Lesezeit: 7 Minuten
Mursi-Gegner in Ägypten

General statt Demokratie

Feature

Zum 40. Jahrestag der »Befreiung des Sinai« riefen die Mursi-Gegner zu einer weiteren Großkundgebung auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Die Verehrung des Militärs nahm dabei groteske Züge an. Doch auch kritische Stimmen mehren sich.

Es war eine gewöhnungsbedürftige Feier, mit der das Anti-Mursi-Lager am Freitag den gemäß des islamischen Kalenders 40. Jahrestag des »Oktoberkrieges« – auch als Ramadan- oder Jom-Kippur-Krieg bekannt – beging. Wieder versammelten sich Zehntausende auf dem Tahrir-Platz, wieder jubelten sie frenetisch den regelmäßig passierenden Militärhubschraubern zu. Zusätzlich zu den mittlerweile obligatorischen ägyptischen Flaggen warf ein Helikopter auch Geschenkgutscheine ab.

 

»Eine Aufmerksamkeit der Armee, anlässlich des vierzigsten Jahrestages des Ramadan-Kriegs« stand auf den Zetteln. Einige Demonstranten können sich nun auf ein »30-teiliges Gläser-Set« freuen. Dazu herzlichen Glückwunsch. Strenggenommen haben die ägyptischen Streitkräfte vor 40 Jahren weder einen Krieg gewonnen, noch den Sinai zurückerobert. Trotz beachtlicher ägyptischer Anfangserfolge standen die israelischen Streitkräfte am Ende des Konfliktes tief im ägyptischen Kernland.

 

Die Rückgabe des Sinai erfolgte erst Jahre später und hatte einen hohen Preis: Die Anerkennung Israels und die politische Bindung an die USA – beides nach wie vor eher unbeliebt im Land. Außerdem markiert sie den Beginn der amerikanischen Militärhilfe, die fast ein Viertel des ägyptischen Verteidigungshaushalts ausmacht.

 

Hauptsache Amerika ist schuld

 

Während die Protestierenden den amerikanisch finanzierten Hubschraubern zujubeln, bestimmen antiamerikanische Plakate das Bild am Tahrir. »Obama unterstützt Terrorismus« steht auf unzähligen Postern. Der amerikanische Präsident wird mit Hitlerbärtchen oder als »Obama bin Laden« mit entsprechender Bartpracht dargestellt. Viele Mursi-Gegner sind fest davon überzeugt, die USA hätten den Ex-Präsidenten ins Amt gehievt und bis zuletzt versucht ihn dort zu halten.

 

Interessanterweise sind Mursis Anhänger indessen fest davon überzeugt, die Vereinigten Staaten hätten den Militärputsch orchestriert. So unversöhnlich sich beide Lager auch gegenüberstehen, immerhin sind sie sich einig, dass Amerika Schuld ist. Nach einigen Auftritten ägyptischer Musiker betritt gegen 23 Uhr eine Militär-Blaskappelle die Bühne am Tahrir-Platz und beginnt, patriotische Lieder zum Besten zu geben. Die Massen stimmen begeistert mit ein.

 

Im Minutentakt unterbrechen weitere Helikopterüberflüge das musikalisch wenig ansprechende Spektakel. Es scheint fast, als trügen die Armeepiloten einen internen Wettkämpf aus, wer von ihnen am niedrigsten über die Menschenmassen fliegt. Nach jedem Lied entrichtet der Frontmann der Band militärische Grüße. Das Publikum grüßt zurück und intoniert die üblichen Sprechchöre wie »Armee und Volk sind eine Hand«. Oder einfach nur »Sisi, Sisi«.

 

Um Abdel-Fattah Sisi, den Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte, hat sich mittlerweile ein regelrechter Personenkult entwickelt. Sein Porträt ist in Kairo allgegenwärtig. Mursis Gegner verehren ihn für seine Entscheidung, den Präsidenten zu stürzen. Darüber hinaus ist über Ägyptens neuen starken Mann nicht viel bekannt. Während der Militärherrschaft nach der Revolution machte er vor allem durch seine Verteidigung der »Jungfräulichkeitstests« an weiblichen Demonstranten von sich Reden.

 

Seine Ernennung zum Oberbefehlshaber im vergangenen August war nicht unumstritten. Dem strenggläubigen Muslim, dessen Frau angeblich ihr Gesicht verschleiert, wurde eine zu große Nähe zu den Islamisten vorgeworfen. Davon ist nun keine Rede mehr – Sisi wird in eine Reihe mit Gamal Abdul Nasser gestellt, gilt gar als künftiger Präsidentschaftskandidat. Sein Sprecher wies Spekulationen über mögliche politische Ambitionen eher halbherzig zurück. Im Übergangskabinett ist er immerhin stellvertretender Premierminister. Und die meisten Menschen vor der Bühne mit den uniformierten Blechbläsern würden Sisi derzeit wohl wählen.

 

»Das Gedächtnis eines Goldfisches«

 

Die Bühne ist am Eingang zur Mohammad-Mahmoud-Straße aufgebaut. Die für ihre politischen Graffitis bekannte Straße wurde im November 2011 Schauplatz eines brutalen Massakers. Die damalige Reaktion der Sicherheitskräfte auf friedliche Proteste gegen die Militärherrschaft kostete mehr als 40 Demonstranten das Leben. Dutzende verloren ihr Augenlicht, weil Sicherheitskräfte absichtlich Gummigeschosse auf Augenhöhe feuerten.

 

Die gleichen Sicherheitskräfte schossen vor rund zwei Wochen auf eine Demonstration der Muslimbrüder, am Ende hatten die Islamisten mehr als 50 Tote zu beklagen. Die Beliebtheit des Militärs unter Mursis Gegnern beeinflusste das wenig. Auf Islamisten zu schießen, ist schließlich etwas ganz anderes. Doch langsam mehren sich prominente Stimmen, denen die Ehrerbietung für das Militär unheimlich wird. »Wir wiederholen die Fehler der Muslimbrüder«, schrieb der bekannte Satiriker und Moderator Bassem Youssef. »Es ist, als hätten wir das Gedächtnis eines Goldfisches.«

 

Youssefs Kritik lässt hoffen, er gehört zu den wichtigsten Meinungsführern Ägyptens. Sein ständiger Spott über die Muslimbrüder brachte ihn vor einigen Monaten fast ins Gefängnis. Über den Verdacht, mit den Islamisten zu sympathisieren, ist er daher erhaben. Denn diesem Verdacht setzt sich derzeit fast jeder aus, der es wagt, die Armee zu kritisieren. »Sie nennen uns Verräter und Handlanger der Muslimbrüder oder der Vereinigten Staaten«, sagt Wael Abbas, der über Jahre zu den prominentesten Kritikern des Mubarak-Regimes gehörte.

 

Eine echte Revolution sei erst erreicht, wenn das Militär seinen Einfluss verliert, schreibt Sarah Carr, eine ägyptisch-britische Bloggerin und Journalistin. Doch diese Revolution scheint in weiter Ferne. Die Streitkräfte konnten ihre Macht nach dem Ende des Mubarak-Regimes konsolidieren. In Artikel 195 der nun abgesetzten Verfassung ist festgelegt, dass das Militär seinen obersten Befehlshaber selbst bestimmt und dieser automatisch als Verteidigungsminister dem Kabinett angehört.

 

Es ist nicht zu erwarten, dass die nun mit der Überarbeitung der Verfassung eingesetzten Experten diesen Passus ändern. Die Streitkräfte unterliegen damit keiner zivilen Kontrolle – sie »kontrollieren« sich selbst. Und wie der 3. Juli gezeigt hat, kontrollieren sie im Zweifelsfall auch den Präsidenten.

Von: 
Ragnar Weilandt

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.