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Mittelklasse und Sanktionen in Iran

In die Arme des Regimes

Analyse

Misswirtschaft und Korruption machen Präsident Ahmadinejad zum Buhmann in der iranischen Wirtschaftsmisere. Doch entgegen den Erwartungen schwächt die Drohkulisse der Sanktionen die politisierte Mittelklasse – und stärkt das Regime.

Irgendetwas wurde hier aufgelöst: Die Anti-Krawall-Polizei mit ihren Batons und den mattschwarzen Motorrädern steht noch auf der Straße, links am Fotorand ziehen Rauchschwaden von einem brennenden Müllcontainer auf, am Horizont ist Nebel und dazwischen stehen Personen in ziviler Kleidung – Geheimdienstleute oder Basij-Milizen.

 

Wie man später liest, muss es auf einer der Straßen rund um den Großen Basar in Teheran zu Protesten und Zusammenstößen gekommen sein, sowie auf der Manuchehri- oder Ferdowsi-Straße, wo die Geldhändler stehen und sich die Wechselstuben befinden. Es gibt nur ein, zwei gute Fotos, Agenturfotos, die diese Augenblicke die Unruhe in der iranischen Hauptstadt Teheran einfangen.

 

Schlagartig wird man an die Demonstrationen nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 erinnert; und insgeheim hofft man, dass es wieder zu solch massiven Protesten gegen das Regime kommen könnte. Aber das ist ein Trugbild. Nach der Wiederwahl von Mahmud Ahmadinejad 2009 lösten die zahlreichen Belege für Wahlfälschungen eine Protestbewegung aus, die in der Geschichte der Islamischen Republik beispiellos war.

 

Noch Wochen nach den Wahlen am 13. Juni 2009 wankte die Republik unter den Protesten der »grünen Welle« des damaligen Reformkandidaten Mir-Hossein Mussawi, die die Straße politisierte und der sich massenhaft Reformanhänger anschlossen. Nach der scharfen Verurteilung der Proteste durch den Revolutionsführer Ali Khamenei knüppelten die Sicherheitskräfte die Demonstranten in blankem Zorn nieder. Faktisch hatte das Militär das Land für ein paar Monate übernommen, wie ein Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden später zugab.

 

Der Vergleich zu den Protesten von 2009 hinkt

 

Die Proteste am vergangenen Mittwochnachmittag haben mit denen von 2009 nichts zu tun. Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sie sich ausweiten könnten. Die Demonstranten trieb die wirtschaftliche Not und der Unmut über Misswirtschaft und Unfähigkeit der Regierung auf der Straße. Den Geldhändlern setzte der hohe Wertverlust des Rial sowie die immensen Preissteigerungen bei ausländischen Devisen zu.

 

Die »Basaris« mögen aus Verständnis, Solidarität oder Vorsicht ihre Läden geschlossen haben. Im Iran ist die Geschäftswelt eng verbunden mit dem konservativen-religiösen Establishment; vor allem die »Basaris« stehen traditionell loyal zum Klerus und zum Regime. Sie haben vor 1979 gegen die Diktatur des Schahs gekämpft und mit den Religionsgelehrten koaliert.

 

Mit der modernen Urbanität vieler Teheraner aus der Mittelschicht können sie wenig anfangen. In die Rufe nach Pluralismus und Freiheit haben sie auch 2009 nicht eingestimmt. Unter den »Basaaris«, die die Demonstrationen der vergangenen Woche unterstützten, war auch Habibollah Asgar-Ouladi. Der Kopf des islamistischen Netzwerks »Motalefeh« ist unter den Händlern ebenso einflussreich wie unter den »Prinzipalisten« – der politischen Rechten Irans, die das islamistische Milieu und die Nomenklatura vertreten und eine Rückkehr zu islamistisch-revolutionären Prinzipien anstreben.

 

Mit der religiös-militärischen Form des Regimes kommen sie überein, nicht mit der modernen Lebensweise und den Forderungen der Reformer, Intellektuellen, Gewerkschaftsaktivisten oder Studenten. Allerdings üben der Wertverlust des Rial, die instabile Wirtschaft und die internationalen Sanktionen einen enormen Druck auf die Bevölkerung aus.

 

Vor nicht mal einem Jahr entsprachen 15.500 Rial einem US-Dollar, Anfang Oktober waren es 38.500 Rial. Dazu kommen der externe Druck, die Subventionsreformen der Regierung, Missmanagement und Korruption. Gholam-Ali Haddad-Adel, der Ali Khamenei politisch berät und mit ihm auch familiär verbandelt ist, war deshalb um eine Beruhigung der Lage bemüht.

 

Der wirtschaftliche Druck sei auf »arrogante Mächte« zurückzuführen. Der Iran werde dem »psychologischen Krieg und der Verschwörung« dieser Mächte standhalten und die Wirtschaft wieder stabilisieren. Der konservative Parlamentssprecher Ali Larijani sagte gegenüber iranischen Medien, dass die Wirtschaftsprobleme zu »80 Prozent auf Fehler der Regierung Ahmadinejad und zu 20 Prozent auf die internationalen Sanktionen« zurückzuführen seien.

 

Die iranische Theokratie wird sich um die Belange ihrer Befürworter kümmern

 

Der Präsident sieht sich seit Monaten lautstarker Kritik aus den Reihen der Geistlichkeit, der Wirtschaft und der Technokratie ausgesetzt. Ahmadinejad ist der Buhmann in der Wirtschaftsmisere, sowohl für die Angehörigen der Mittelklasse als auch für das Establishment. Eine derartige Übereinstimmung unterschiedlicher Strömungen in der iranischen Gesellschaft war 2009 noch unmöglich.

 

So rücken Iraner mit ungleichen Lebensverhältnissen näher zusammen, aber nicht aus Missgunst gegenüber der Islamischen Republik, sondern gegenüber dem Präsidenten sowie aus finanzieller und wirtschaftlicher Not. Die iranische Theokratie aber wird sich um die Belange ihrer Befürworter kümmern. Sie versteht sich auf populistische Maßnahmen, das hat sie in den zurückliegenden 20 Jahren hinreichend bewiesen.

 

Noch besitzt die iranische Zentralbank ausreichend Dollarreserven aus den Erdöl-Verkäufen. Auf diesem offiziellen, staatlichen Devisenmarkt verkauft sie den Dollar für 12.500 Rial an Importeure von lebenswichtigen Gütern wie Lebensmittel und Medizin. Wahrscheinlich wird sie den privaten Parallelmarkt für Devisen einschränken, um so den Wechselkurs zu stabilisieren.

 

Anfang Oktober versammelten sich vor dem iranischen Parlament Studenten, die darüber klagten, dass ihnen der offizielle Wechselkurs für Fremdwährung von der Zentralbank verweigert wurde. Für Studenten, die kein staatliches Stipendium haben und im Ausland studieren möchten, ein ernstes Problem, schließlich kann sich die Mittelschicht die Studiengebühren schlichtweg nicht mehr leisten und wird sie unter der Last der Sanktionen dezimiert.

 

Hunger begünstigt keinen Regimewechsel

 

Wer sein Vermögen vor der horrenden Inflation von offiziell 25 Prozent schützen möchte oder seine Kinder für eine bessere Zukunft ins Ausland schickt oder dort unterstützt, gerne verreist, seinen Lebensstandard bewahren möchte und Güter konsumiert, die über Brot und Wasser hinausgehen, für den ist die gegenwärtige Situation desaströs.

 

Die ärmeren Schichten und Arbeiter bezahlen ihr Brot nicht mit Dollar und sie werden weiterhin Unterstützung in Form verbilligter Lebensmittel erfahren. Selbst die schärfsten Befürworter der von den USA forcierten Sanktionen stellen mittlerweile fest, dass die Folgen für den Durchschnittsiraner verheerend sind.

 

Das Kalkül, dass durch den wirtschaftlichen Druck das Leben für die Iraner so unmöglich wird, dass sie in breiter Opposition auf die Straße gehen und so das Regime zum Einlenken im Atomstreit zwingen, geht nicht auf. So liegt der deutsche Außenminister Westerwelle mit seiner Einschätzung völlig falsch, dass die Sanktionen nun die gewünschte Wirkung zeigten.

 

Denn wirtschaftlicher Missstand führt zu Frustration und einer Depolitisierung. Wenn wirtschaftliches Überleben zur Priorität wird, verkommt der Wunsch nach Demokratie zur Nebensache. Die iranische Mittelschicht begreift, dass ihre Probleme nicht nur hausgemacht sind, und sie versteht immer weniger, warum sie in Kollektivhaft genommen wird.

 

In der Folge könnte sie mit dem Regime mehr übereinstimmen, als es bislang vorstellbar war. Wenn man sich dem Regime zuwenden muss, um überhaupt noch überleben zu können, fällt die Drohkulisse der internationalen Gemeinschaft in sich zusammen. In der Position des gönnerhaften Fürsorgers befand sich das Regime schon einmal während der katastrophalen Wirtschaftslage im Iran-Irak Krieg.

 

Die Islamische Republik weiß um das vorherrschende, historisch bedingte Narrativ der diktatorischen Einflussnahme des Westens und  kann es weiter nähren. Im Juni 2013 stehen die Präsidentschaftswahlen in Iran an und Ahmadinejad darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Die Reformer haben sich noch nicht einigen können, ob sie überhaupt an den Wahlen teilnehmen werden.

 

Aussichtsreichster Kandidat der Konservativen ist Haddad-Adel, dessen Tochter mit dem Sohn des Revolutionsführers Khamenei verheiratet ist. Mag die folgende Erzählung aus dem ärmeren Süden Teherans auch klischeehaft scheinen, so hat sie gerade angesichts der Zusammensetzung der iranischen Gesellschaft aus unterschiedlichsten Schichten und Gruppen, aus ethnischen und religiösen Minderheiten und unterschiedlichen Sitten und Verhaltensweisen ihre Gültigkeit.

 

Im Hotel angekommen, händigt mir der freundliche, einäugige Besitzer den Zimmerschlüssel aus und einen Zettel, auf dem er skizziert hat, wie die Internetsperren der iranischen Regierung zu umgehen seien, um die Seiten der BBC, von Voice of America und der Opposition besuchen zu können.

 

Zwei Tage später zeigt mir der junge Iraner, der auf dem gleichen Hotelflur wohnt, bei einer Wasserpfeife stolz die Fotos von Präsident Ahmadinejad auf seinem Mobiltelefon. Am nächsten Morgen flachse ich beim Frühstück mit einem der Hotelangestellten, der mich dann zur Seite nimmt und mir dezidiert über den Revolutionsführer Khamenei erzählt: »Ein guter, ehrenhafter Mann!« – und von Ahmadinejad, »diesem Esel«. Nun mögen Sie urteilen, wer sich im Iran sicherer wähnt.

Von: 
Florian Kleine

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