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Innenpolitische Krise in Mali

Der Übergang vom Übergang

Analyse

Der Konflikt mit Rebellengruppen und die innenpolitische Krise sind in Mali untrennbar verbunden. Erst eine Stabilisierung in Bamako wird eine nachhaltige Lösung für den Norden ermöglichen, meint Annette Lohmann.

Der Putsch eines Teils des malischen Militärs gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré im März 2012 führte unter anderem zum Zusammenbruch der Kommandostruktur des Militärs und begünstigte schnelle militärische Erfolge der Rebellen. Zudem desertierten viele Soldaten beziehungsweise schlossen sich den Aufständischen an. Diese konnten Ende März 2012 innerhalb nur weniger Tage alle größeren Städte im Norden ohne Widerstand der malischen Armee erobern.

 

Am 7. Januar 2013 nahmen die Rebellen im Norden Malis den Kampf gegen die malische Armee wieder auf. Was anfänglich wie eine gezielte Provokation aussah, um ihren Forderungen bei der nächsten Verhandlungsrunde Nachdruck zu verleihen, eskalierte: Die Rebellen drohten die Demarkationslinie Richtung Süden zu überschreiten. Ob sie dabei wirklich die Hauptstadt Bamako als Ziel hatten, bleibt fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass sie den strategisch wichtigen Regionalflughafen von Mopti-Sévaré unter ihre Kontrolle bringen oder zumindest sabotieren wollten.

 

Zudem gibt es Hinweise auf eine Absprache zwischen den Putschisten in Bamako und der islamistischen Tuareg-Rebellentruppe Ansar Dine im Norden, der zufolge sich die beiden Gruppen darauf verständigt hatten, dass Ansar Dine nach Sevaré und Konna vorrückt, um den Putschisten in der Hauptstadt den Vorwand zu liefern, Interimspräsident Dioncounda Traoré zu stürzen, weil er nicht in der Lage sei, den Süden zu verteidigen.

 

Im Gegenzug wollten die Putschisten die Kontrolle von Ansar Dine im Norden akzeptieren. Das schnelle und entschlossene unilaterale Eingreifen Frankreichs – ein Vorgehen, das Frankreich monatelang vehement abgelehnt hatte – kam für die Rebellen überraschend. Sie hatten darauf gesetzt, dass afrikanische Truppen frühestens im Herbst 2013 nach Mali verlegt würden und dass der Westen nicht direkt militärisch intervenieren würde.

 

Die Putschisten bleiben im Spiel

 

Der Putsch hat zur Polarisierung in Politik und Gesellschaft geführt; der überwiegende Teil der Parteien und Teile der Zivilgesellschaft bilden das Anti-Putsch Bündnis »Front uni pour la Démocratie et la République« (FDR), ein anderer Teil der Zivilgesellschaft zusammen mit kleineren Parteien das Pro-Putsch-Bündnis »Convergence patriotique pour le Mali« (COPAM). Die Allianzen stehen sich seit dem Staatsstreich vor einem Jahr unversöhnlich gegenüber.

 

Deutlich wurde dies an der immer wieder verschobenen Nationalversammlung zur Verabschiedung eines Fahrplans für die Wahlen sowie zur Lösung der Krise im Norden. Gegen den Willen des Pro-Putsch Bündnisses COPAM wurde der Fahrplan schließlich vom Parlament verabschiedet – dort stellen die Gegner des Putsches die Mehrheit. COPAM fordert die Auflösung des Parlaments, da sie die verlängerte Legislaturperiode, analog zur einjährigen Übergangsphase, als illegitim erachten und fordern die Einsetzung eines »Übergangsrats«, in dem sie die Mehrheit stellen würden.

 

Ebenso fordern sie den Rücktritt des Interimspräsidenten. Die Mehrheit der Bevölkerung teilt diese Forderungen nicht. Seitdem die ECOWAS die Putschisten im April 2012 zur Rückkehr zur zivilen Ordnung gezwungen hat, ist die Macht in Mali zwischen Interimspräsident, Premierminister und Putschisten verteilt – ein eindeutiges Machtzentrum ist nicht zu erkennen. Am 6. Oktober 2012 wurde Putschistenführer Amadou Sanogo zum Präsidenten eines »Komitees für die Reform der Armee« ernannt, im Februar 2013 erfolgte die offizielle Einführung in das Amt, welches ihm nun eine scheinbare Legitimität verleiht.

 

Ambivalente Rolle der ECOWAS

 

Einen neuen, sichtbaren Höhepunkt erreichte die Einmischung der Putschisten mit dem erzwungen Rücktritt des Premierministers Cheikh Modibo Diarra im Dezember 2012. Dies zeigte deutlich, dass die Putschisten weiterhin an der Macht festhalten wollen und daraus auch keinen Hehl machen. Interimspräsident Traoré wurde durch die französische Militärintervention Anfang 2013 zwar gestärkt, dennoch intervenieren die Putschisten weiter – nicht nur in der Politik. Am 7. März etwa wurde mit Boukary Daou der Herausgeber der großen Tageszeitung Le Republicain verhaftet.

 

Zudem steht zu befürchten, dass Sanogo und COPAM weiter versuchen werden, die Übergangsregierung zu destabilisieren, damit die für Juli geplanten Wahlen verschoben werden. Gegenwärtig sind die Putschisten mit drei Schlüsselministerien an der Regierung beteiligt. Das Pro-Putsch-Bündnis COPAM, das überwiegend aus kleinen, politisch kaum relevanten Parteien besteht, die keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten stellen werden, ist ebenfalls mit mehreren ihnen nahestehenden Ministern in der Übergangsregierung vertreten.

 

Bei den Wahlen haben dieses Bündnis beziehungsweise seine Mitglieder keine großen Erfolgsaussichten; ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist deutlich gesunken. Die Regionalorganisation ECOWAS reagierte nach dem Putsch schnell und entschlossen und verurteilte die Absetzung von Präsident Touré als inakzeptabel. Ende März 2012 erließ sie umfassende Sanktionen, um die Putschisten zur Aufgabe zu zwingen. Dennoch ließ der in der Folge zwischen ECOWAS und Putschisten verhandelte Vertrag (»Accord Cadre«) viele Fragen unbeantwortet – vor allem die nach der künftigen Rolle der Putschisten.

 

Aufgrund des unentschlossenen Vorgehens der ECOWAS und fehlender Signale gegen eine weitere politische Involvierung der Putschisten destabilisieren diese bis heute die politische Situation in Bamako, was sich auch auf die Lage im Norden auswirkt.

 

Die Mehrheit der Bevölkerung will nur mit dem Norden wählen

 

Die für April beziehungsweise Juni 2012 angesetzten Präsidentschaft- und Parlamentswahlen wurden aufgrund des Putsches verschoben. Mit dem Ende Januar 2013 durch die malische Übergangsregierung vorgelegten Fahrplan soll der Wahlprozess vorangebracht werden. Als Wahltermine wurden zunächst der 7. Juli für den ersten Wahlgang für die Wahl des Präsidenten angesetzt und der 21. Juli für den vermutlich erforderlichen zweiten Wahlgang sowie für die Parlamentswahlen.

 

Nach Kritik an einem möglicherweise verfrühten Wahltermin schränkte der zuständige Minister ein, dass die Termine abhängig vom weiteren Verlauf der militärischen Intervention noch geändert werden könnten. Inzwischen gibt es eine deutliche Tendenz, ein komplett neues, biometrisches Wählerverzeichnis zu erstellen. Dies wird mindestens sechs Monate Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen und deutlich teurer werden als bislang veranschlagt.

 

Auch muss sichergestellt werden, dass die Binnenflüchtlinge von dem überarbeiteten Wählerverzeichnis erfasst werden und im Norden die Voraussetzungen für die Durchführung von Wahlen gegeben sind. Dreiviertel der Befragten einer kürzlich der im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako durchgeführten Meinungsumfrage gaben diese Voraussetzungen für die Durchführung von Wahlen an und unterstrichen damit ihr Bekenntnis zur Einheit der Nation. Die sorgfältige Vorbereitung der Wahlen ist vor dem Hintergrund der instabilen politischen Lage unerlässlich, andernfalls sind eine Anfechtung des Wahlergebnisses und eine weitere innenpolitische Krise wahrscheinlich.


Annette Lohmann, leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.
Von: 
Annette Lohmann

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