur Räumung durch die Polizei drei Tage später besetzt. Nicht allein aus Angst vor einer demokratischen Öffnung des Landes, sondern vor allem gegenüber einem möglichen Einflussgewinn des schiitischen Irans betrachten die Nachbarn Bahrains die Situation seither mit Argusaugen.

 

Genau dieser Faktor macht neben dem Ölreichtum der Region die Lage auf der Insel im Arabischen Golf auch für die Weltgemeinschaft interessant. Heute scheint die Revolte aber, zumindest in der westlichen Presse, vergessen. Maßgeblichen Anteil an ihrer Niederschlagung hatte auch der sunnitische Hegemon der Region, Saudi-Arabien, hatte das Nachbarland doch am 14. März 2011 über 4.000 Soldaten seiner Nationalgarde entsandt, um den bedrängten König Hamad zu unterstützen. Letzterer hatte damals seine Partner im Golf-Kooperationsrat um Hilfe gebeten.

 

Europäer und Amerikaner stimmten der Intervention insgeheim zu. Sie, wie auch die Golfstaaten, sahen das militärische Eingreifen als Schutz gegen einen iranisch-schiitischen Machtgewinn in der ölreichen Region. Als Stützpunkt und Hauptquartier der 5. US-Flotte ist Bahrain von großer strategischer Bedeutung. Von hier aus sichern die Amerikaner die Straße von Hormuz, die den Indischen Ozean mit dem Gewässer verbindet, welches die Iraner »Persischer Golf« nennen, alle übrigen Anrainer »Arabischer Golf«.

 

Ein Übergreifen der Proteste auf den Nachbarstaat wäre ein Horrorszenario für die Familie Al Saud

 

Der Inselstaat Bahrain befindet sich geografisch gesehen nur 200 Kilometer entfernt vom Iran. Saudi-Arabien widersetzt sich quasi naturgemäß jeglichem iranischen Einflussgewinn. Darüber hinaus befürchtet Riad, dass ein »Umfallen« Bahrains auch negative Auswirkungen auf die schiitische Minderheit im eigenen Land haben könnte. Besonders im ölreichen Osten des Wüstenstaats bilden Schiiten die bevölkerungsstärkste Gruppe.

 

Ein Übergreifen der Proteste von den 33 Inseln Bahrains auf die Ostprovinz Saudi-Arabiens wäre ein Horrorszenario für die herrschende Familie Al Saud. Auch die Aussicht auf eine mögliche Demokratie in Bahrain stößt nicht gerade auf Jubelgesänge in Riad. Auch wenn die Weltpresse weitgehend von politisch-religiösen Gründen der schiitischen Revolte im ehemaligen »Perlenparadies« spricht, betont die Opposition den sozialen Charakter ihrer Ziele.

 

Sie wehrt sich gegen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskriminierung durch die sunnitischen Machthaber. Die herrschende Klasse profitiert hauptsächlich von den Ölmilliarden, während die Bevölkerungsmehrheit so gut wie leer ausgeht. Unter den Schiiten herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, sie werden systematisch vom öffentlichen Dienst und der Armee ausgeschlossen.

 

Die Regierung begünstigt zudem offensiv ausländische Gastarbeiter, zumeist Sunniten, aber auch Hindus, die seit den 1970er Jahren besonders in der Ölindustrie beschäftigt sind. Diese erhalten dann auch schnell die bahrainische Staatsangehörigkeit. Fast schon ließe sich eine geplante Verschiebung der demografischen Verhältnisse zwischen den Glaubensrichtungen vermuten. In dem Aufstand geht es also nicht, wie auf den ersten Blick zu denken, allein um Religion, sondern um soziale Ziele wie Freiheit und Gleichberechtigung.

 

Auch viele Sunniten nehmen an den Protesten teil. Vor zwei Jahren propagierten die Demonstranten sogar: »Keine Schiiten, keine Sunniten – nur Bahrainer!« Bahrain ist zwar wohlhabend, aber die 1932 entdeckten Gas- und Ölvorkommen werden voraussichtlich in den nächsten 20 Jahren versiegen. Daher liberalisiert die Regierung die Wirtschaft und wandelt das Königreich zu einem Dienstleistungszentrum um. Schwerpunkt ist dabei der Bankensektor.

 

Nachbar Saudi-Arabien ist der Haupthandelspartner und die Arabische Halbinsel durch den »King Fahd Causeway« mit dem Inselstaat verbunden. Auf politischer Ebene muss man konstatieren, dass in Bahrain schon länger ein Hauch von Demokratie weht, weit stärker als in Saudi-Arabien etwa. Seit 2002 finden regelmäßig Parlamentswahlen statt. Frauen erhielten damals ebenfalls das Wahlrecht.

 

Die stärkste Oppositionspartei, »Wefaq«, konnte 2010 sogar 64 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Dennoch reichte das Ergebnis aufgrund der für die Opposition »ungünstigen« Wahlkreiseinteilung lediglich für 16 von 40 Mandaten in der Volksvertretung. Die königliche Familie dominiert weiterhin die entscheidenden Ministerien; der König ernennt sowohl die Regierung als auch die Mitglieder des Oberhauses. Auch das Parlament kann er jederzeit auflösen und Neuwahlen ansetzen.

 

Regierungschef ist seit 40 Jahren der Onkel des Herrschers. Darüber hinaus sitzen acht weitere Familienangehörige im Kabinett. »Wefaq« und ihr Führer, Scheich Ali Salman, fordern eine konstitutionelle Monarchie, in der das Parlament die Exekutive bestimmt. Bis zu einer echten Demokratie ist es für Bahrain also noch ein sehr langer Weg. Das unterstreicht auch die Menschenrechtssituation in Bahrain.

 

So hob ein Gericht im März 2013 in zweiter Instanz einen Freispruch für Aktivistin Zainab al-Khawaja auf. Die Tochter des zu lebenslanger Haft verurteilten Abdulhadi al-Khawaja muss nun für drei Monate wegen Beleidigung eines Staatsbediensteten ins Gefängnis. Ihr Vater hatte 2002 das mittlerweile verbotene, aber immer noch aktive »Bahrain Center for Human Rights« gegründet. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen klagt weiter unrechtmäßige Verhaftungen an, welche oft auf durch Folter erzwungenen Aussagen beruhen.

 

Timoneys »Miami-Modell« gefällt König Hamad

 

Anfang 2013 suchte die Regierung den Dialog mit der »legalen« Opposition. Eine zunächst sehr bescheidene Annäherung, da das 2011 verhängte Kriegsrecht weiter in Kraft bleibt. Der Arabische Frühling ist damit auch in Bahrain noch nicht vorbei. Zum zweiten Jahrestag der Unruhen gingen am 14. Februar 2013 wieder Tausende auf die Straßen. Zusammenstöße mit der Staatsmacht forderten erneut Tote – auch auf Seiten der Polizei.

 

Immer mehr junge und radikale Demonstranten mischen sich unter die Oppositionellen und erhöhen die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Und welche Rolle spielt dabei Polizeiberater John Timoney? Nach Unterschreiben seines Vertrages machte er sich, gemeinsam mit seinem Kollegen John Yates, einem vorigen stellvertretenden Polizeichef Londons, sofort an die Arbeit und drängte auf notwendige Reformen: So stellte das Königreich weitere 500 Beamten ein, installierte Videokameras in den Polizeistationen, um Missbrauch zu verhindern, und gestaltete den Untersuchungsprozess neu.

 

Die Polizei sollte nach einem neuen, moderateren Verhaltenskodex agieren. In seiner über 40-jährigen Dienstzeit hatte Timoney ein Polizeimodell entwickelt, das besonders das Einsatzverhalten der Ordnungshüter bei politischen Demonstrationen verbessert. Dabei sollen die Beamten unnötige Gewalt vermeiden, indem sie frühzeitig potentiell explosive Situationen bei Massenkundgebungen beenden und auf Deeskalation setzen.

 

In Bahrain lag das Hauptinteresse des vor 65 Jahren in Dublin geborenen Experten allerdings nicht darauf, Konfrontationen zu verhindern. Dem Philadelphia Inquirer erklärte Timoney, sein vorrangiges Ziel sei zu vermeiden, »dass die Polizei in den Sechs-Uhr-Nachrichten wild auf Demonstranten einschlagend zu sehen ist«. Andererseits verdeutlichte sein Einsatz bei Protesten gegen die »Free Trade Area of the two Americas«-Verhandlungen in Miami im November 2003 eindrucksvoll seine Durchsetzungsfähigkeit: Ein zeitlich begrenztes Versammlungsverbot, Schlagstock- und Tränengaseinsatz machten dem »Spuk« ein Ende – und das ohne großes Medienspektakel.

 

Das »Miami-Modell« schien König Hamad wohl ideal auch für Bahrain. Doch war der amerikanische Polizeiexperte wirklich erfolgreich? Heute, nach anderthalb Jahren Beratungstätigkeit, fällt seine Erfolgsbilanz sehr mager aus – so zumindest Menschenrechtler. »Die Menschenrechtsverletzungen dauern unvermindert an«, erklärt der US-Bürgerrechtsaktivist Kris Hermes in der Huffington Post. Auch Zainab al-Khawaja befand schon im Dezember 2012: »Die bahrainische Regierung glaubt, dass sie auf internationaler Ebene Immunität genießt. Sie verhält sich genauso wie zuvor.« Eine echte Verbesserung hat Timoney nicht erwirken können, so scheint es.

 

Der Berater Timoney konnte die »Polizeikräfte« bislang nicht in einen »Polizeidienst« verwandeln

 

Trotz offizieller Angaben der Behörden, keine politisch motivierten Verhaftungen durchzuführen, sieht die Realität anders aus. Im Mai dieses Jahres erhielten sechs Aktivisten einjährige Haftstrafen, weil sie sich per Twitter negativ über den König geäußert hatten. Drei weitere erhielten sechs Monate Gefängnis wegen »illegaler Versammlung«. Obwohl UN-Kontrollen durch die Obrigkeit nicht erlaubt und selbst Journalisten Visas verweigert wurden, gibt es immer noch ausreichende Hinweise auf Folter in bahrainischen Gefängnissen.

 

»Democracy Now!« berichtet, dass Bahrains Sicherheitskräfte seit Beginn der Proteste 87 Menschen getötet hätten, mehr als die Hälfte davon nach dem Dezember 2011, als Timoney seine Arbeit in Manama aufnahm. Selbst der höchst umstrittene, weil massive, Einsatz von Tränengas hat sich nicht vermindert und führte in den letzten beiden Jahren gemäß Amnesty International zu mindestens 13 Toten, drei davon während Timoneys »Beraterzeit«.

 

Seine Anweisungen, die Gaskanister nicht auf Kopfhöhe abzufeuern, schienen dann doch nicht jeden Polizisten erreicht zu haben. Der Berater Timoney konnte die »Polizeikräfte« bislang nicht in einen »Polizeidienst« verwandeln und hat somit sein persönlich gestecktes Ziel nicht erreicht – auch wenn es ihm anscheinend gelungen ist, bahrainisches Polizeivorgehen gegen Demonstranten aus der internationalen Presse weitgehend heraus zu halten.

 

Ob seine sicherlich gut gemeinten Verbesserungsmaßnahmen trotzdem auf mittlere und lange Sicht Früchte im Königreich Bahrain tragen, werden die kommenden Monate zeigen müssen. Der Westen und die Weltgemeinschaft halten sich mit der Kritik an den Menschenrechtsverletzungen des Regimes bewusst zurück. Trotz fortgesetzten brutalen Vorgehens gegen Demonstranten, Folter und einem zweifelhaften Rechtssystem drücken wir die Augen zu.

 

Wie auch in Ägypten oder Syrien befindet sich Bahrain in der scheinbaren Zwickmühle – stabile Diktatur oder chaotische Demokratie? Das Gespenst einer regionalen Vorherrschaft des schiitischen Iran am »Persischen Golf« drängt sich immer weiter in den Vordergrund und liefert eine willkommene Entschuldigung für die eigene Untätigkeit. Ob diese Passivität eine sowieso unaufhaltsame Entwicklung eher noch verschlimmert, werden die nächsten beiden Jahre von Demonstrationen auf dem Perlenplatz in Manama zeigen.


Heino Matzken hat an der Universität der Bundeswehr München und an der Staffordshire University Informatik studiert, zudem besitzt er einen PhD in »International Relations« der Bircham International University. Übernahme aus der Ausgabe 3/2013 des ADLAS – Magazin für Außen- und Sicherheitspolitik.

 

Von: 
Heino Matzken

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