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Meir Kahane und die messianische Rechte in Israel

Apocalypse Now

Feature
Meir Kahane und die messianische Rechte in Israel
Nati Harnik /GPO

Vor 50 Jahren tauchte ein Mann auf Israels politischer Bühne auf, dessen radikale Ansichten das Land entsetzten. Nach der Ermordung Meir Kahanes 1990 ging die Saat der messianischen Rechten langsam, aber stetig auf. Heute sitzen einige seiner Schüler auf den Regierungsbänken.

Die Vita von Meir Kahane gleicht einem Fiebertraum. Da kommt Anfang der 1970er-Jahre ein Rabbiner aus den USA nach Israel, der seiner eigenen Gemeinde nicht mehr geheuer war. Der für das FBI spioniert hatte. Der eine »Jüdische Selbstverteidigungsliga« gegründet hatte, die vor allem Afroamerikaner verprügelte. Und der nun in Israel Worte verkündete, wie man sie bis dahin nur in den dunkelsten Ecken des rechtsreligiösen Lagers getuschelt hatte.

 

Kahane fasst diese Nachtmahre in schlagkräftige Bilder. Der Staat Israel: Eine von Gott eingesetzte Geißel, um die Heiden zu bekämpfen. Die Araber: Sollen aus dem Land deportiert werden, notfalls mit Gewalt. Kontakt zwischen Juden und Fremdvölkern: Zu unterlassen und Ehen zwischen Juden und Nichtjuden zu verbieten. Kahane scheute sich nicht davor, die Rassengesetze der Nazis als Vorbild zu nennen. Mit immer schrilleren und extremeren Aktionen löst der Rabbiner Aufmerksamkeit und Erschrecken aus. Als es ihm 1984 endlich mit seiner Partei Kach gelingt, einen Sitz in der Knesset zu erobern, verlassen bei seinen Reden alle anderen Abgeordneten demonstrativ den Raum. Wie konnte so eine extreme Stimme es soweit schaffen?

 

Das Denken des 1932 in Brooklyn geborenen Meir Kahane war eine Pervertierung des religiösen Zionismus. Mit der Gründung des Staates Israel stand die jüdische Orthodoxie vor einem Dilemma: Den Staat hatte man jahrtausendelang in jedem Gebet herbeigesehnt. Gleichwohl lag es nicht am Menschen, den Staat zu gründen. Das war Aufgabe des Messias. Aber jetzt wurde Israel ausgerechnet von säkularen, sozialistisch orientierten Juden gegründet, die mit der Religion oft nichts mehr zu tun haben wollten. Und diese Abgefallenen sollten die Erlösung bringen? Ein Teil der Strenggläubigen wandte sich enttäuscht ab.

 

Rabbi Abraham Isaak Kook jedoch, vor der Staatsgründung »Oberrabbiner von Palästina«, fand einen Ausweg: Die Gründung des Staates Israel war in seiner Lehre ein messianisches Zeichen. Die ersehnte Erlösung brach an. Und es waren gerade die verstockten Säkularen, die daran arbeiteten, ohne dass ihnen das bewusst war. Sie waren nützliche Werkzeuge, denen irgendwann die Augen aufgehen würden. So versöhnte Kook Orthodoxie und säkularen Staat. Freilich immer mit dem Ziel der messianischen Erlösung. Und es war sein eigener Sohn, Zwi Yehuda, der die Positionen seines Vaters verschärfte und die Grundlagen der heutigen Auswüchse legte.

 

Für Zwi Yehuda Kook rückte das Land selbst in den Status des Messias auf. Israel war die Erlösung, sie geschah vor aller Augen, und zwar in der Gegenwart: Deshalb dufte kein Stück gewonnenes Land zurückgegeben werden. Im Gegenteil, das Land musste »erlöst« werden. Hier ging es schon lange nicht mehr um den weltlichen Staat. Hier entstand das alte Königreich Israel neu.

 

1967 besuchte Zwi Yehuda Kook begeistert die Klagemauer. Er wurde zum spiritus rector des Gush Emunim, des »Blocks der Getreuen«, der organisierten Siedlerbewegung. Der Gush brachte die Besiedlung der eroberten Territorien auf ein völlig neues Niveau. Doch bekannten sich dessen Führer zum Staat Israel. Auch sprach niemand von einer Deportation der Araber.

 

Ein gerade noch vereitelter Plan hatte vorgesehen, den Felsendom in die Luft zu sprengen

 

Meir Kahane, der 1971 nach Israel gekommen war, kündigte diese bedingte Kooperation des religiösen Zionismus mit dem Staat auf. Er suchte sich bewusst seinen Platz rechts des Gusch und gründete Kach, eine nur auf ihn zugeschnittene Partei. Seine vergiftete Rhetorik fand langsam Platz im öffentlichen Diskurs. 1984 gelang ihm der Durchbruch: ein Sitz in der Knesset.

 

Kahanes Messianismus ging weiter als alles, was Israel bisher kannte. »Die Araber gleichen einer Entweihung des Göttlichen Namens«, war er überzeugt. »Es ist deshalb mehr als eine politische Angelegenheit, sie zu entfernen. Es ist eine religiöse Pflicht, die das Gebot erfüllt, die Verhöhnung Seines Namens zu beenden. Lasst uns die Araber aus Israels Mitte entfernen, damit die Erlösung beginnen kann.«

 

Die »Erlösung« sollte also notfalls durch Gewalt geschehen. Und damit nicht genug. Kahane wandte sich explizit gegen arabisch-jüdische Beziehungen, verglich sie mit einem »Krebsgeschwür« und forderte für Mischehen eine Mindeststraße von fünf Jahren Gefängnis. Ebenso sollten alle Christen das Heilige Land verlassen. Seine ultimative Zielscheibe allerdings bildeten säkulare Juden, »Hellenisten«, wie Kahane sie bezeichnete. Auch diese »Verräter« gelte es zu bekämpfen. Er erklärte also dem säkularen Judentum ebenso den Krieg wie der gesamten Welt. Bei Worten sollte es nicht bleiben.

 

Anfang der 1980er-Jahre enttarnte der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Beth den »Jüdischen Untergrund«. Ein gerade noch vereitelter Plan hatte vorgesehen, den Felsendom in die Luft zu sprengen. Zwar gab es keinen direkten Bezug zu Kahane, aber der israelischen Öffentlichkeit wurde schlagartig bewusst, was in ihrer Mitte herangewachsen war. Kahane bildete in diesem Spektrum den lautesten, sichtbarsten Ankerpunkt.

 

Unter Kahanes Erben sticht besonders sein Enkel hervor: Meir Ettinger

 

Doch mit seiner Ermordung 1990 durch einen arabischen Attentäter brach sein Wirken nicht ab. Es blieb in den illegalen Außenposten der radikalen Siedlerbewegung stets präsent, während das offizielle Israel versuchte, den Albtraum schnell zu vergessen. Die Ereigniskette Mitte der 1990er-Jahre ließ das nicht zu: 1994 griff der Zahnarzt und Kahane-Anhänger Baruch Goldstein in Hebron zum Sturmgewehr, tötete 29 betende Muslime in der »Höhle der Patriarchen« in Hebron und verletzte 125 schwer, bevor er selbst erschlagen wurde. Israel reagierte entsetzt, doch seine Anhänger bescherten ihm eine prachtvolle Beerdigung. Im Meir-Kahane-Park von Kiryat Arba, einer mitten in die Stadt Hebron gebauten Siedlung. Nur ein Jahr später erschoss Yigal Amir Ministerpräsident Jitzchak Rabin und setzte damit dem Friedensprozess ein vorschnelles Ende.

 

Unter Kahanes Erben sticht besonders sein Enkel hervor: Meir Ettinger. Der 1991 geborene Aktivist gilt als eine der profiliertesten Figuren der sogenannten Hügeljugend, ein Sammelbegriff für die lose organisierten, quasi-anarchistischen Gruppen aus den illegalen Außenposten der Siedlungen, die sich darauf spezialisiert haben, unter arabischen Schäfern und Bauern Angst und Schrecken zu verbreiten.

 

Aus diesem Umfeld stammt auch Amiran ben Uliel, der 2015 eine ganze palästinensische Familie auslöschte, als er in dem Dorf Duma einen Brandanschlag auf deren Haus verübte. Der Staat Israel und seine Organe sind in diesem Umfeld weit entfernt und gelten als Mittel zum Zweck, meist gar als Feind. Doch natürlich bestehen auch Verbindungen in Politik und Gesellschaft.

 

Obwohl der Gerichtshof die Kach-Partei und ihre Nachfolgeorganisationen verboten hat und sie, ebenso wie die »Jewish Defense League«, in den USA und der EU als terroristische Vereinigungen gelten, hat es nie an Parteien und Politikern gefehlt, die mehr oder weniger offen die kahanistische Ideologie propagiert haben. Dazu zählt beispielsweise die »Lehava« (zu Deutsch »Fackel«) um Bentzi Gopstein und Michael Ben-Ari, die die Assimilation und »Vermischung« der Juden bekämpfen, also eines der Herzensanliegen Kahanes weitertragen.

 

Was zählen Verträge, Demokratie und selbst die Sicherheit des Staates Israel angesichts der bevorstehenden Erlösung?

 

All diese Akteure entstammen der Siedlerbewegung. Gopstein und Ben-Ari sieht man oft in Begleitung eines Anwalts, dem es als erstem seit Kahane gelungen ist, mit seiner Partei »Otzma Jehudit« einen Platz in der Knesset zu erobern: Itamar Ben-Gvir, heute Minister für Nationale Sicherheit. Niemand anderes als Ben-Gvir hatte die Verteidigung von Amiram Ben-Uliel übernommen. Den Kahanisten gilt Ben-Uliel, der in Isolationshaft sitzt, als neue Märtyrerfigur.

 

Der Fiebertraum ist noch lange nicht vorbei. Mit dem kahanistischen Lager sitzen andere Gestalten in den Knesset-Bänken, die sich von den altbekannten Vertretern der Rechten wie Avigdor Liebermann oder Naftali Bennett unterscheiden. Was Finanzminister Bezalel Smotrich und den bereits erwähnten Itamar Ben-Gvir eint, ist nicht nur die Wohnadresse in einer Siedlung. Beiden gemeinsam ist auch die messianische Überzeugung, die ihren Vorstößen erst die radikale Kraft verleiht. Smotrich macht keinen Hehl daraus, dass er sein Ministerium nutzen will, um ein »System wie in den Tagen König Davids« zu etablieren.

 

Was zählen Verträge, Demokratie und selbst die Sicherheit des Staates Israel angesichts der bevorstehenden Erlösung? Das endzeitliche Königreich schert sich nicht um solche säkularen Erfindungen. Bei Meir Kahane hatte sich das so gelesen: »Israel ist keine politische, sondern eine religiöse Schöpfung. Keine Macht der Welt hätte sein Entstehen verhindert können und keine Macht der Welt kann es zerstören. Es ist der Beginn des göttlichen Zorns, Seine Rache an den Völkern, die ihn verleugnet haben, verachtet und verlacht, und die seine Macht nicht kannten.«

 

In Israels Gründungsurkunde, der Unabhängigkeitserklärung von 1948, liest sich das Selbstbildnis des jungen Staates hingegen so: »Der Staat Israel wird […] sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen.« Der Hauptarchitekt der Justizreform, Ilan Bombach, riet dazu, dieses »eilig erstellte Dokument von 37 nicht gewählten Personen« als nicht zu allzu bindend zu betrachten.

Von: 
Wenzel Widenka

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