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Israels Regierung plant mit einer Gesetzesinitiative

Rechtsruck gegen Rechtsstaat

Analyse

Israels Regierung plant mit einer Gesetzesinitiative, unliebsame Richter, NGOs und Medien an die Kandare zu nehmen – und rechnet dabei auch mit Unterstützung aus den Reihen der Opposition. Kadima-Chefin Tzipi Livni steht vor einem Dilemma.

Es waren mehr als 2.000 linke Demonstranten, die in der vorvergangenen Woche in Tel Aviv symbolisch einen Knebel trugen. Die israelische und die rote Fahne schwenkend, rollten die Demonstranten Transparente aus, auf denen man lesen konnte: »Die Rechte wird uns nicht zum Schweigen bringen.«

 

Einige Tage vor dieser noch eine andere, bislang beispiellose und historische Demonstration: Über einhundert Journalisten, unter ihnen bekannte Radio- und Fernsehmoderatoren, fanden sich ein, um gegen »die antidemokratischen Gesetze« der rechten Regierung Benjamin Netanjahus zu protestieren.

 

Die drei Ziele der Gesetzesinitiative Netanjahus sind das Oberste Gericht, das beschuldigt wird, eine Bastion der Opposition zu sein, die links orientierten Nichtregierungsorganisationen und die Massenmedien, die angeblich zu kritisch mit den Behörden umgingen.

 

Seit den 1980er Jahren spielt das Oberste Gericht eine zentrale Rolle im öffentlichen Leben der Israelis. Jenseits seiner traditionellen Rolle als Hüter und Interpret der Verfassung und der Gesetze, nimmt das Oberste Gericht in Israel ebenfalls eine Rolle als Interessenvertreter der Gesellschaft ein. Mit seiner Rechtsprechung über die von der Knesset verabschiedeten Gesetze mischt es sich in dessen Befugnisse ein, was Kritiker als Gefahr für die Demokratie bezeichnen. In der breiten Bevölkerung hingegen hat sich das Oberste Gericht seither den Ruf erworben, bisweilen einzig verbliebener Beschützer der israelischen Demokratie zu sein.

 

Rechte und Orthodoxe betrachten das Oberste Gericht als die Bastion der liberalen, laizistischen, linken Bewegungen. Sie behaupten, das Oberste Gericht würde mit seinem »Gesetzesaktivismus« die Gewaltenteilung umstürzen, insbesondere, wenn es vom Parlament verabschiedete Gesetze für revisionswürdig erklärt. Die rechten Parteien werfen dem Obersten Gericht vor, nicht das gesamte politische Spektrum zu repräsentieren, sondern sich in den Händen einer linken Elite zu befinden.

 

Wird die unabhängige Justiz aus den Angeln gehoben?

 

So wurden in den vergangenen Wochen drei Gesetzesvorschläge vorgelegt, mit der Absicht »das Gleichgewicht wiederherzustellen, das sich aus den Wahlen ergeben hat«, so die Initiatoren. Mit anderen Worten: Es sollten mehr rechte Richter im obersten Gericht vertreten sein.

 

Der erste Gesetzentwurf soll den, meist rechten, Parlamentariern ein Vetorecht bei der Ernennung der Richter einräumen. Außerdem solle die Auswahl in öffentlicher Sitzung erfolgen.

 

Der zweite Gesetzesentwurf sieht vor, die Zusammenstellung der Benennungskommission für die Obersten Richter zu ändern: Wurde diese bislang von der israelischen Anwaltskammer allein bestellt, solle die Auswahl nun von Regierung und Opposition genehmigt werden. Damit würde das Komitee politisiert werden, das bisher aus den Reihen der Berufsgruppe heraus besetzt worden war.

 

Schließlich der »Gesetzesvorschlag Grunis«. Asher Dan Grunis ist ein beim höchsten Hof sitzender Richter, nicht politisch rechts orientiert, dafür für seinen juristischen Konservatismus bekannt. Der Vorschlag erlaubt, Richter als Präsidenten des Obersten Gerichtes zu ernennen, die, anders als bisher, weniger als drei Jahre vor ihrem Zwangsruhestand stehen. Der Ruhestand ist für die Richter vom Obersten Gericht mit 70 Jahren obligatorisch, und nur zwei Jahre trennen Grunis von seiner Rente.

 

Diese Gesetzesentwürfe werden sogar von Mitgliedern der Regierungskoalition stark kritisiert. Erziehungsminister Gideon Saar, sonst Netanjahus verlässlicher Verbündeter, hat erklärt, das Gesetz über die öffentliche Anhörung der Richter sei ein »echter Wahnsinn«. Mehrere Abgeordnete haben gedroht, zurückzutreten, und Verteidigungsminister Ehud Barak kündigte an, dass er gegen die Gesetzesvorschläge stimmen würde, weil diese die Unabhängigkeit des Justizsystems in Frage stellten.

 

Zwei Entwürfe wurden in der ersten Lesung schon angenommen. Das »Gesetz Grunis« wird in dieser Woche der Knesset zur endgültigen Beratung vorgelegt.

 

Seite Ende November beratschlagt das israelische Parlament auch über einen weiteren Gesetzentwurf, der auf den Status und die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zielt, die in Israel aktiv sind. Einerseits verurteilen Abgeordnete der Regierungskoalition die »antiisraelische« Tätigkeit mehrerer Organisationen, die die jüdische, zionistische und demokratische Identität des Staates Israel in Frage stellten. Andererseits warnen die Parlamentarier davor, dass fremde Staaten und internationale Institutionen über die Finanzierung solcher NGOs versuchen, Israels Diplomatie und Sicherheitspolitik zu beeinflussen.

 

Das vorgeschlagene Gesetz unterscheidet drei Arten von NGOs. Die erste Kategorie: als »antizionistisch« und »antiisraelisch« eingestufte Organisationen, denen eine Finanzierung aus dem Ausland komplett untersagt sein soll. Die zweite Kategorie: Gruppierungen, die nicht  israelisch-staatlich finanziert werden. Ihre Einkünfte sollen mit 45 Prozent besteuert werden, mit möglichen Ausnahmen. Dies betrifft voraussichtlich die Mehrheit der israelischen NGOs. Und schließlich die Organisationen, die teilweise von Israel selbst finanziert werden und damit weiterhin ausländische Fonds ohne Einschränkungen empfangen dürfen. Für diese Kategorisierung soll ein Parlamentsausschuss bestellt werden.

 

Kritischen Medien und NGOs wird der Geldhahn abgedreht

 

Träte dieses Gesetz in Kraft, würde es den Aktivitäten der Mehrheit der linken NGOs ein Ende setzen, die vor allem aus dem Ausland, besonders aus der Europäischen Union, finanziert werden. Politisch rechte Organisationen, wie private christliche und jüdische Stiftungen vor allem aus den USA, brächte es nicht in diese Verlegenheit, da diese nicht als fremd-staatlich finanziert gelten.

 

US-Außenministerin Hillary Clinton hat sich vorvergangenes Wochenende hinter verschlossenen Türen äußerst besorgt über dieses Gesetzesvorhaben geäußert. Sie verstehe nicht, was in Israel vorgehe, heißt es. In ihrem Auftrag hatte der US-Botschafter in Tel Aviv bereits Premier Netanjahu ausgerichtet, das Gesetzesvorhaben ginge viel weiter über das hinaus, was in westlichen Demokratien üblich sei.

 

Weitere Knesset-Angehörige, aber nicht nur der Regierungskoalition, sondern auch Meir Shetrit von der größten Oppositionspartei Kadima, beabsichtigen außerdem, das Presserecht zu ändern. Sie befinden, dass sich die israelische Presse in »linksgerichteten« Händen befände und »zu kritisch« gegenüber dem Staat eingestellt sei. Sie beziehen sich dabei vor allem auf das »mediale Lynchen« von Politiker, das bisweilen für deren Privatleben enorme Konsequenzen habe. In den letzten Jahren haben sich mehrere israelische Politiker wegen Bestechung vor Gericht wiedergefunden, oft auf Reportagen in der Presse folgend.

 

Ein Gesetzesvorschlag hierzu sieht vor, die gegenwärtige Regelung für Verleumdung zu verschärfen. Die Abgeordneten schlagen vor, die Geldbußen für Diffamierung schwindelerregend zu erhöhen. Der vom Parlament im ersten Wahlgang in erster Lesung beratene Gesetzesentwurf sieht bis zu 300.000 Schekel (60.000 Euro) Schadensersatz für Verleumdung vor – sechs Mal höher als bisher. Dieses Regelung würde die Veröffentlichung von Rechercheartikeln extrem einschränken. Nur finanziell gut gestellte Medien könnten das Risiko eingehen, solche Artikel zu publizieren.

 

Die Mitte-Rechts-Opposition ist an dieser Initiative maßgeblich beteiligt – in der Person von Meir Shitrit. Von ihm stammt die Initiative zum »Anti-Diffamierungsgesetz«. Kadima-Führerin Tzipi Livni, erklärte Gegnerin der des Gesetzesvorschlags, brachte das in die unangenehme Situation, ihre Fraktion in letzter Sekunde zu überzeugen, gegen einen Vorschlag eines ihrer eigenen Mitglieder zu stimmen.

 

Währenddessen haben die Behörden in den letzten Wochen eine Reihe von Maßnahmen gegen mehrere Medien ergriffen. Dem für seine Unabhängigkeit in seinen Programmen bekannte TV-Sender Kanal 10 drohte der, mehrheitlich rechts besetzte, Wirtschaftsausschuss der Knesset mit der Schließung, da der Sender dem Staat mittlerweile bis zu 80 Millionen Schekel an Konzessionsgebühren schuldet.

 

Das nächste Gesetzespaket steht schon ins Haus

 

Ende November haben Verantwortliche von Kanal 10 erklärt, das Büro des Premierministers habe wissen lassen, dass die Schulden »noch einmal überdacht« werden könnten, wenn gewisse »problematische« Journalisten entlassen werden würden.

 

Auch hat Premier Netanjahu vorletzte Woche erklärt, die Schließung des öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehens auf Kanal 23 in Betracht zu ziehen. Die Begründung: Es sei »nicht sehr rentabel«. Das Programm ist für die Qualität seiner Themen und für seine politisch kritischen Sendungen bekannt.

 

Weiterhin hat Kommunikationsminister Moshe Kahlon am 20. November die Sendungen des Internetradios Kol HaShalom – »Die Stimme des Friedens«, mit Büro in Ost-Jerusalem, aber Servern in Ramallah, für illegal erklärt. Dem auf privater Initiative basierten Sender wird vorgeworfen, ihm fehlten die erforderlichen Lizenzen und er »veranlasse zur Feindseligkeit gegen Israel«. Kol HaShalom verbreitete seit sieben Jahren seine Sendungen in hebräischer und arabischer Sprache, und ermutigte, nach eigener Aussage, die Initiativen für den Frieden und den Dialog unter Israelis und Palästinensern.

 

In den nächsten Monaten wird sich die Knesset mit zahlreichen Gesetzesinitiativen befassen, die vornehmlich aus dem rechten Lager stammen. Sie alle verbindet ein inhaltlicher Zusammenhang: Es geht um die Definition der israelischen Identität.

 

Bereits in diesem Sommer gelang es der extremen Rechten, ein Gesetz in Kraft treten zu lassen, dass in Israel den Aufruf zum Boykott der Siedlungen verbietet. In der Praxis wird dieses Gesetz bislang zwar nicht angewandt, aber es erlaubt, Künstler juristisch zu verfolgen, die es ablehnen, in Siedlungen aufzutreten, Professoren, die sich weigern, dort Konferenzen abzuhalten, oder Vereine zu verklagen, die zum Warenboykott der Siedlungen aufrufen.

 

Ein weiterer Gesetzesvorschlag würde es erlauben, einem israelischen Bürger die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, sollte er sich in einer Weise betätigen, die die »jüdische, zionistische und demokratische Identität Israels« in Frage stellen würde. Es gibt ebenso den Vorschlag, den Gebrauch des Arabischen, der zweiten Staatssprache, im Alltag zu beschränken. Dies beträfe zum Beispiel die Verwendung in der Verwaltung oder auf Straßenschildern, die bislang zweisprachig gehalten sind.

 

Es bleibt abzuwarten, ob es Livni gelingen wird, auch in diesen Fällen auf ähnliche Weise wie im Fall des Anti-Diffamierungsgesetzes« vom Kadima-Abgeordneten Meir Shitrit ihre Fraktion zu überzeugen, sich dieser nationalistischen Agenda entgegenzustellen – selbst wenn einige der Gesetzesvorschläge aus den eigenen Reihen stammen.

Von: 
Sarah Gabriel-Pollatschek

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