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Neues jordanisches Kabinett

Antreten zum Stillstand

Analyse

Die Zusammensetzung des neuen jordanischen Kabinetts zeigt, dass König Abdullah II. und Premier Ensour den Schwerpunkt auf die Wirtschaft und die innere Sicherheit legen – der politische Reformprozess hat das Nachsehen.

»Der König liebt es, die Leute zu überraschen«, erklärte ein jordanischer Politikwissenschaftler kürzlich mit Blick auf die mögliche Zusammensetzung der neuen Regierung. Als Premierminister Abdullah Ensour schließlich die Namen der Mitglieder des 98. jordanischen Kabinetts verkündete, hielt sich die Überraschung in Grenzen. Nach mehr als zwei Monaten, in denen um die Person des Premiers und die Namen der Minister verhandelt worden war, hatten die Jordanier ungeduldig auf die Ergebnisse gewartet. Das Interesse erlosch jedoch schnell wieder.

 

Die vergangenen zehn Monate hatten für die Jordanier eine enttäuschende Wahlrechtsreform, einen fragwürdigen Wählerregistrierungsprozess und einen Wahltag mit sich gebracht, den man wohlwollend als Verbesserung im Vergleich zum letzten Mal bezeichnen kann. Entsprechend gering fielen die Erwartungen aus, die dem neuen Parlament und der neuen Regierung entgegengebracht wurden. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat und seinen Institutionen bleibt weiterhin stark ausgeprägt – trotz der öffentlich verkündeten Bemühungen des Königs, den »Übergang zu einer parlamentarischen Regierung« anzustoßen.

 

Seit Dezember 2012 hat König Abdullah II. drei sogenannte Diskussionspapiere veröffentlicht, in denen er für demokratische Reformen wirbt. Die Papiere wurden in den jordanischen Medien aufgegriffen – dass sie eine öffentliche Debatte entfacht hätten, wäre allerdings stark übertrieben. »Wir haben den Eindruck, dass diese Papiere eine Botschaft an den Westen senden sollten und sich nicht unbedingt an eine jordanische Zielgruppe richteten«, konstatiert ein Zivilgesellschaftsaktivist und fordert: »Die Agenda für politische Reform sollte nicht vom Monarchen bestimmt, sondern vom Parlament gestaltet werden.«

 

Die Mehrheitskoalition solle die Regierung bilden und der Premierminister sowie sein Kabinett sollten vom Parlament bestimmt werden – so wird es in den Diskussionspapieren gefordert. König Abdullah gesteht zwar ein, dass dieser Prozess sich über mehrere Legislaturperioden hinweg entwickeln muss, gegenwärtig scheint es aber, als sei dieses Vorhaben bereits jetzt zum Scheitern verurteilt.

 

»Wir haben bei der Bildung einer parlamentarischen Regierung versagt«

 

Mit der Begründung, dass ihre Empfehlungen von Premier Ensour nicht berücksichtigt worden seien, brachte die Mehrheit der Abgeordneten in der ersten Unterhaussitzung nach der Kabinettsbestimmung ihre Enttäuschung zum Ausdruck. Nach seiner Wiederernennung hatte Ensour drei Wochen lang mit allen parlamentarischen Blöcken beraten, bevor er die Namen der Minister verkündet hatte. Trotz der allgemeinen Unzufriedenheit im Parlament dürften die Abgeordneten der Regierung dennoch ihr Vertrauen aussprechen.

 

»Die Abstimmung wird durchgehen, aber vielleicht etwas externe Unterstützung benötigen« – das heißt von Seiten des Königshofs und des Geheimdienstes – verlautet es aus Reihen des Parlaments. Manche Parlamentarier zeigten sich durchaus selbstkritisch in der Analyse des Verhandlungsprozesses in den vergangenen Wochen: »Die Blöcke waren hilflos. Wir wussten nicht, was wir tun sollten«, gesteht ein Mitglied des Unterhauses. »Wir haben bei der Bildung einer parlamentarischen Regierung versagt. Diese Regierung unterscheidet sich in keinerlei Hinsicht von den vorherigen.«

 

Da es in Jordanien keine starken politischen Parteien gibt, schließen sich die Parlamentarier zu meist instabilen Blöcken zusammen. Die inhärente Schwäche des Parlaments wurde auch während der jüngsten Verhandlungen um die Bestimmung eines Premierministers offenkundig: Keiner der Blöcke war in der Lage, eine konsensfähige Alternative zu Ensour, der bereits die Interimsregierung seit Oktober 2012 geführt hatte, hervorzubringen. Eine heftige Kontroverse hatte die Frage entfacht, ob Abgeordnete Ministerposten erhalten sollten.

 

Letztlich entschied sich Premier Ensour dagegen: »Ich wollte nicht das Risiko eingehen, mir unbekannte Abgeordnete in meine Regierung aufzunehmen. Falls sie – aus welchem Grund auch immer – in ihrem Amt scheitern sollten, wäre die ganze parlamentarische Regierung in Frage gestellt.« Ensour verkündete jedoch, dass eventuell in den kommenden Monaten Parlamentarier in das Kabinett mit aufgenommen würden.

 

Eine »Weiße Revolution«?

 

In seiner Eröffnungsrede zum 17. Parlament forderte Abdullah II. eine »Weiße Revolution« – eine Technokratenregierung, die Qualität, Effizienz und Transparenz der Dienstleistungen für die Bürger gewährleisten soll. Einige der Personalentscheidungen für das neue Kabinett lassen einen ersten Schritt in diese Richtung erkennen: Die Ministerin für Soziale Entwicklung, Reem Abu Hassan, und Energieminister Malik Kaberiti sind beide ausgewiesene Experten in ihren Bereichen. Anders als bisher spielten Stammeszugehörigkeit und geographische Kriterien bei der Postenbesetzung dieses Mal eine untergeordnete Rolle.

 

Die Tatsache, dass drei Ökonomen im Kabinett vertreten sind, lässt hoffen, dass sich Jordanien den drängenden wirtschaftlichen Problemen stellen wird. Der berufliche Hintergrund der drei Minister deutet jedoch darauf hin, dass die jordanischen Bemühungen auch zukünftig von einer dezidiert neoliberalen Agenda gekennzeichnet sein werden und den sozialen Auswirkungen wenig Beachtung geschenkt wird. Mit Blick auf die Kreditverhandlungen Jordaniens mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ist es sicherlich hilfreich, dass der neue Minister für Planung und Internationale Kooperation, Ibrahim Saif, bereits sowohl für den IWF als auch für die Weltbank gearbeitet hat.

 

Trotz der scharfen Kritik, die Ensour angesichts seines rein männlich besetzten Vorgängerkabinetts von Frauenrechtsgruppen zu hören bekommen hatte, sind auf diesem Gebiet mit der Ernennung einer einzigen Ministerin kaum Fortschritte zu verzeichnen. Obwohl die Wiederernennung des erfahrenen Außenministers Nasser Judeh für kaum jemanden als Überraschung gekommen sein durfte, verstärkt sie doch das Misstrauen der Bevölkerung mit Blick auf den Auswahlprozess. Judeh hatte im Januar eine Welle der Entrüstung losgetreten, als durchgesickert war, dass er dem estnischen Außenminister Urmas Paet versichert hatte, dass er, Judeh, noch für mindestens acht Jahre im Amt bleiben würde.

 

Da waren’s nur noch 18

 

Mit nur 18 Ministern sowie dem Premier ist das neue Kabinett das kleinste seit 1967. Angesichts der Budgetschwierigkeiten, denen sich Jordanien gegenüber sieht, ist eine schlanke Regierung ist sicherlich begrüßenswert. Berechtigte Bedenken in Bezug auf die Effizienz des neuen Kabinetts sind dennoch angebracht – insbesondere mit Blick auf politische Reformen. Etliche Ministerien wurden zusammengelegt – teilweise bis zu drei Ressorts.

 

Obwohl diese Ressorts zu den kleineren zählen, löste die Übertragung dreier für die Umsetzung demokratischer Reformen essentieller Ministerien an einen Neuling mit geringer Erfahrung in politischer Verhandlungsführung auf höchster Ebene Verwunderung aus: Der Politikwissenschaftler und bisherige Leiter des »Jordan Media Institute« Mohammad Momani wird künftig für die Ressorts Medien und Kommunikation, Politische Entwicklung und Parlamentsangelegenheiten zuständig sein.

 

Generalmajor Hussein Majali, der bislang die Abteilung für Öffentliche Sicherheit leitete, steht nun dem wichtigen Innenministerium vor. Die Ernennung Majalis lässt eine nachvollziehbare Priorität im Bereich Innerer Sicherheit erkennen, stellt jedoch gleichzeitig die Mitwirkung dieses Ministeriums an der Gestaltung langfristiger politischer Reformen in Frage. Es kann davon ausgegangen werden, dass Budgetzwänge nicht der einzige oder sogar der Hauptgrund für die Kabinettsverkleinerung waren.

 

Sobald die Liste der Regierungsmitglieder veröffentlicht war, verkündete Premier Ensour, dass die Kabinettszusammensetzung sich bereits im November wieder ändern würde. Dabei ließ er bewusst offen, ob es dabei um das Hinzufügen oder den Austausch von Ministern ginge. Angesichts der bevorstehenden Parlamentsabstimmung über das Kabinett ein kluger Schachzug des Premierministers: Durch Aussicht auf zukünftige Ministerposten für Abgeordnete dürfte er seinem Kabinett die Stimme eines manchen Abgeordneten sichern.

 

Allerdings dient diese Strategie wohl kaum dazu, die gegenwärtigen Minister zu motivieren, Zeit und Energie in Langzeitprojekte zu investieren – schließlich könnten ihre Köpfe bereits in wenigen Monaten wieder rollen, um Platz für neue Gesichter zu machen. Zweifelsohne sind Wachstum, Budgetkonsolidierung und innere Sicherheit drängende Kernaufgaben für Jordanien. Politische Reformen sind allerdings kein Selbstläufer.

 

Wenn es die Regierung ernst meint mit der Erneuerung des Wahlrechts, der Stärkung der Rolle des Parlaments und der Förderung von politischen Parteien, dann bedarf es von Anfang an einer klaren Strategie und einer handfesten Agenda. Diese Aufgaben können nicht über Nacht gelöst werden – umso weniger in Anbetracht der Tatsache, dass die nächsten Kommunalwahlen bereits im Herbst anstehen. Der Aufbau starker politischer Parteien und umfassender politischer Partizipation erfordern einen kontinuierlichen Einsatz über mehrere Jahre. Die Ideen, die in den Diskussionspapieren des Königs vorgestellt worden sind, verdienen Anerkennung. Wenn sie umgesetzt werden sollen, müssen sich das Parlament und die relevanten Ministerien in den kommenden Wochen auf einen tragfähigen Fahrplan einigen.


Anja Wehler-Schöck ist Leiterin des Jordanien- und Irak-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman.

Von: 
Robert Chatterjee

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