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Performance zum iranischen Neujahrsfest

Nouruz meets Dada

Feature

Am 20. März lud das Berliner Gorki-Studio ein, das iranische Neujahrsfest zu feiern: Die Performance »7Sin« und das Projekt »Guzu« boten Theater, Tanz und Musik – mehrsprachig, augenzwinkernd, vor allem aber sehr unterhaltsam.

Das Gorki-Studio ist brechend voll. Einige Zuschauer sitzen auf dem Boden. Andere stehen vor der Tür, als sich die sechs iranischstämmigen Künstler ihren Weg in den Raum bahnen und beginnen, ihnen die Hand zu geben und sie mit einem »Salam« zu begrüßen. Die zwei Frauen und vier Männer, alle Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig, bringen den Zuschauern etwas in kleinen Bechern zu trinken. Zeitgleich läuft kurdische Musik. Man hört Zurna (Schalmei) und Duhal (Rahmentrommel), wie sie im Iran beim Jahresübergang am Nouruz (wörtlich »Neuer Tag«) gespielt werden.

 

Dieser fällt mit dem Frühlingsbeginn am 20. beziehungsweise 21. März zusammen. Im Hintergrund, auf einer Leinwand, läuft zudem ein Video, das die Künstler bei der Anprobe der verschiedenfarbigen Hemden in einem Kaufhaus zeigt, die sie gerade tragen. Die Zuschauer sitzen wie in einem Amphitheater erhöht und um die Bühne herum, die sich allein durch die weiße Bodenfarbe vom Zuschauerraum abgrenzt. Die Bühne ist spärlich eingerichtet. Links stehen zwei rote Sessel um einen quadratisch geformten Tisch herum.

 

Rechts steht ein Pianino und dahinter ein kleiner Orangenbaum. Die Schauspieler Mehdi Moradpour und Aram Tafreshian nehmen in den Sesseln Platz und beginnen aus den vor ihnen liegenden Büchern zu lesen. Nacheinander und parallel auf Deutsch und Persisch: »Seehasensteak... Süßwasser-Seelachssalat«, »Sekkehye... Sorb-o... Sakineh... Sanfransisko«. »Sauerkirsch-Sereshk-Polo... Systemkonforme Systemkritik«.

 

Die Zuschauer amüsieren sich über die Alliterationen und Wortspiele. Die Schauspieler wechseln mehrfach Sprache und Tempo, ziehen an der neben ihnen stehenden Wasserpfeife und loben einander mit »Bah bah« (Sehr schön) und »Afarin« (Bravo). Die Alliteration ist eine Anspielung auf »Haft-Sin«. Diese steht für die sieben, im Persischen mit dem Buchstaben S beginnenden Elemente, mit denen zum iranischen, afghanischen und kurdischen Neujahr ein Tisch gedeckt wird: Sabzeh (Weizen-, Gersten- oder Linsensprossen; symbolisiert Wiedergeburt), Samanou (Pudding aus Weizen; Wohltat und Segen), Senjed (Mehlbeere; Saat des Lebens), Serkeh (Essig; Fröhlichkeit), Sib (Apfel; Schönheit und Gesundheit), Sir (Knoblauch; Schutz) und Somagh (Gewürzsomagh; Geschmack des Lebens).

 

»Systemkonforme Systemkritik«

 

Darüber hinaus können noch weitere Elemente wie Sonbol (Hyazinthe; Freundschaft) und Sekeh (Münze; Wohlstand) hinzukommen. So wie bei der Performance »7Sin« nach einem Konzept der deutsch-iranischen Choreografin Modjgan Hashemian. Der Nouruz-Abend im Gorki-Studio war Auftakt der Veranstaltungsreihe »Berlin Calling Teheran«, kuratiert von der Deutsch-Iranerin Bahareh Sharifi. Unter dem Titel »Fünf Jahre Grüne Bewegung – Where are we now?« sollte an den Folgetagen mit Referenten und dem Publikum über die Proteste von 2009 und ihre Folgen diskutiert werden.

 

Zum Auftakt stand aber das Feiern im Vordergrund. »Alle sieben Elemente [...] schnörkeln sich durch den Abend und spinnen die zeremoniellen Bräuche weiter. Dabei wird die Performance zur Aneinanderreihung und Assoziationskette dessen, wie sich eine sinnliche Erfahrung des Neujahrsfests künstlerisch denken lässt«, heißt es im kleinen Gorki-Heft über »7Sin«. Alle Teile der Performance gingen ineinander über. Nach dem »Duell« um die Alliterationen sehen die Zuschauer auf der Leinwand, wie Modjgan Hashemian per Skype angewählt und von den sechs Künstlern begrüßt wird.

 

Derweil beginnen Sara Mehr und Neda Navaee vierhändig Klavier zu spielen; schwungvolle und melancholische persische Melodien, begleitet von Jawad Salkhordeh auf der Tombak, einer hölzernen Bechertrommel, die mit den Händen gespielt und in der klassischen persischen Musik am häufigsten benutzt wird. Auf der Leinwand sieht man gleichzeitig Modjgan Hashemian zur Musik tanzen. Die Musik geht dabei über in ein mehrminütiges, das Tempo öfter wechselndes, sehr kunstvolles Solo von Jawad Salkhordeh auf dem Tombak.

 

Kaveh Ghaemi betritt die Bühne und zeigt Ausdruckstanz zur persischen Klavier- und Trommelmusik. Er läuft von der einen Seite der Bühne zur anderen, nähert sich dem Publikum, konzentriert sich dann wieder auf sich selbst und wälzt und kauert sich auf dem Boden wie zu einem Embryo. Der Dialog um die Alliterationen wiederholt sich. »Bah bah« und »Afarin« rufen die Schauspieler einander zu. Pianino und Tombak kommen erneut zum Einsatz.

 

Eine Tanzeinlage, diesmal von Elahe Moonesi, wird auf die schwarze Rückwand projiziert. Am Ende setzen sich die Schauspieler an den kleinen Tisch, singen gemeinsam und spielen das Geschicklichkeitsspiel »Jenga«, während wieder Wasserpfeife geraucht und auch kleine Mengen eines Pulvers – nicht Kokain, sondern Gewürzsomach – geschnupft werden.

 

»Dada Farsi meets Drum’n’Folk«

 

Im zweiten Teil des Abends geht es für die meisten wohl genauso ungewohnt und abwechslungsreich weiter. Das Projekt »Guzu«, eine vierköpfige deutsch-iranische Band, ist nach eigener Auskunft eine »postmoderne Absage an alle musikalischen Kategorien entlang geografischer Grenzen«. Sängerin und Geigerin Elmira Bahrami und die Band, bestehend aus Stephan Garin (E-Gitarre und Klavier), Dona Assisi (Tombak) und Sven Werner (Bass-Gitarre), vermischen dann auch Elemente verschiedenster Richtungen.

 

Popmusik und Jazz, Rap und Balkanbeats fließen bei ihnen mit traditioneller Musik aus dem Iran zusammen. Man hört Songs auf Persisch und Deutsch, aber auch auf Aserbaidschanisch und Kurdisch. Die Texte behandeln aktuelle deutsche Themen wie Flüchtlinge (»Sie kennen kein Erbarmen, kein Integrieren... Wir haben nichts zu verlieren«) oder Modeerscheinungen im Iran (»Ich habe die Nase von meinem Vater geerbt, darum muss ich sie operieren lassen«). Bahrami unterstreicht die Inhalte nicht nur durch ihre ausdrucksstarke, mitunter witzige Gestik und Mimik, sondern tanzt auch dazu, reißt die Zuhörer mit und animiert sie, es ihr gleich zu tun.

 

»Dada Farsi meets Drum’n’Folk« nennt das Projekt »Guzu« seine Musik. Das Dadaistische, das Unerwartete und Unvorhersehbare, gilt gleichermaßen für beide Teile des Abends. Mit ihren Anspielungen auf gesellschaftliche Probleme in Deutschland und dem Iran unterhielten und forderten die Schauspieler, Tänzer und Musiker ihre Zuschauer und Zuhörer heraus. Wer Deutsch und Persisch konnte, war klar im Vorteil, konnte er doch die Wortspiele in beiden Sprachen verstehen und in Kontext setzen.

 

Vom großen Talent der Künstler war man aber auch so beeindruckt. Ernst und Heiterkeit, Tempo und Langsamkeit in Wort, Musik und Tanz wechselten einander gekonnt ab, so dass eine neue »sinnliche Erfahrung des Neujahrsfests« durch die Verknüpfung der verschiedenen Künste an diesem Abend möglich wurde. »Afarin«.

Von: 
Behrang Samsami

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