Lesezeit: 7 Minuten
Lamya Kaddor nach ihrer Delegationsreise nach Saudi-Arabien

»Man war über meine Person irritiert«

Interview
Lamya Kaddor

Lamya Kaddor ist nach Saudi-Arabien gereist. Grüne Überzeugungen, emanzipierte Frau, ausgebildete Islamwissenschaftlerin: Für ihre Gesprächspartner vor Ort war die Begegnung nicht immer einfach, wie sie Asiem El-Difraoui erzählt.

zenith: Frau Kaddor, Sie sind zuletzt nach Saudi-Arabien gereist. Was haben Sie sich davon erhofft? Fürchten Sie nicht, mit Ihrer Reise dazu beigetragen zu haben, den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman weiter salonfähig zu machen?
Lamya Kaddor: Als zuständige Berichterstatterin für die Golfregion ist es meine Aufgabe, mir ein eigenes, detailliertes Bild zu machen. Ich war außerdem im Rahmen einer Delegationsreise der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe in der Golfregion, also gemeinsam mit Kollegen der anderen Fraktionen. Wir haben weder den Kronprinzen getroffen, noch glaube ich, dass ihn eine solche Delegationsreise legitimieren könnte. Der Auftragsmord an dem international geschätzten Journalisten Jamal Khashoggi in der Botschaft Saudi-Arabiens in Istanbul ist ein unfassbar grausamer Vorgang. Ich bin absolut dagegen, dass wir den Kronprinzen in Deutschland salonfähig machen. Das kann aber nicht heißen, dass wir den saudischen Menschen nicht zuhören sollten.
 
Was waren Ihre ersten Eindrücke, nachdem Sie in Saudi-Arabien ankamen?
Wenn man aus Katar nach Saudi-Arabien kommt, wie ich in diesem Fall, fällt einem zumindest äußerlich gleich auf, dass das Land völlig anders aussieht, dass die Moderne sozusagen nicht so eingezogen ist wie in Katar. Insgesamt ist mein Eindruck von der Reise sehr durchwachsen. Einerseits sieht man, dass es offensichtlich Bewegungen und eine gewisse Dynamik in dieser Gesellschaft gibt, fast schon eine Aufbruchstimmung herrscht. Wenn man aber genauer hinguckt, ist es so, dass gerade privilegierte Menschen, die den Staat oder dieses Königreich repräsentieren, wahrscheinlich am meisten von den Reformen profitieren dürften. Geht man auf die Straße und befasst sich mit »normalen« Menschen, die nicht unbedingt hochgebildet, weit gereist sind und elitär leben, wirkt es so, als käme bei ihnen von den Veränderungen nur wenig an.
 
Wie wurden Sie als Frau behandelt?
Ich bin mit bestimmten Vorstellungen eingereist und wusste natürlich, dass es auf dem Papier Reformen im Bereich der Frauenrechte gab. Ich war neugierig, wie man auf mich reagiert, gerade auch als muslimische Frau. Und ich muss sagen, dass der Umgang mit mir immer sehr höflich und freundlich gewesen ist. Ich fühlte mich zu keiner Zeit auch in der Öffentlichkeit belästigt oder unangenehm berührt, wie ich das aus einigen anderen arabischen Ländern durchaus kenne, wo man stiekum angequatscht wird, Stichwort: Catcalling, oder sogar angefasst wird. In Saudi-Arabien war es nicht nur im Umgang mit Offiziellen anders, das ist aber auch selbstverständlich, sondern tatsächlich auch auf der Straße, wenn ich allein unterwegs war. Das war überraschend angenehm, muss ich sagen. Mein Eindruck war, dass ich mich freier bewegen konnte als gedacht. Aber natürlich sieht das auf der rechtlich-politischen Ebene für saudische Frauen anders aus.
 

Ich habe die Hoffnung, dass diese Entwicklung weitergeht

Wie steht es um die saudischen Frauen?
Als ich beispielsweise auswärts essen war, habe ich beobachten können, was junge Menschen machen, wie sie reden. Dabei fiel mir eine kleine Gruppe junger Frauen auf, achtzehn bis fünfundzwanzig Jahre alt. Niemand von ihnen trug ein Kopftuch, und im Umgang miteinander wirkten sie ziemlich unbeschwert. Wie repräsentativ sie sind, kann ich nicht sagen. Um sie herum saßen jedenfalls nur Frauen mit Niqab. Vereinzelt habe ich Frauen Auto fahren gesehen, was bekanntlich bis vor Kurzem noch verboten war.
 
Auch unter jüngeren Frauen mit Schleier herrscht Aufbruchsstimmung, die sie einem immer wieder versuchen nahezulegen, indem sie auf die Vision 2030 verweisen (Anm. d. Redaktion: ein ehrgeiziges Modernisierungsprogramm des Kronprinzen). Offensichtlich hat MBS, also Mohammed Bin Salman, es geschafft, diese Stimmung auf viele junge Menschen ein Stück weit zu übertragen, viel Hoffnung auf ihn zu legen. Ich konnte einige Frauen befragen, die das Kopftuch abgelegt hatten, und sie sagten, na ja, sie finden den saudischen Kronprinzen eigentlich ganz toll. Und als ich sie auf den Mord an Khashoggi ansprach, haben sie relativiert und gesagt »Er ist nicht perfekt, aber …« – das war die Antwort.
 
Also?
Es ist in jedem Fall gut zu sehen, dass Frauen die neu gewährten Freiheiten nutzen, um zu reisen, zu studieren, ihren Hobbys nachzugehen oder zu arbeiten. Frauen wie Männer nutzen die kulturelle Öffnung und gehen ins Kino, auf Konzerte und auf Partys. Und nicht zu vergessen, wie in allen autoritären Staaten schaffen sie es auch in Saudi-Arabien trotz aller verbliebenen Restriktionen teils im Verborgenen noch ein Stückchen mehr Freiheit zu leben. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass diese Entwicklung weitergeht, wenn die saudischen Frauen weiterhin ihre Rechte einfordern und ihre Stimmen erheben. Letztlich brauchen sie echte Gleichberechtigung. Saudi-Arabien ist nach wie vor ein Land, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in dem es politische Gefangene gibt.
 
Könnten Sie mehr zu den Menschenrechten sagen?
Jedes Jahr werden Dutzende Todesurteile vollstreckt. Kritische Journalist*innen werden eingesperrt oder sogar umgebracht. Menschen aus der LGBTIQ-Community drohen hohe Strafen und Frauen sind, trotz der Verbesserungen in punkto Selbstbestimmung oder Reisefreiheit, gesellschaftlich und rechtlich eindeutig schlechter gestellt als Männer. So bestehen etwa im religiös geprägten Erb- und Familienrecht weiterhin erhebliche Benachteiligungen. Solange das Königreich als Grundlage seiner Herrschaft Gewalt und Unterdrückung einsetzt, ist und bleibt es ein höchst problematisches Regime.
 
Konnten Sie die Verletzung der Menschenrechte ansprechen?
Ja. Ich konnte zum Beispiel den Fall Raif Badawi ansprechen. Der regimekritische Blogger wurde 2014 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zwar durfte er dieses Jahr das Gefängnis verlassen, er hat aber trotzdem noch zehn Jahre Reiseverbot und darf seine Familie in Kanada nicht besuchen. Dazu hieß es dann, nur der Kronprinz oder der König selbst seien in der Lage, ihn zu begnadigen und ihm die Strafe zu erlassen. Sonst könne das niemand. Punkt.
 
Wie haben die Saudis generell auf Ihre Kritik reagiert?
Zunächst waren sie schon allein über meine Person irritiert. Sie wussten, dass ich eine deutsche Abgeordnete bin. Dann merkten sie nach und nach, dass ich Arabisch spreche, Muslima bin und zu allem Überfluss auch noch Islamwissenschafterin. Sie konnten mich nicht zuordnen, und wussten teils nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Einigen musste ich erstmal erklären, wie jemand wie ich in Deutschland überhaupt möglich ist. Und dass eine Muslima mit arabischen Wurzeln Männern gegenüber öffentlich den Mund aufmacht, war vor allem für einige Funktionsträger doch zumindest gewöhnungsbedürftig. So erschien es mir jedenfalls.
 
Welches Gespräch blieb Ihnen besonders im Gedächtnis?
Das Treffen mit einem Human Rights and Dialogue Centre. Dort erklärte man uns, es würden »unabhängige Studien und Forschungen« gemacht. Ich fragte, worum es da gehen würde. Die Antwort: Zufriedenheit in der Gesellschaft und Geschlechtergleichheit. Ihr propagiert also die Gleichheit der Geschlechter, fragte ich. Die Antwort lautete: Ja. Dann bat ich sie, mir zu erklären, warum ein Mann heute noch vier Frauen heiraten dürfe und das andersrum nicht gehe. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie saudische Männer auf so eine Frage reagieren, wenn die von einer Frau kommt. Es folgte ein Schlagabtausch. Am Ende drohte das Gespräch zu eskalieren, woraufhin ich zu verstehen gab, dass die Diskussion für mich an dieser Stelle beendet sei. Solch Situationen bleiben im Gedächtnis.
 

Bei manchen Punkten war es besonders wirksam, dass etwas von einer Frau kam

Wie sollten wir generell mit einem modernisierenden, aber immer auch autoritäreren Herrscher umgehen? Drohen wir nicht, wie es bereits bei Russland der Fall war, wirtschaftlich abhängig von Autokraten zu werden?
Wenn wir globale Herausforderungen wie den Klimawandel und die Energiekrise bewältigen wollen, wenn wir Menschenrechte stärken wollen, dann müssen wir eben auch mit schwierigen Regierungen sprechen – und teilweise kooperieren. Wir werden solche Probleme nicht nur im schrumpfenden Kreis der Demokratien lösen können. Deshalb ist das Gespräch mit Autokratien auf verschiedenen Ebenen nötig und wichtig. Wir dürfen dabei nur nicht blauäugig sein und müssen unsere Abhängigkeiten von ihnen reduzieren, indem wir beim Thema Energie voll auf Diversifizierung setzen. Das ist unabdingbar für ein zukunftsfähiges Europa. Es gilt, in Gesprächen klare Worte gegen Menschenrechtsvergehen zu finden und sich für inhaftierte Journalist*innen oder Menschenrechtsverteidiger*innen einzusetzen. Ich habe es auf dieser Reise mehrfach versucht. Und auch meine Kollegen haben sich nicht zurückgehalten. Bei manchen Punkten war es besonders wirksam, dass etwas von einer Frau kam – ich ja war bei vielen Terminen die einzige Frau im Raum. Es gibt viele Stolpersteine auf dem Weg, keine Frage. In der Golfregion haben wir leider kaum einfache Partner.
 
Wie ist zu rechtfertigen, dass Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gegen Öl und Gas genehmigt wurden, insbesondere angesichts von vermutlichen saudischen Kriegsverbrechen im Jemen?
Meine Partei hat sich seit Jahren mit diesem komplexen Thema beschäftigt und wir haben auf dem letzten Parteitag um eine gute Position gerungen wie sonst niemand, glaube ich. Außenministerin Annalena Baerbock hat die kürzlich genehmigten Zulieferungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien –auch wenn sie aus Gründen der Vertragstreue und Europäischen Bündnissolidarität nötig sind – als sehr schwierig bezeichnet. Nur: Wir Grüne haben uns die Beschlüsse dazu innerhalb der NATO-Partner nicht ausgedacht. Das ist gelebte Bündnistreue gegenüber den Franzosen.
 
Außenpolitik ist Interessenpolitik und unser Interesse ist es, Menschenrechte durchzusetzen. Daher arbeiten wir mit Nachdruck daran, dass es möglichst keine neuen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien geben wird - zumindest so lange Saudi-Arabien am Jemenkrieg beteiligt ist. Robert Habeck arbeitet in seinem Haus ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz aus. Allerdings müssen wir auch auf europäischer Ebene zu einer einheitlichen Regelung bei Rüstungsexporten kommen. Zugleich müssen wir erkennen, dass sich in Saudi-Arabien Dinge zu ändern scheinen. Seit kurzem setzt man sich dort auch konstruktiver für Friedensverhandlungen im Jemen ein. Trotz der Anfang Oktober ausgelaufenen Waffenruhe wurden zunächst keine neuen Luftangriffe gestartet.
 
Und wie lautet Ihr Fazit, Frau Kaddor?
Die Lage ist durchwachsen. Begeistert kam ich definitiv nicht zurück. Ich habe meinem Team gesagt: Dieses Land lebte in der Finsternis, in absoluter Dunkelheit. Inzwischen kann man winzige Lichter sehen. Aus meiner Sicht, von außen, ist es in Saudi-Arabien immer noch sehr dunkel. Die Lichter müssen deutlich heller werden. Dafür braucht es weitere Unterstützung, etwa bei lokalen Bemühungen um den Aufbau einer echten Zivilgesellschaft. In einem autoritären und von Überwachung geprägten Kontext sind dem zivilgesellschaftlichen Engagement enge Grenzen gesetzt. Die Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheiten sind stark eingeschränkt, was der raschen Entwicklung einer pluralen und kritischen Zivilgesellschaft entgegensteht. Man kann aber in der Kunst, der Wissenschaft und auch in der Wirtschaft Gruppen und Menschen fördern, die sich vorsichtig für die Durchsetzung der Menschenrechte und Reformen einsetzen. Mit denen sollten wir arbeiten.

Von: 
Asiem El-Difraoui

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.