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Musiker Cymin Samawatie und Ketan Bhatti im Interview

»Der Ramadan ist eine Energiequelle«

Interview

Mit einem Multi-Instrumentalisten, der keine Noten liest, aber alle Töne nachspielen kann, und vielen weiteren Musikern wollen Cymin Samawatie und Ketan Bhatti während der »Nächte des Ramadan« Berlin mit ihrer experimentellen Musik betören.

zenith: Warum beteiligen Sie sich an einem Festival zum Ramadan? Was bedeutet Ihnen der Fastenmonat?

Cymin Samawatie: Ich habe mich durch die Veranstaltung vor zwei Jahren erstmals mit dem Ramadan beschäftigt. Bis heute beobachte ich Menschen, die mit dem Fastenmonat etwas sehr Persönliches verbinden. Sie haben eine andere Form von Energie. Mir gefällt es, ein Festival in diesem Kontext in Berlin zu veranstalten. Denn es verbindet Kulturen, es zeigt, dass wir hier in einer bunten Stadt leben, die aus ganz unterschiedlichen Menschen besteht.

 

Und als Künstlerin?

Cymin Samawatie: Für mich als Künstlerin sind der Ramadan und die Menschen, die im Glauben diesen Fastenmonat begehen, eine Energiequelle. Interessanterweise entsteht diese Energie aus der Beschäftigung mit dem Thema Verzicht, das ein prägendes Thema des Fastens ist. Das führt zu einer entscheidenden Veränderung des Fokus.

 

Inwiefern?

Cymin Samawatie: Ich verzichte nicht nur um des Verzichten willens, sondern ich nehme etwas aus dem Leben, um etwas anderes, neues hineingeben zu können. Das kann der Fokus auf das Wesentliche oder Übernatürliche – auf Gott – sein. Ich denke, das ist wiederum ein Aspekt, der Menschen kultur- und religionsübergreifend verbindet und von dem wir manchmal mehr gebrauchen könnten.


Cymin Samawatie

wurde 1976 als Tochter iranischer Einwanderer Deutschland geboren. Nach Klassikstudium und Jazzausbildung begann ihre Karriere mit der Gründung des Quartetts Cyminology (ECM). Sie arbeitet mit Künstlern wie Bobby McFerrin und Musikern der Berliner Philharmoniker zusammen und widmet sich musikalisch u.a. der interkulturellen Arbeit mit Jugendlichen. 


 
2011 haben Sie beim Festival »Die Nächte des Ramadan« eine Komposition aufgeführt, bei der Sie persische, arabische und hebräische Verse unter anderem aus Koran und Tora vertonten. Dieses Jahr komponieren Sie gemeinsam mit Ketan Bhatti aus ihrem Ensemble »Cyminology« ein neues Werk. Was haben Sie dieses Mal vor?

Cymin Samawatie: Vor zwei Jahren haben wir mit acht Musikern gespielt, dieses Jahr werden wir doppelt so viele sein. Ketan Bhatti: Alle Musiker, die jetzt dabei sind, bringen unterschiedliche Hintergründe, Stilrichtungen und verschiedenste Instrumente in das Projekt mit ein. Es sind Menschen aus Europa und aus dem Nahen Osten bis nach Asien involviert. Unsere Idee lässt sich recht simpel in einem einen Satz fassen: Wir wollen einen eigenen Klangkörper erschaffen, der sich an einer originären Tonsprache versucht. Dabei hilft diese Methode ganz wunderbar. Cymin Samawatie: Wir verstehen das Vorhaben als Orchesterprojekt, wobei wir mit ganz neuen Kompositionsmethoden experimentieren. Diese Methoden versuchen, der Vielfalt der Beteiligten gerecht zu werden und sie bei der Entstehung der Stücke partizipieren zu lassen. Jeder hat eine individuelle Art im Umgang mit Musik, Klang und Improvisation. Es finden sich auch Elemente, die alle verbinden.

 

Welche Persönlichkeiten treffen bei dem Projekt aufeinander?

Cymin Samawatie: Es geht vom sibirischen Multi-Instrumentalisten, der mit türkischer Kavalla, der Duduk und der persischen Ney-Flöte mit einer erstaunlichen Virtuosität alles nachspielen kann, obwohl er keine Noten liest, bis zu Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Sie sind mit einer ganz anderen Welt verbunden. Es ist mir wichtig, einen Weg zu finden, all diese Extreme miteinander zu vereinen und sie mit ihren individuellen Haltungen einzubinden.

 

Was passiert mit der Komposition, wenn sowohl beim Live-Auftritt als auch beim Komponieren die Improvisation die Grundlage ist?

Cymin Samawatie: Sie wird für jeden einzelnen Musiker sehr viel persönlicher. Jeder gibt seine eigene Note mit hinein.

 

Was bedeutet das praktisch für Sie als Komponistin?

Ich bin am Ende nicht mehr Komponistin im absoluten Sinne, sondern moderiere Kompositionsabschnitte und arrangiere sie. Trotzdem suche ich die Passagen aus und entscheide mich für bestimmte Motive – am Ende wird also dennoch mein eigener Stil einfließen.

 

Warum machen Sie das?

Cymin Samawatie: Die Abwendung von diesem absoluten Sinn des Komponierens zu einem kollektiven Erarbeiten durch Improvisation ist etwas, das mich sehr reizt, denn ich möchte Grenzen aufweichen, synthetisieren und hybride Gemeinwerke schaffen. Ich möchte den spielenden Personen dadurch im Komponieren auch stärker gerecht werden und sie teilhabend einbeziehen. Bei 16 Musikern ist das in der Art also ein sehr spannender Prozess für mich.

 

Was wird inhaltlich in dem Stück passieren?

Cymin Samawatie: Wir wollen nah am Festivalgedanken der »Nächte des Ramadan« sein. Rabih Laoud wird arabisch singen. Er kommt aus dem Jazzbereich und ist auch in der klassischen Welt verwurzelt. Zudem ist mit Sveta Kundish eine jüdische Sängerin dabei, die in Tel Aviv groß geworden ist. Mir ist es wichtig, dass die hebräischen Texte von jemandem gesungen werden, der authentisch diese Kultur vertritt. Ich selbst werde die persischen Texte singen. Zusätzlich nutzen wir deutsche Texte von Goethe. Ketan Bhatti: Für mich war es bei den Proben beeindruckend, diese Sprachen, die an sich für so Vieles stehen – Kulturen, Konflikte, Religionen, Ästhetik – zunächst einmal additiv zueinander gebracht zu hören. Allein das bringt schon Dinge zusammen, die eine neue Spannung eröffnen. Aber der eigentliche Höhepunkt kommt erst, wenn die drei Sprachen parallel ertönen, also ein Chorgesang auf Hebräisch, Arabisch und Farsi gesungen wird. Das reizt eine sowohl ästhetische als auch provokative Dimension aus.


Ketan Bhatti

ist Schlagzeuger, Produzent und Komponist. Geboren 1981 in Neu Delhi, war er früh in der deutschen Jazz- und Hip Hop-Szene aktiv und studierte Jazz-Schlagzeug an der Universität der Künste Berlin. Er komponiert und produziert Musik für Theaterstücke. Seit 2010 ist er Stipendiat der neuen Graduiertenschule für die Künste und Wissenschaft der UdK Berlin. 


 
Ist das etwas Neues – oder eine weitere Dimension der so genannten »Weltmusik«?

Ketan Bhatti: Die meisten Projekte dieser Art bedienen Klischees der Kulturen. Wenn man an orientalische und exotische Instrumente denkt, dann assoziiert man sofort traditionelle Musik. Eine »Neue Musik« – ich meine das wirklich im Sinne der europäischen Tradition – scheint nicht möglich. Das, was wir mit dem »Diwan der Kontinente« vorhaben, ist deswegen auch eine Utopie von Musik. Wir versuchen zu einer experimentellen Musik zu gelangen, die sich jenseits von einer Art Weltmusik bewegt, die das Fremde im eigenen Raum lediglich zelebriert und zur Schau stellt. Cymin Samawatie: Der Charme und die Spannung entstehen, weil verschiedene Ideen, Menschen, Kulturen, Instrumente und Klangwelten aufeinandertreffen und so erwächst etwas, was so vorher und nachher nicht mehr entstehen kann. Vieles liegt also im Moment und das bindet das Stück an den Jazz, wo vieles im Moment entsteht.

 

Teil des Projekts ist auch ein Kompositions-Workshop mit Berliner Jugendlichen...

Cymin Samawatie: Wir werden mit 20 Jugendlichen aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zwei Tage lang zu den Themen Verzicht, Klage, Nacht und Stille arbeiten. Die Jugendlichen sollen selbst Texte mitbringen, die sie inspirieren. Das können Texte aus eigener Feder sein oder aus Gedichten, Hip-Hop-Songs, Zeitungen... Daraus sollen schließlich durch Improvisation mehrere kurze Werke entstehen.

 

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit solchen Workshops?

Cymin Samawatie: Ich hoffe auf Horizonterweiterung und die Begegnung mit dem Neuem. Das ist etwas, das ich mir für junge Musikerinnen und Musiker wünsche, die in Berlin durch ihre Kulturen beeinflusst sind. Ich möchte, dass sie sich nicht von diesen Kulturen abtrennen, aber auch nicht in ihnen stehen bleiben. Ich kann mit meinem Instrument, das hier nicht unbedingt typisch ist, die Kulturen, die ich hier finde, aufnehmen und mich mit ihnen verbinden. Ich kann mit Menschen zusammenspielen, die aus wiederum ganz anderen Kulturen kommen und entsprechende Instrumente beherrschen. Das ist das Potenzial, das Berlin besitzt. An diesem Ort kann so vieles wachsen durch die Freiheit, Kreativität und Freude, die Musikerinnen und Musiker finden können.


Diwan der Kontinente

7. August 2013, 21 Uhr 

Aufführung im Rahmen des Festivals »Die Nächte des Ramadan«

Heimathafen Neukölln

Von: 
Philip Geisler

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