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Konfrontation zwischen Iran und Saudi-Arabien

Netzwerke statt Blöcke

Kommentar

Iran und Saudi-Arabien müssen endlich wieder direkt ins Gespräch kommen, denn nur gemeinsame Lösungen können die Konflikte der Region entschärfen. Doch auch dem Westen fällt eine wichtige Rolle zu – als zurückgenommener Vermittler.

Eine Reihe von Entwicklungen und Ereignissen der vergangenen drei Jahrzehnte hat zu erheblichen Spannungen zwischen Teheran und Riad geführt. Es entstand entlang dieser Zeit eine Rivalität, die regelrechtem Antagonismus gleichkommt. Das saudische Königshaus blickt daher mit wenig Begeisterung auf den möglich erscheinenden Durchbruch im mehr als zehn Jahre anhaltenden Nuklearstreit mit Iran.   

 

Vielmehr herrscht unter Beobachtern und Experten Einigkeit darüber, dass eine Einigung Irans mit den P5+1 (USA, Großbritannien, Frankreich, China, Russland und Deutschland) den strategischen Interessen Riads entgegenläuft. Diese Sichtweise erscheint derzeit jedoch zu rückwärtsgewandt und lässt wichtige Dynamiken der vergangenen Monate außer Acht.

 

Die neue Regierung in Teheran ist gewillt, wichtige außenpolitische Schritte zu wagen. Während die Selbstwahrnehmung, eine oder vielleicht sogar die Regionalmacht des Nahen und Mittleren Osten zu sein, ebenso ausgeprägt ist wie zu Zeiten der Regierung von Mahmud Ahmadinejad, ist der hierfür gewählte Politikansatz ein deutlich anderer.

 

Dieser neue Ansatz verfolgt nicht länger Konfrontation, Provokation und Verhöhnung politischer Widersacher. Vielmehr wird durch eine versöhnliche Herangehensweise versucht, das politische Nullsummenspiel hinter sich zu lassen und »Win-Win«-Lösungen aufzuzeigen. Diese Denkweise haben Staatspräsident Hassan Ruhani und sein Außenminister, Javad Zarif, zu ihrer politischen Leitlinie erklärt. Zarifs außenpolitische Linie genießt breite Zustimmung in der iranischen Bevölkerung sowie den Segen des Revolutionsführers, Ajatollah Ali Khamenei.

 

Wann immer die heimischen Kritiker Außenminister Zarif zu hart angingen, stellte sich Khamenei hinter Zarif und sein Verhandlungsteam und nannte sie »Soldaten der Revolution«. Eine solche Rückendeckung befähigt Ruhani und Zarif, ambitionierte außenpolitische Ziele zu definieren. Im Gegensatz dazu durchlebt die königliche Elite Saudi-Arabiens derzeit einen kritischen Evolutionsprozess. Die Frage der Thronfolge drängt. König Abdullah ernannte kürzlich in einem Akt des Alleingangs den 68-jährigen Muqrin bin Abdelaziz zum stellvertretenden Kronprinzen. Ob er der Richtige wäre, um den politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Königreichs gerecht zu werden, erscheint fraglich.

 

Iran ist bereit für eine mutige neue Außenpolitik

 

Von ähnlicher Bedeutung ist der Wechsel im Geheimdienstministerium. Dass Prinz Bandar bin Sultan als Geheimdienstchef abgezogen wurde, deutete man in Teheran als Zeichen der gescheiterten Regionalpolitik Saudi-Arabiens – insbesondere in Syrien. Eine veränderte Strategie in Syrien ist unter dem neuen Geheimdienstministers, Prinz Mohammed Nayef, durchaus denkbar. Berichte über saudisch-amerikanische Zusammenarbeit zur Lieferung hochmoderner Panzerabwehrraketen an syrische Rebellen zeigen jedoch, dass diese Strategien weiterhin stark von Irans Syrienpolitik abweichen können.

 

Das saudische Königshaus wird indes seine Allianzen überdenken müssen. Derzeitige Dissonanzen mit Katar und wiederholt kritische Stimmen aus Oman offenbaren Unstimmigkeiten unter den Golfstaaten. Ahmad Ali M. al-Mukhaini, früherer Vize-Generalsekretär des Schura-Rats des Oman, ermutigte den Golfkooperationsrat dazu, Annäherung und Kooperation mit Iran anzustreben. Er legte die Notwendigkeit eines Gegenwichts zu Saudi-Arabien entlang Handels-, Energie- und Sicherheitsfragen dar und räumte Iran eben diese Position ein.    

 

Zudem zeigen aktuell ausgewertete Daten des Arab Youth Survey 2014, dass innerhalb der Bevölkerungen des Persischen Golfs regionale Nachbarstaaten – und nicht etwa westliche Mächte – als engste Verbündete wahrgenommen werden. Und Iran wird hierbei keineswegs als die Sicherheitsgefahr betrachtet, zu der manch politischer Akteur der Golfstaaten Iran gerne heraufbeschwört: Selbst unter Präsident Ahmadinejad landete Iran 2011 mit 18 Prozent weit hinter Israel (71 Prozent) und den USA (59 Prozent) bei der Frage, welcher Staat die größte Bedrohung für die Region darstelle.

 

Das verdeutlicht das Risiko für das Königreich, sich auf der Allianz mit Washington auszuruhen, oder aber einen möglichen Ausbau der Kooperation mit Israel anzustreben. Daher könnte eine Entspannung mit und Annäherung an Teheran durchaus attraktiv erscheinen. Viele Regierungsmitglieder von Staatspräsident Ruhani waren Minister, Vizeminister oder Berater während der Präsidentschaften von Ali-Akbar Haschemi Rafsandschani (1989-1997) und Mohammad Khatami (1997-2005). Während jener Zeit – vor allem während der 1990er Jahre – besserte sich das Verhältnis von Teheran und Riad deutlich.

 

Ursprung der Spannungen – Zeit zum Umdenken

 

Irans Islamische Revolution 1979 sorgte vor allem aufgrund ihrer anfangs expansiven Ausrichtung für große Besorgnis am Golf – nicht zuletzt auch wegen der Anziehungskraft auf die eigenen schiitischen Bevölkerungsanteile. Zudem verärgerte Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini das saudische Königreich, als er die Monarchie zu einer »unislamischen Regierungsform« erklärte. In der Folge unterstützte das saudische Königshaus Saddam Hussein während des Irak-Iran-Krieges (1980-1988). Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften in Mekka 1987 wurden 275 iranische Pilger getötet. Nach dieser Dekade offener Feindseligkeit entspannten sich die Beziehungen während der 1990er Jahre.

 

Unter Rafsandschani und Khatami wurden vorsichtige strategische und wirtschaftliche Bande geknüpft. Im Libanon hielt diese dezente Kooperation sogar noch bis in den Anfang der Amtszeit Ahmadinejads an. Doch dessen zunehmend radikale Rhetorik, seine Nähe zu den Revolutionsgarden und Irans wachsender Einfluss vor allem im Irak und im Libanon verärgerten das saudische Königshaus. Aus Riad fortan vernahm man zunehmend Unterstützung für einen US-Militärschlag gegen Iran.

 

Bereits kurz nach der Regierungsbildung im Sommer 2013 wurde aus Teheran vermeldet, dass eine hochrangige Delegation nach Riad reisen würde. Noch ist dieser bedeutende Staatsbesuch jedoch ausgeblieben. In einer Vielzahl von Interviews und Reden hat der iranische Außenminister deutlich gemacht, dass es für die Bewältigung der regionalen Herausforderungen an der Bildung von »Netzwerken statt Blöcken« bedarf. Solche und ähnliche versöhnliche Töne sendete Zarif in den vergangenen Monaten wiederholt Richtung Riad.

 

Der saudische Botschafter in Teheran, Abdulrahman bin Gharman Al-Schihri, betonte bei einem Treffen mit dem ehemaligen iranischen Präsidenten Hashemi-Rafsandschani, dass diese Botschaft nicht nur in Saudi-Arabien, sondern in der gesamten Islamischen Welt positiv aufgenommen werden würde. Eine Annäherung Irans an Saudi-Arabien würde zu unmittelbarer Entspannung der vielen Stellvertreterkonflikte von Syrien, Irak und Afghanistan bis hin zu Bahrain, Jemen, Libanon und Pakistan führen.

 

Dafür müssten die Interessen beider Länder auf die jeweiligen Konfliktfelder angepasst, vor allem aber der Rhetorik entlang konfessioneller Linien eine Absage erteilt werden. Besonders im Irak und Syrien schafft dieser politisch instrumentalisierte Diskurs tödliche Realitäten. Derweil fühlt sich Riad selbst zuweilen von sunnitischem Radikalismus und Extremismus bedrängt. Die kategorische Ablehnung der Muslimbrüderschaft, das per königlichem Dekret verordnete härtere Vorgehen gegen militante Dschihadisten, die aus Saudi-Arabien zum Heiligen Kampf nach Syrien ziehen, und die daraus resultierenden Spannungen mit Katar machen deutlich, dass das saudische Königshaus einen zugespitzten Konflikt mit Iran nicht auch noch gebrauchen kann.

 

Die Zukunft der Region muss von den Regionalmächten selbst gestaltet werden

 

Zunächst ist es dringend an der Zeit, seitens westlicher Staaten den Gedanken zu fördern, dass die Zukunft der Region von den Regionalmächten selbst gestaltet werden muss. Dieser Gedanke von Selbstbestimmung wurde in allen Kontexten des Arabischen Frühlings seit Ende 2010 lautstark auf den Straßen gefordert. Ein Rückzug der US-Militärpräsenz und weniger politische Einflussnahme würden das Gefühl von Verantwortungsbewusstsein und Gestaltungssouveränität zweifelsohne stärken.

 

Die westliche Regionalpolitik hat ihrerseits zur Akzentuierung der Konfliktlinien zwischen Teheran und Riad beigetragen, indem die dem Konflikt zugrunde liegenden strategischen, ethnischen und konfessionellen Spannungsfelder stets aufgegriffen und reproduziert wurden. Es liegt an der US-Administration, auf die Sorgen des saudischen Königshauses bezüglich der Nuklearverhandlungen und des möglichen Rapprochements Teherans mit Washington einzugehen und die von Ruhani und Zarif geförderten Ideen überzeugend zu vermitteln. Basierend auf dieser generellen außenpolitischen Strategie Teherans kann davon ausgegangen werden, dass jedwedes Signal der Annährung aus Saudi-Arabien auf positive Resonanz in Iran stoßen wird.

Von: 
Adnan Tabatabai

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