Lesezeit: 8 Minuten
Handelskammern in Iran

Rialpolitik

Analyse

Während die Opposition in Iran fast verstummt ist, regt sich Widerstand von unerwarteter Seite: Die eigentlich staatsnahen Handelskammern legen sich mit dem Regime an.

Am 20. März, dem iranischen Neujahrsfest, rief Revolutionsführer Ali Khamenei das »Jahr der nationalen Produktion und Unterstützung iranischer Arbeit und iranischen Kapitals« aus. Damit schloss er unmittelbar an das gerade zu Ende gegangene »Jahr des ökonomischen Dschihad« an.

 

Doch allen Einheitsparolen zum Trotz ist selbst aus den Reihen der Iranischen Handels-, Industrie und Bergbaukammer (ICCIM) – einer Art halbstaatlichem Unternehmerverband – zunehmende Empörung über eine untragbare Wirtschaftspolitik zu vernehmen, die den Unternehmen eher zusätzliche Bürden auflädt, anstatt sie zu entlasten.

 

Angesichts der Strafmaßnahmen des Westens solle Iran sich nicht auch noch selbst Sanktionen auferlegen, forderte Handelskammer-Präsident Mohammad Nahavandian bei einer Delegiertenversammlung im Februar mit Blick auf Probleme wie die ineffizienten iranischen Zollvorschriften. Die Geld- und Währungspolitik wirke nicht, und die Inlandsproduktion gehe zurück.

 

Viele Bankfazilitäten und Kredite seien nur bestimmten halbstaatlichen Sparten wie öffentlich-privaten Joint Ventures oder Ausgliederungen aus öffentlichen Unternehmen zugänglich, kritisierte der Funktionär weiter. Auch mangele es an politischer Unterstützung, um die gesetzlich längst verankerte Politik verstärkter Privatisierungen auch in der Praxis durchzusetzen.

 

Mohsen Hajibaba, Mitglied in der Delegietenversammlung der Kammer, forderte unlängst gar, der Verband solle keine Manager staatlicher Behörden in seinen Reihen mehr zulassen. Wären sie für diese Aufgabe geeignet, so ätzte er, wäre es der iranischen Wirtschaft in den vergangenen 30 Jahren schließlich deutlich besser ergangen. Gegenwärtig werden 40 der 60 Delegierten vom Industrie- und Bergbauminister ernannt.

 

»Die Menschen trauen dem Rial einfach nicht mehr«

 

Irans zentrales wirtschaftliches Problem ist derzeit der Wechselkurs des Rial, der so tief gesunken ist, dass es sogar Schwierigkeiten bereitet, Devisen für eine kurze Auslandsreise zu kaufen. Kleine und mittelständische Unternehmen, die bisher über Dollarkonten in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder anderen Ländern verfügten, können ihre Guthaben nicht mehr von dort auf ihre heimischen Konten überweisen. Außerdem belassen sie das Geld mittlerweile lieber gleich im Ausland, um damit internationale Vertragspartner bei Bedarf bezahlen zu können. Anfang Februar drohte Irans Justizchef Sadegh Larijani Währungsspekulanten mit der Todesstrafe und provozierte den Handelskammerpräsidenten Nahavandian damit zu der Klarstellung, Devisen ließen sich nicht mit Drohungen und Polizeigewalt kontrollieren. Auch sei es nicht zu rechtfertigen, wenn Unternehmer wegen ihrer

 

Bankschulden am Flughafen festgehalten und an der Ausreise gehindert würden, während mit Blick auf die Bankschulden der Regierung nichts dergleichen geschehe. »Das Problem beruht auf dem Embargo, dem Einfrieren der Zentralbankkonten außerhalb Irans und darauf, dass die Menschen in Auslandswährungen und Gold drängen, anstatt ihr Geld auf die Bank zu bringen oder zu investieren«, kritisiert Pedram Soltani, einer der Vizepräsidenten der Kammer.

 

»Die Menschen trauen dem Rial einfach nicht mehr. Die Zentralbank hat Geld drucken und verteilen lassen und dadurch eine Inflation und andere Probleme verursacht.« Diese Liquiditätserhöhung sei nicht von den Bedürfnissen des Markts getrieben, sondern der Zentralbank von der Regierung aufgedrängt worden, argumentiert Soltani. Die Regierung zwinge die Bank, ihr die Dollars aus dem Öl-Export abzukaufen.

 

»Denn die Regierung braucht die Rials, und wenn die Bank sie nicht liefern kann, muss sie frisches Geld drucken. So fließt die Liquidität, die eigentlich die Inlandsproduktion steigern sollte, in die Taschen der Regierung und entfaltet ihre Wirkung auf die Inflation.« Allein im vergangenen Jahr habe die Zentralbank neue Rial im Wert von 20 Milliarden Dollar verteilt, so Soltani – »was deutlich macht, wie krank der Markt ist«.

 

»Die Menschen drängen in Auslandswährungen und Gold, anstatt ihr Geld auf die Bank zu bringen oder zu investieren«

 

Ein weiteres Problem für iranische Geschäftsleute ist nach den Worten Nahavandians, dass den Unternehmen harte Währungen nicht aufgrund von Vorschriften, sondern von Beziehungen zur Verfügung gestellt werden. Obwohl die im Land vorhandenen Devisen ausreichten, um die benötigten Importe sicherzustellen, habe die produzierende Wirtschaft keinen Zugang dazu, so ein weiterer Vizepräsident der Handelskammer, Mohsen Jalalpoor.

 

»Solange die Regierung kein Vertrauen in die Privatwirtschaft hat, kann das Land die Wachstumsziele und -vorstellungen der Staatsführung nicht unterstützen.« Yahya Al-Eshagh, der Präsident der Teheraner Handelskammer und frühere Finanzminister, weist zudem darauf hin, dass die Sanktionen die Kosten der Produzenten stark erhöht hätten – insbesondere die Kosten für Grundstoffe und die Gebühren für Geldgeschäfte.

 

Zumindest solle die Regierung deshalb für Versicherungs- und Transportkosten sowie Steueraufwendungen der Unternehmen aufkommen, um die heimische Produktion zu unterstützen. Iran verfüge über Währungsreserven von 140 Milliarden Dollar, sagte Eshagh. Es sei an der Zeit, die Handelsbeziehungen mit 15 Staaten in der Region zu forcieren – einem potenziellen Markt von 300 Millionen Konsumenten.

 

Aus China kommen nur Importe, aber keine Investitionen

 

Ebenfalls entgegen der Regierungslinie stellte ICCIM-Präsident Nahavandian bei einem Treffen mit dem indischen Botschafter in Iran, Shri D.P. Srivastava, offen die Strategie infrage, sich allein auf China als Embargobrecher zu verlassen. »Indien sollte von der Embargosituation profitieren und mit China darum wetteifern, die Geschäfte mit Iran auszubauen«, sagte Nahavandian.

 

Auch verfüge Iran über erhebliche Einnahmequellen in Indien, die nicht ins eigene Land transferiert werden könnten. »Jetzt ist die beste Gelegenheit, um in indische Entwicklungsvorhaben wie Verkehrsprojekte zu investieren.« Die Zeitung Aftabe Emrooz berichtete im Frühjahr, ein schon vor drei Jahren geschlossener Vertrag erlaube es China, 25 Milliarden Dollar an iranischen Öleinnahmen zurückzuhalten, um damit die Bezahlung chinesischer Exporte nach Iran zu garantieren.

 

Nach Erscheinen des Artikels wurde die Website der Zeitung gesperrt und erst wieder freigeschaltet, als der Text gelöscht war. Indes forderte selbst der Leiter der iranisch chinesischen Außenhandelskammer, Asadolla Asgaroladi, seine Organisation müsse ihre Strategie ändern und mehr Investitionen, nicht nur Importe anlocken.

 

Während die iranische Regierung also vor allem darum bemüht scheint, die Handelsbeziehungen mit einzelnen Ländern zu wahren und sich zu brüsten, die Sanktionen könnten der Wirtschaft nichts anhaben, sind Privatunternehmen dem Wohlwollen der heimischen Banken ausgeliefert und müssen bei Regierungsstellen betteln, um ihre Vertragspartner und Lieferanten bezahlen zu können.

 

Nach außen müssen sie zwar die offizielle Linie mittragen und sich diplomatisch äußern. Zugleich ist aber immer weniger zu verbergen, wie sehr sie kämpfen müssen, um den Fortgang ihrer Geschäfte zu gewährleisten und die Wirtschaft des Landes am Laufen zu halten – ganz gleich, wie das Jahresmotto des Revolutionsführers gerade lautet.

Von: 
Raha Namwar

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.